Versorgungsdefizite, nennt es die Techniker Krankenkasse. Aber in Wirklichkeit erzählen die sächsischen Sterbezahlen wegen Herzinfarkt und Schlaganfall von einem völlig aus dem Lot geratenen Gesundheitssystem. Denn das überdurchschnittlich viele Sachsen an Herzversagen sterben, hat mit einem kaputtgesparten Versorgungsnetz zu tun.

In Sachsen sterben deutlich mehr Menschen an Herzinfarkt und Erkrankungen der Herzkranzgefäße (koronaren Herzkrankheiten/ KHK – verursacht durch Arterienverkalkung) als in anderen Bundesländern. Die Sterbezahl bei Herzinfarkten liegt im Zeitverlauf von acht Jahren (Daten von 2008 bis 2016) mit 19 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, stellt die Techniker Krankenkasse Sachsen jetzt in einer Erhebung fest.

KHK als Todesursache überschreitet den deutschen Durchschnitt sogar um 30,7 Prozent. Die absoluten Sterbezahlen sinken zwar von 2008 bis 2016 bei KHK (von 10.725 auf 9.407) und Herzinfarkt (3.969 auf 3.344). Die altersstandardisierten Werte sind aber in diesem Zeitraum relativ konstant geblieben. Das geht aus einer aktuellen Analyse der Techniker Krankenkasse Sachsen hervor, die die bundesweiten Herzberichte seit 2008 ausgewertet hat.

Die stationären Behandlungen mit diesen Diagnosen nehmen leicht ab.

„Diese rückläufige Tendenz allein betrachtet, könnte zu einem positiven Fazit veranlassen. Aber weit gefehlt. Denn die bundesweit überdurchschnittlichen Todeszahlen führen uns zu einem anderen Schluss: Patienten versterben vorher, bevor sie überhaupt in die Klinik kommen. Die Herzerkrankungen werden entweder nicht oder zu spät erkannt. Das offenbart auch Qualitätsdefizite in der ambulanten Versorgung“, kommentiert Simone Hartmann, Leiterin der TK Sachsen, die Ergebnisse.

Denn steigende Tendenz weist die Sterblichkeit bei Herzklappenkrankheiten (von 600 auf 1.018) und Herzrhythmusstörungen (1.189 auf 1.407) auf, was die rückläufigen Zahlen etwas relativiert.

„Diese Ergebnisse sind angesichts des medizinisch-technischen Fortschritts besorgniserregend“, sagt Hartmann. Der höhere Altersdurchschnitt der Sachsen scheide aufgrund der altersstandardisierten Daten als Ursache aus. Vielmehr gebe die Fallzahl der stationären Behandlungen Aufschluss über mögliche Gründe.

Auffallende Lücken in der ambulanten Versorgung

Sächsische Kliniken behandeln im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlich viele Patienten mit der Diagnose Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Die Überschreitung im neunjährigen Zeitraum liegt bei 5,2 Prozent. Die absoluten Zahlen steigen seit 2008 von 22.223 Fällen auf 29.187 Fälle im Jahr 2017. Das entspricht einer Zunahme von 31,3 Prozent. Herzrhythmusstörungen führen in ähnlicher Weise zu einer Steigerung der stationären Behandlungen (von 19.331 auf 23.743) mit 22,8 Prozent.

„Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen gehören nicht per se in die Klinik. Wenn diese Diagnosen in Kliniken steigen, ist das ein Hinweis, dass die ambulante Behandlung nicht wirkungsvoll oder intensiv genug erfolgt. Denn in aller Regel kann die Einstellung der Patienten ambulant geschehen“, betont Hartmann. Es fehle die engmaschige, interdisziplinäre Betreuung von Hausärzten und fachärztlichen Schwerpunktpraxen in enger Kooperation.

Falsche Vergütungsanreize, fehlende Ärzte

Hartmann verweist auch auf falsche Vergütungsanreize im ambulanten System, die zur Verknappung ärztlicher Kapazitäten, langen Wartezeiten auf Termine, unkoordinierter oder fehlender fachärztlicher Versorgung führen. In der Herz- und Diabetesbehandlung per Rechtsverordnung sieht Hartmann deshalb auch eine wesentliche Ursache für die Qualitätsdefizite in Sachsen. Trotz finanziell aufwendiger Behandlungsprogramme der Krankenkassen bei KHK und Diabetes verändern sich die Sterberaten in Sachsen relativ wenig.

„Der Mehrwert der Programme für die Patienten in Sachsen ist nicht zu erkennen“, sagt Hartmann. „Im Gegenteil. Die Versorgung hat sich in den letzten Jahren sogar deutlich verschlechtert.“

Aus Sicht der TK ist das 2003 eingeführte Modell des Disease Management Programmes (DMP) schuld an dem Desaster, weshalb die Krankenkasse für die Abschaffung des Modells plädiert.

Aber die oben angeführten Punkte Verknappung ärztlicher Kapazitäten, lange Wartezeiten auf Termine und falsche Vergütungsanreize im ambulanten System sprechen eine andere Sprache: Sie erzählen von einem kaputtgesparten Versorgungsnetz in der Fläche, von überlasteten Hausärzten, die ihre Patienten lieber ins Krankenhaus überweisen, weil vor Ort eine ambulante Versorgung fehlt.

Das DMP existiert in der ursprünglichen Form auch nicht mehr, sondern wurde durch mehrere Reformen zunehmend verschlankt. Gerade die zunehmende Zahl von Überweisungen ins Krankenhaus erzählt von einem Gesundheitssystem, dem die solide Basis verloren geht: Die ambulante Patientenversorgung in der Fläche. Denn das ist der eigentliche Unterschied zu anderen Bundesländern mit einer besseren ambulanten Versorgung. Ein Problem, das der sächsischen Staatsregierung nun schon seit Jahren bekannt ist. Aber eine Lösung, wieder ein flächendeckend funktionierendes System aus Ambulanzen zu gewährleisten, ist nicht in Sicht.

Das Programm zur medizinischen Versorgung Sachsens ist auf die letzten paar Wochen gar nicht mehr umsetzbar

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