LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 43Vor knapp 20 Jahren hat der mittlerweile mit einem Berufsverbot belegte Arzt Andrew Wakefield die wissenschaftlich heftig widersprochene Behauptung aufgestellt, dass es zwischen Impfungen und Autismus einen Zusammenhang gäbe. In seinem Film „Vaxxed“ wiederholt er dies. Die Passage-Kinos werden das Werk Ende Mai zeigen. Dies führte bereits jetzt zu heftiger Kritik, zumal das Kino nicht ernsthaft Bemühungen unternahm, dem Film eine wissenschaftliche Expertise an die Seite zu stellen. Mittlerweile wurde die Vorstellung abgesagt.
Bis zur Absage gab es keine benannten Experten für ein Gespräch zum Film, welcher auch für die erst im Frühjahr eingedämmte Masern-Schwemme in Leipzig verantwortlich sein könnte. Wissenschaftlich betrachtet sind Masern bei einer Impfquote von zirka 95 Prozent eindämmbar. Im Gespräch mit der LEIPZIGER ZEITUNG erläutert der Virologe Uwe Gerd Liebert die Hintergründe zu Film und Person und erklärt, wieso Impfungen wichtig sind. Die Front scheinbar informierter „Impfgegner“ jedenfalls wächst.
Sehr geehrter Herr Liebert: Wie bewerten Sie es, dass die Passage-Kinos den Film „Vaxxed“ zeigen und anschließend darüber diskutieren lassen wollen?
Grundsätzlich ist meines Erachtens nichts dagegen einzuwenden, dass Themen – insbesondere die kontroversen – öffentlich diskutiert werden. Darunter fällt auch der Film „Vaxxed“, den man als Anstoß zu einer Diskussion werten kann.
Problematisch ist jedoch, wenn auf der Grundlage von falschen und gefälschten Daten unhaltbare Behauptungen in die Welt gesetzt werden, bereits vor Jahrzehnten mehrfach und eindeutig widerlegte Behauptungen unbeirrt wiederholt werden und die Exklusivität der eigenen Meinung propagiert und die eigene Meinung als Tatsache hingestellt werden.
Es wäre wirklich zwingend erforderlich und lohnend, einmal nachzufragen, wem es eigentlich nützt, eine Meinung als absolut richtig und unanfechtbar hinzustellen und bewiesene Tatsachen wider besseres Wissen zu leugnen. Grundsätzlich sollte meines Erachtens beachtet werden und als Richtschnur gelten, dass zwar jeder ein Recht auf seine eigene Meinung, dass aber keiner ein Recht auf seine eigenen Fakten hat.
Gibt es einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Impfungen und Autismus?
Dieser behauptete Zusammenhang ist konstruiert und beruht auf Beobachtungen von lediglich einem Dutzend Fällen, die keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben. Seit 1998 haben umfangreiche internationale Untersuchungen die Behauptungen eindeutig widerlegt.
In keinem der ursprünglichen Fälle ist es Andrew Wakefield oder irgendjemand anderem gelungen, den Beweis eines kausalen Zusammenhangs auch nur ansatzweise zu führen. Vielmehr wurden Daten aus Wakefields später zurückgezogener Veröffentlichung nachgewiesenermaßen manipuliert und gefälscht.
Halten Sie diesen Film beziehungsweise die von Wakefield verbreiteten Behauptungen für gefährlich?
Gefährlich ist es, unbewiesene Behauptungen als Tatsachen hinzustellen und Zusammenhänge zu konstruieren. Dadurch werden Menschen, denen eine tiefergreifende Fachkenntnis fehlt, in die Irre geführt und dazu verleitet, gefährliche Risiken für die eigene Gesundheit und die der Kinder einzugehen.
Wie gefährlich sind Masern, Mumps und Röteln?
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Masern zu Todesfällen führt – zuletzt etwa bei dem Ausbruch in Duisburg und Essen im Frühjahr dieses Jahres. Ebenso ist bekannt, dass die Masern von schweren Komplikationen des Gehirns gefolgt sein können, die in einem hohen Prozentsatz zu bleibenden Schäden führen.
Masern führt zudem zu einer vorübergehenden, Wochen bis Monate anhaltenden Immunschwäche, die dazu führen kann, dass bereits überwunden geglaubte Infektionen wie Tuberkulose wieder aufflammen. Das ist bereits seit 1908 bekannt und wurde seitdem immer wieder in verschiedenen Teilen der Welt von verschiedenen Wissenschaftlern nachgewiesen.
