Leipzig ist nun schon seit Jahren ein Forschungszentrum für die großen Zivilisationskrankheiten, insbesondere die schwerwiegenden Folgen des Übergewichts. Und so ein wenig sorgt sich auch die Verwaltung um die übergewichtigen Leipziger und wollte mit der „Bürgerumfrage 2015“ wissen: Wo wohnen denn die meisten Übergewichtigen? Und: Hat Übergewicht vielleicht etwas mit zu wenig Sport zu tun?
„Wissenschaftliche Studien zeigen, dass regelmäßiger Sport vor Krankheiten (z.B. Diabetes, Alzheimer oder auch Krebs) schützen kann“, heißt es im Text zu diesem Kapitel. Und zumindest ansatzweise zeigt die „Bürgerumfrage“, dass es punktuell tatsächlich Zusammenhänge zwischen Adipositas und zu wenig Sport gibt. Aber gerade die Schwerpunktstadtteile, die dabei auffallen, zeigen, dass die Sache wohl deutlich komplizierter ist. Denn es sind die großen Plattenbausiedlungen in Grünau-Nord, Heiterblick und Lausen-Grünau, die einerseits mit hohen Prozentraten an Adipösen (26 bis 29 Prozent) und niedrigen Sportraten auffallen.
Aber einen anderen Zusammenhang kann die Befragung nicht ausblenden: Mit zunehmendem Alter nimmt sowohl die Intensität des Sporttreibens ab als auch das Übergewicht bei vielen Menschen zu.
Was dann auf der Landkarte mit den Anteilen adipöser Bewohner vor allem auch Ortsteile heraushebt, in denen auch der Altersindex besonders hoch ist – und das sind durchweg Ortsteile am Stadtrand, darunter auch weitere durch Großwohnsiedlungen geprägte Ortsteile wie Mockau-Nord, Kleinzschocher, Grünau-Ost oder Möckern. Je mehr das Durchschnittsalter zwischen 45 und 50 Jahren pendelt, umso mehr Übergewichtige gibt es, während gerade die innerstädtischen Ortsteile nicht nur durch deutlich geringere Durchschnittsalter (zwischen 34 und 41 Jahren) auffallen, sondern auch durch deutlich niedrigere Zahlen von Übergewichtigen.
Die Sache mit dem Übergewicht kann also mit dem Alter zu tun haben – oder auch damit, dass über 60 Prozent der Bewohner der Innenstadt „mehrmals wöchentlich“ Sport treiben, während die Ortsteile am Stadtrand hier nur auf unter 50 Prozent kommen.
Aber auch das kann täuschen, denn die Karte mit dem Sporttreiben ähnelt verdächtig der schon in einem früheren Beitrag betrachteten Karte zum Radfahren: Genau die Ortsteile, die jetzt durch geringere Anteile an Übergewichtigen auffallen, sind auch genau die, in denen die tägliche Nutzung des Fahrrades in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind. Was ja – wie wir gesehen haben – wieder damit zu tun hat, dass diese Ortsteile bei jungen Menschen besonders beliebt sind – von Connewitz bis zum Waldstraßenviertel, von Lindenau bis Volkmarsdorf.
Während gerade die von vielen Übergewichtigen bewohnten äußeren Ortsteile – von Lützschena bis Liebertwolkwitz, von Knautkleeberg-Knauthain bis Althen-Kleinpösna – eben auch Ortsteile mit einem überdurchschnittlichen Besatz an privaten Pkw sind.
Was eigentlich deutlich macht, wie sehr Leipzig eine Stadt mit zwei völlig verschiedenen Entwicklungen ist – einer hin zu einer zunehmend älteren Bevölkerung, die wenig Sport treibt, mehr Auto fährt und deutlich übergewichtiger ist, und einer Entwicklung, die gerade von den jungen Stadtbewohnern getrieben ist, die man in den Parks eifrig joggen sieht, die fast täglich mit dem Rad fahren, die innerstädtischen Quartiere bevorzugen und deutlich seltener übergewichtig sind.
Und noch ein Vorurteil stellen die Umfrage-Ergebnisse infrage: dass arme Menschen deutlich häufiger übergewichtig sind. Das trifft nur für den Aspekt des krankhaften Übergewichts zu, was immerhin 19 Prozent der Menschen mit einem Einkommen von 800 bis 1.400 Euro betrifft, aber nur 10 Prozent der Menschen mit Einkommen über 2.000 Euro. Arbeitslose sind mit 26 Prozent deutlich häufiger adipös als Erwerbstätige. Aber auch die kommen auf 13 Prozent.
Es könnte also auch sein, dass die Ernährung – vor allem die mit Zucker und Fett gesättigten Fertigprodukte aus den Supermärkten – ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Entwicklung von Übergewicht hat. Was eine viel detailliertere Befragung braucht. Denn Übergewichtige findet man in allen Einkommensgruppen. Ganz normales (also noch nicht krankhaftes) Übergewicht haben 35 Prozent der Leipziger. Ein Wert, der gegenüber 2013 übrigens um 2 Prozent gestiegen ist, ebenso wie der bei Adipositas (13 auf 15 Prozent).
„Reiche“ Leipziger haben übrigens noch häufiger ein „normales“ Übergewicht als „arme“ Leipziger.
Und unübersehbar ist auch, dass der Anteil der Übergewichtigen und Adipösen mit zunehmendem Lebensalter deutlich steigt – insgesamt von 32 Prozent bei den 18- bis 34-Jährigen auf 66 Prozent bei den über 65-Jährigen.
Es gibt also ein Übergewichtsproblem bei einem Viertel der jungen Leipziger. Aber zur viel beschworenen „Zivilisationskrankheit“ wird Adipositas vor allem durch das zunehmende Lebensalter der Leipziger. Und ob man dem mit „mehr Sport“ beikommt, ist eher fraglich. Da müsste wohl eine ganze Menge mehr im normalen Lebensalltag passieren – bei der Ernährung angefangen.
Womit man dann wieder beim Geld wäre und der Möglichkeit, sich in Leipzig für wenig Geld gesund zu ernähren.
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