Der Umgang mit der Covid-19-Pandemie hat auch in Deutschland einige negative Seiten der Globalisierung offengelegt. So die durchaus beängstigende Tatsache, dass die Produktion wichtiger medizinischer Güter wie Schutzkleidung und Schutzmasken seit Jahren ausgelagert wurden nach Asien. Dabei ist gerade bei der Bewältigung einer Epidemie nationale Handlungsfähigkeit überlebenswichtig. Forscher der Leopoldina haben jetzt ihre zweite Einschätzung zu den Maßnahmen in Deutschland geschrieben.

Auch diese in Halle ansässige Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften hat zahlreiche Wissenschaftler in ihren Reihen, die sich seit Jahren mit all den Themen rund um eine Epidemie beschäftigen – von Mikrobiologen über Virologen bis hin zu Epidemologen und Psychologen. Denn die Bewältigung einer so existenziellen Krise ist auch ein psychisches Problem, das auch die handelnden Politiker immer mitdenken müssen.

Und augenscheinlich machen sie vieles richtig, haben die Bevölkerung auch gut genug informiert, sodass die Ausnahmeregelungen von den meisten Deutschen auch akzeptiert und eingehalten werden.

Aber die Leopoldina-Forscher sind nicht die einzigen, die sich auch eine breitenwirksame Anwendung von Schutzmasken so wie in Asien wünschen. Denn gerade Länder wie Japan, Südkorea oder Taiwan zeigen, dass die Zahl der Neuinfektionen mit dem Massengebrauch dieser Masken deutlich gesenkt werden kann.

Aber die Stellungnahme der Lepoldina betont auch, dass es auch nach Abklingen der ersten Welle (möglicherweise um Ostern herum) weitere Ausnahmeregelungen braucht, um die Gefahr einer zweiten Welle in Deutschland zu mindern.

Die zentrale Feststellung des Akademie-Papiers lautet: „Obwohl der Anstieg der registrierten Neuinfektionen mit SARS-Cov-2 in Deutschland sich seit einigen Tagen verlangsamt, müssen die am 22.03.2020 beschlossenen, bundesweit gültigen politischen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung weiterhin Bestand haben.“

Der 20. April steht derzeit als Tag, bis zu dem diese Einschränkungen bundesweit gelten.

Aber da es so schnell keine wirksamen Impfstoffe oder Arzneimittel geben wird (Forscher rechnen etwa in einem Jahr damit), empfiehlt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ergänzend zu den bereits geltenden Abstands- und Hygieneempfehlungen noch einige Dinge, mit denen sich auch die Politik schwertun wird.

Die drei wichtigsten Vorschläge:

1. Mund-Nasen-Schutz reduziert die Übertragung von Viren, vor allem durch eine Reduktion der Tröpfcheninfektion. Da sich eine große Zahl unerkannt Erkrankter ohne Symptome im öffentlichen Raum bewegt, schützt ein Mund-Nasen-Schutz andere Menschen, verringert damit die Ausbreitung der Infektion und senkt somit mittelbar das Risiko, sich selbst anzustecken. Ein Mund-Nasen-Schutz dient eingeschränkt auch unmittelbar dem Eigenschutz. Eine schrittweise Lockerung der Einschränkungen sollte daher mit dem flächendeckenden Tragen von Mund-Nasen-Schutz einhergehen. Dies gilt im gesamten öffentlichen Raum, u. a. in Betrieben, Bildungseinrichtungen und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Das Problem – und so betont es auch die Leopoldina: Voraussetzung ist die flächendeckende Verfügbarkeit von schützenden Masken. Der Mangel sollte bereits jetzt durch selbst hergestellten Mund-Nasen-Schutz, Schals und Tücher überbrückt werden. Diese sollten dabei Mund, Nase, Kinn und die Seitenränder möglichst vollständig abdecken. FFP2/3-Masken sollten weiterhin dem medizinischen Bereich, der Pflege und besonderen Berufsgruppen vorbehalten sein.

2. Die kurzfristige Verwendung mobiler Daten, die ortsunabhängig den räumlichen und zeitlichen Kontakt von Personen abbilden, ist für die Identifizierung von infizierten Personen und ihren Kontakten hilfreich. Daher sollten schnellstmöglich digitale Werkzeuge wie eine entsprechende App für Mobiltelefone verfügbar gemacht werden, in denen Personen freiwillig und unter Einhaltung von Datenschutz sowie Persönlichkeitsrechten anonym diese Daten teilen. Diese nach einem definierten Zeitraum (z. B. max. vier Wochen) zu löschenden Daten sind für zielgenaue Maßnahmen wie die Informierung potentiell gefährdeter Personen unentbehrlich.

3. Die Testkapazitäten in Deutschland auf eine akute Infektion mittels PCR-Test wurden inzwischen auf über 350.000 Tests/Woche erhöht. Sie sollten, z. B. durch neue validierte Schnelltests, weiter ausgebaut werden, um möglichst gezielt breit testen zu können. Damit können Ausbreitungsherde besser eingegrenzt und Quarantänemaßnahmen passgenau verhängt werden. Zur Erhöhung der Testkapazität könnten für eine Überbrückungszeit auch veterinärmedizinische Untersuchungseinrichtungen und weitere Forschungsinstitutionen einbezogen werden. Darüber hinaus müssen serologische Tests (Antikörpertests) validiert, etabliert und hinsichtlich ihrer Kapazitäten ausgebaut werden.

Zum dritten Vorschlag ist natürlich zu betonen, dass die größten Fehler in der bisherigen Krisenbewältigung immer dort gemacht wurden, wo solche Ausbreitungsherde zu spät erkannt wurden – etwa in Heinsberg, wo eine Karnevalsfeier wohl der Beginn der Ausbreitung war, vom Wintersportort Ischgl in Österreich, von wo das Virus über ganz Europa verbreitet wurde, ganz zu schweigen. Das Problem ist wirklich: Die Infektion wird meist erst festgestellt, wenn jemand Symptome hat. Da kann er das Virus aber schon längst weitergegeben haben, weil er von der Infektion nichts wusste.

Die Bedenken der Leopoldina-Forscher sind schwerwiegend: Ohne die von ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen befürchten sie, dass – wenn das öffentliche Leben ohne Umsetzung der vorgeschlagenen Schutzmaßnahmen schrittweise hochgefahren wird – ab Juni die Zahl der Infizierten und damit auch der Krankenhausfälle wieder ebenso stark zunimmt wie im März. Sie verweisen auf das Beispiel Südkorea, wo ähnlich strenge Maßnahmen bis heute gelten und die Infektionszahlen entsprechend niedrig bleiben.

Zweite Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina: Coronavirus-Pandemie – Gesundheitsrelevante Maßnahmen

Was die ganzen Zahlen zu Covid-19-Tests tatsächlich erzählen – und was nicht

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