Fรผr FreikรคuferDie wirklich interessante Statistik zu den Sรผchten der Leipziger gibt es nicht. Leider. Wenn es ums Menschliche geht, regiert die Scham. Und das Vorurteil. Denn wenn man etwas nicht wirklich kennt, sieht man nur das, was an die Oberflรคche schรคumt und sich so medial und politisch verwerten lรคsst: โ€žSuchtmittelmissbrauchโ€œ, โ€žDrogenkriminalitรคtโ€œ und irgendwie so eine Art kommunales Reparaturprogramm, das jedes Jahr im โ€žSuchtberichtโ€œ der Stadt sichtbar wird.

Der bilanziert dann etwas, was gar nicht statistisch erhoben wurde: โ€žAlkohol bleibt die am hรคufigsten konsumierte Droge und der Konsum von Methamphetamin (Crystal) liegt weiter auf hohem Niveau.โ€œ

Stimmt beides nicht. Zu beidem gibt es keine Zahlen. Dass Alkohol wohl das grรถรŸte Suchtproblem der Leipziger ist, kann man lediglich aus der Beratungszahl in den Leipziger Suchtberatungsstellen ablesen, wo direkt oder indirekt Betroffene ihre Termine vereinbaren.

Aber das Netz der Leipziger Beratungsstellen ist รผberlastet: Es gibt immer lรคngere Wartelisten. Die Warnung im โ€žSuchtberichtโ€œ ist deutlich: โ€žAlkohol: Der rรผcklรคufige Trend dieser Diagnosehรคufung spiegelt die sich รผber Jahre verรคnderte Versorgungssituation von Menschen in Suchtberatungsstellen wider. Es mรผssen mehr Menschen mit Drogenabhรคngigkeit betreut werden. Durch lรคngere Wartezeiten im Aufnahmeprozess kommt es zu einer Verschiebung innerhalb der Klientengruppen. Die Zahl der betreuten Menschen mit Alkoholdiagnosen geht zurรผck.โ€œ

Die Alkoholkranken hatten also das Nachsehen. Die schnell wirkenden Suchtmittel haben sich auch hier in den Vordergrund gedrรคngelt.

In den Leipziger Suchtberatungs- und Behandlungsstellen wurden 2016 insgesamt 4.258 Klientinnen und Klienten betreut. Die Betreuungszahlen blieben damit im Vergleich zum Vorjahr stabil (2015: 4.260). Auch der Anteil der Beratungszahlen von Selbstbetroffenen (88 %) im Verhรคltnis zum Anteil von Angehรถrigenberatungen (12 %) blieb gleich. Neben den sieben Suchtberatungs- und Behandlungsstellen, an die sich primรคr Erwachsene wenden, hat sich die Jugenddrogenberatungsstelle Drahtseil des Diakonischen Werkes, Innere Mission Leipzig, weiter etabliert. Im Jahr 2016 wurden 311 junge Menschen unter 25 Jahren beraten.

Die Mehrheit der Betroffenen konsumiert mehrere Substanzen (Alkohol und/oder illegale Drogen), zeigt also eine Mehrfachabhรคngigkeit. Es werden aber auch Menschen mit verhaltensbedingten Sรผchten, hier hauptsรคchlich Glรผcksspielsรผchtige, betreut.

Die fallen zahlenmรครŸig nicht so auf, weil sie eher selten in einer Beratung auftauchen. Der Polizei gehen sie auch eher nicht ins Netz, denn Glรผckspiel selbst ist ja nicht strafbar. So wie die meisten Sรผchte und Suchtmittel, die man kaufen kann, nicht strafbar sind. Vielen Menschen ist nicht mal bewusst, wie abhรคngig sie von allerlei Genussmitteln sind.

Und dass die Zahl der wegen Alkoholproblemen Beratenen zurรผckging, ist aus Sicht der Stadt kein Grund zur Entwarnung.

Entwicklung der Betreuungszahlen in Leipzigs Suchtberatungsstellen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017
Entwicklung der Betreuungszahlen in Leipzigs Suchtberatungsstellen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017

โ€žDer Konsum von Alkohol ist allgegenwรคrtig und die damit einhergehenden Risiken werden viel zu oft verharmlost. Wir wissen, je frรผher Kinder und Jugendliche beginnen, Alkohol zu trinken, desto grรถรŸer ist die Gefahr, dass sie sich daran gewรถhnen und die Gefahren von Missbrauch oder Abhรคngigkeit nehmen zuโ€œ, sagt Bรผrgermeister Thomas Fabian. โ€žAlkoholprรคvention muss in den Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, in Schulen und bei Freizeitangeboten, ansetzen. Erwachsene Menschen haben eine Vorbildrolle, der sie gerecht werden mรผssen.โ€œ

Und da kommt man dann auf jene Lebensspanne, in der sich Sรผchte manifestieren und Kinder und Jugendliche die Dummheit begehen, sich auf hรคrtere Drogen einzulassen โ€“ von denen sie dann nicht mehr loskommen.

Was auch daran liegt, dass Wissen รผber die Entstehung von Sรผchten oder die Funktion von Einstiegsdrogen viel zu selten und viel zu schematisch vermittelt wird.

Leipzig versucht das Problem mit einem hohen Augenmerk auf die prรคventive Beratung irgendwie anzupacken.