Weltweit sterben nach wie vor circa 140.000 Kinder an den Masern. Auch Mumps ist je nach Lebensalter der Infektionen von schweren Komplikationen begleitet: beispielsweise Hirnhautentzündung sowie Hoden- und Nebenhodenentzündung mit Sterilität. Bei Röteln kommt es insbesondere bei einer Erstinfektion während einer Schwangerschaft zu einer Missbildungsrate von bis zu 40 Prozent.
Welche Folgen hat es, wenn immer mehr Menschen sich oder ihre Kinder nicht impfen lassen?
Der Sinn von Schutzimpfungen ist ein doppelter: Zum einen wird durch die Impfung der Geimpfte selbst vor schweren Verlaufsformen der Infektionen geschützt, zum anderen nimmt mit jedem Geimpften der Anteil in der Bevölkerung ab, der durch die Infektionen noch gefährdet ist.
Je weniger Ungeimpfte in einer Region leben, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es zu größeren Ausbrüchen kommt. Bei Masern liegt der noch hinnehmbare Anteil nichtgeimpfter Personen bei unter fünf Prozent.
Eine Impfung hat damit ein doppeltes Anliegen: ein egoistisches, den Selbstschutz, und ein altruistisches, den Schutz der anderen. Je weniger Kinder, aber auch Jugendliche und Erwachsene geimpft sind, desto höher ist das Risiko des Ausbruchs von eigentlich verhinderbaren Infektionskrankheiten.
Die echten Pocken wären bis heute nicht ausgerottet, wenn es nicht über Jahrzehnte eine weltweite Impfung gegeben hätte. Eigentlich wäre es wünschenswert, wenn diejenigen, die ihre Kinder und sich selbst impfen lassen, eine ähnliche Kampagne wie die Impfgegner durchführten. Damit könnte es nämlich gelingen, einige derer, die verunsichert sind und daher zu Impfungen generell skeptisch eingestellt sind, zu überzeugen, dass Impfungen nützen und schützen.
Was sagen die Statistiken zu Masernerkrankungen in Deutschland innerhalb der vergangenen Jahre und Jahrzehnte – gibt es auffällige Änderungen?
Die einschlägigen Statistiken des Robert-Koch-Institutes, die auf Meldedaten aus ganz Deutschland beruhen, zeigen eindeutig, dass nach vielen Jahren des Rückgangs der Masern die Erkrankungszahlen seit etwa 2005 wieder stark ansteigen.
Gibt es aus Ihrer Sicht gute Gründe, sich oder seine Kinder nicht impfen zu lassen?
Alle einschlägigen Organisationen weltweit sind sich darin einig, dass es Gründe dafür geben kann, eine Impfung zu verschieben, beispielsweise Fieber über 38,5 °C, oder nur eingeschränkt und unter Beachtung besonderer Vorsichtsmaßnahmen durchzuführen, beispielsweise bei bestimmten angeborenen Immundefekten.
Wie können Menschen, die Impfungen wegen vermeintlicher Gesundheitsrisiken ablehnen, besser aufgeklärt werden?
Alle Erhebungen und verfügbaren Daten zeigen, dass die Zahl von Impfgegnern zwar viel zu hoch ist, jedoch einen Prozentsatz von zwei bis drei nicht übersteigt. Problematischer sind die Verunsicherten, die skeptisch sind und denen es an vertrauensvoller Ansprache und entsprechender Information fehlt.
Und besonders beklagenswert ist die Zahl derer, die zwar die Erstimpfung zu einem der U-Untersuchungstermine haben durchführen lassen, danach aber – aus Impfmüdigkeit, aus fälschlich angenommener Sicherheit oder schlicht aus Vergesslichkeit – die notwendigen Auffrischimpfungen auslassen.
Gerade die beiden letzteren Gruppen sind einer nachgehenden Ansprache und Erinnerung zugänglich. Hier lohnt meines Erachtens mehr Engagement.
Dieses Interview findet sich auch in der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 43, Ausgabe Mai, welche am 19. Mai erschien und aktuell in Leipzig zu kaufen ist.
Die LEIPZIGER ZEITUNG, Ausgabe Mai 2017 „Glauben oder Wissen?“
Leipziger Zeitung Nr. 43: Leipzig zwischen Wissen und Glauben
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