In der Jugenddrogenberatungsstelle Drahtseil des Diakonischen Werkes wurden am hรคufigsten junge Menschen mit Cannabiskonsum (289 von insgesamt 311 Klienten) beraten. Sie ist aber auch Anlaufstelle in Fragen von problematischem Medienkonsum (14 Klienten). Dabei haben Handyspiele an Bedeutung gewonnen. Teilweise werden, ohne das Wissen der Eltern, immense Geldsummen fรผr das Spiel investiert. Durch das Vereinbaren von klaren Regeln und Grenzen in Familiengesprรคchen konnten hier positive Entwicklungen angebahnt werden.

Das Suchthilfesystem wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte der Suchtprรคvention fรผr Kinder und Jugendliche ergรคnzt. Sie haben das Ziel, durch Aufklรคrung รผber die Gefahren des Konsums von Suchtstoffen bzw. sรผchtigen Verhaltens Abhรคngigkeitserkrankungen zu verhindern und gesundheitliche Schรคden zu verringern.

Suchtdiagnose nach Altersgruppen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017
Suchtdiagnose nach Altersgruppen. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017

Aber dass diese Angebote noch nicht wirklich greifen, wird im โ€žSuchtberichtโ€œ dann deutlich.

โ€žDer regelmรครŸige Alkoholkonsum von Jugendlichen von 12 bis 17 Jahren lag mit 15 % zwei Prozentpunkte รผber dem bundesdeutschen Durchschnittโ€œ, ergab die Leipziger โ€žJugendstudieโ€œ von 2015.

โ€žBesonders auffรคllig war, dass es unter Gymnasiasten weniger Nichttrinker gab als unter Schรผler/-innen anderer Schulformen. Erfreulicherweise ist der Anteil der Nichtraucher im Vergleich zu 2010 von 63 % auf 73 % gestiegen. Cannabis haben bereits 24 % der Jugendlichen einmal probiert. Die Anzahl der Jugendlichen bis 18 Jahre, die bereits Cannabis konsumiert haben, ist im Vergleich zu 2010 um sechs Prozentpunkte auf 19 % gestiegen und lag elf Prozentpunkte รผber dem bundesweiten Durchschnitt.โ€œ

Beides hat mit der Schizophrenie unserer Gesellschaft zu tun, die den Rausch und die Ekstase genauso als erstrebenswert vermarktet wie die Kรคuflichkeit des Glรผcks. Dazu kommt der tiefsitzende Glaube, man kรถnne sich mit diversen Mitteln fit machen fรผr den Alltag und dann mit anderen Mittelchen wieder herunterkommen vom รผberdrehten Level. Der Arzneimittelmissbrauch wird kaum problematisiert, die Sรผchte, die durch moderne Kommunikationstechnologien bedient werden, auch nicht. Davon erzรคhlen dann immer nur die Krankenkassen, die รผber den erhรถhten Gebrauch/Missbrauch aller mรถglichen Aufputsch- und Beruhigungspillen berichten, รผber die Zunahme psychischer Erkrankungen (die oft direkt mit dem Gebrauch von Stimulanzien zusammenhรคngen) und โ€“ ganz frisch im Repertoire: die Zunahme von ADHS, also krankhaften Aufmerksamkeitsstรถrungen, nun auch bei jungen Erwachsenen.

Diagnosehรคufigkeit diverser Suchtmittel. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017
Diagnosehรคufigkeit diverser Suchtmittel. Grafik: Stadt Leipzig, Suchtbericht 2017

Der โ€žSuchtberichtโ€œ bildet, wie man sieht, nur eine Oberflรคche ab, nicht die vielen Verzweigungen des Problems, die viel grรถรŸere Auswirkungen haben als alles, was die Polizei zur sogenannten โ€žDrogenkriminalitรคtโ€œ zu berichten weiรŸ.

โ€žLaut Polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2015 im Zustรคndigkeitsbereich der Polizeidirektion Leipzig im Stadtgebiet 1.434 Fรคlle erfasst (2014: 1.888). Der Anteil der Rauschgiftdelikte an der Gesamtkriminalitรคt lag bei 1,9 % und war damit im Vergleich zum Vorjahr (2,4 %) rรผcklรคufigโ€œ, heiรŸt es im โ€žSuchtberichtโ€œ. Was so auch wieder nicht stimmt. Es wurde nur weniger kontrolliert (Stichwort: Personalmangel). Denn gerade Drogendelikte sind welche, die fast nur durch polizeiliche Kontrollen ans Tageslicht kommen. Im Zustรคndigkeitsbereich der Polizeidirektion Leipzig wurden im Jahr 2015 neun Rauschgifttote (2014: fรผnf) registriert.

Fakt ist auch diesmal: Der โ€žSuchtbericht 2016โ€œ zeigt auch wieder nur die Spitze des Eisbergs. Die meisten Suchtprobleme wabern ungesehen von Polizei und Beratungsstellen vor sich hin. Und: Sucht bleibt sogar ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft, in der einem noch die dรผmmste Werbung suggeriert, dass Glรผck und Glรผcksgefรผhle kรคuflich seien. Auf einige Glรผcksgefรผhle trifft das zu. Was dann die beste Grundlage ist fรผr eine Sucht fรผrs Leben.

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Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

 

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