Am 25. Februar saß Leipzigs Fluglärm-Kuschelrunde wieder mal zusammen. Da tagte das Dialogforum Flughafen, das seit 2013 existiert und ein wenig die etwas fluglahme Fluglärmkommission des Flughafens Leipzig/Halle ergänzen sollte. Auch ein bisschen stärker die Belange der Bürger und Initiativen einbringen sollte. Am Donnerstag, 25. Februar, beschäftigte man sich mit der berühmten NORAH-Studie.
Im Dialogforum sitzen Vertreter der Stadt Leipzig, des Flughafens Leipzig/Halle, von DHL sowie Bürgerinitiativen und Stadtratsfraktionen. Die erste Zusammenfassung der Runde am Donnerstag verschickte das Umweltdezernat der Stadt. Da hat man vielleicht wirklich nur gehört, was man hören wollte.
Vorgestellt wurden die Ergebnisse der Studie, die in drei Befragungswellen 2011 bis 2013 im Bereich des Flughafens Frankfurt mit Querschnittsuntersuchungen an den Flughäfen Köln/Bonn, Berlin-Schönefeld und Stuttgart durchgeführt wurde, von Dipl.-Psych. Dirk Schreckenberg vom Zentrum für angewandte Psychologie, Umwelt- und Sozialforschung in Hagen, und Dr. Uwe Müller vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. Köln, Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin.
Allein in der Dimension ist es eine weltweit einmalige Studie zu Auswirkungen des Verkehrslärms auf den Menschen.
Ein interdisziplinäres Konsortium aus Wissenschaftlern unter Leitung der Ruhr-Universität Bochum hatte über einen Längsschnitt von drei Jahren Auswirkungen des Verkehrslärms auf die allgemeine Lebensqualität, den Schlaf, auf Krankheitsrisiken, auf den Blutdruck und die besonderen Auswirkungen des Lärms auf Kinder untersucht. Dipl.-Psych. Dirk Schreckenberg, Co-Leiter der Gesamtstudie und verantwortlich für die Studie zur Lebensqualität, hatte mit seinem Team im Zeitraum 2011 bis 2013 knapp 10.000 Menschen befragt und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass der Fluglärm im Vergleich zum Straßen-, und Schienenlärm als besonders belästigend empfunden wird und dass neben dem objektiven Verkehrslärmpegel auch die Einstellungen der Menschen und das Vertrauen in die Akteure dafür relevant sind, wie der Lärm wahrgenommen wird.
Eine Einschätzung, die ihre Schwachstellen hat, denn wesentliche Parameter zur Art des Fluglärms wurden von der Studie eben nicht erfasst. Einige Effekte, die beobachtet wurden, haben tatsächlich direkt mit der Einführung der Kernruhezeit von 23 bis 5 Uhr in Frankfurt zu tun.
Dazu kommen wir noch.
Schreckenberg sieht in einem effektiven Lärmmanagement an der Quelle Möglichkeiten, wirkungsvoll etwas zu tun. Ebenso hätten das individuelle Bewältigungsvermögen und die Empfindlichkeit einen wesentlichen Einfluss auf die wahrgenommenen Belästigungen.
Wie sich der Lärm tatsächlich auf den Schlaf auswirkt, hat das Team unter Leitung von Dr. Uwe Müller zwischen 2011 und 2013 vor und nach der Eröffnung der neuen Landebahn Nordwest am Frankfurter Flughafen und mit Einführung der Kernruhezeit von 23 bis 5 Uhr untersucht.
Das zumindest für das Leipziger Umweltdezernat überraschende Ergebnis war, dass sich zwar die Aufwachhäufigkeit pro Nacht vermindert hatte, das subjektive Erleben guten Schlafs sich jedoch trotz Kernruhezeit und unabhängig von der objektiven Fluglärmbelastung verschlechterte.
Und dann orakelt das Leipziger Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport: „Was die Ergebnisse für die Leipziger Situation bedeuten und welche Ansatzpunkte daraus entstehen, wird im Dialogforum weiter zu diskutieren sein.“
Da wurde die NORAH-Studie (NORAH steht für Noise-Related Annoyance, Cognition, and Health), die durch die „Gemeinnützige Umwelthaus GmbH“, einer 100-prozentigen Tochter des Landes Hessen, für 9,85 Millionen Euro in Auftrag gegeben worden war, entweder nicht allzu detailliert besprochen – immerhin stecken die Ergebnisse in sieben Bänden, die seit 2015 vorliegen. Oder die städtischen Vertreter wollten das, was wichtig war, nicht hören.
Denn die Studie machte sehr deutlich, dass man es beim Fluglärm mit einer besonderen Lärmquelle zu tun hat, die sich deutlich im Lärmempfinden bei Straßen- und Schienenlärm unterscheidet. Letztere werden – selbst bei gleicher Pegelstärke – als deutlich weniger störend empfunden. Was in der Studie auf verschiedene Weise versucht wird zu erklären, aber ein Grund könnte auch der Anstieg der Lärmkurve sein.
So heißt es in Band 7 der Studie: „Vergleicht man den Anteil der hoch durch Luftverkehrsgeräusche belästigten Personen mit den Anteilen durch Straßen- und Schienenverkehrsgeräusche hoch belästigter Personen, so wird ein Unterschied in den Quellenarten deutlich. Bei gleichen 24h-Mittelungspegeln waren deutlich mehr Menschen durch Luftverkehrs- als durch Straßen- oder Schienenverkehrsgeräusche hoch belästigt. Dieser Unterschied in den Quellenarten bestätigt jahrzehntelang bekannte Befunde in der Lärmbelästigungsforschung …“
Man sieht also ein jahrzehntelanges Faktum aus der Lärmbelästigungsforschung bestätigt: Gleich lauter Fluglärm wird als störender empfunden als Straßen- und Schienenlärm.
Eine begründete Vermutung, die ebenfalls dort nachgelesen werden kann: „Ob diese Bewertungsunterschiede oder akustische Aspekte wie z.B. eine unterschiedliche Pegelanstiegssteilheit für die Wirkungsunterschiede der Verkehrslärmquellenarten verantwortlich sind, kann letztlich nicht geklärt werden, da außer dem Dauerschall- und dem mittleren Maximalpegel keine weiteren (psycho-)akustischen Parameter vorliegen.“
Und genau an solchen Stellen erweist sich die 9,85 Millionen Euro teure Studie als wattig. Sie bestätigt, dass eine Ursache für das verstärkte Störungsempfinden zum Beispiel in der „Pegelanstiegssteilheit“ stecken könnte – aber man hat dazu keine Daten erhoben. Als wenn Flughafenanwohner es nicht genauso erleben: Sie werden nicht von langsam anschwellendem Fluglärm aus dem Schlaf gerissen, sondern von einem Dröhnen, das auf einmal mitten hinein hallt in die ersten Träume.
Logisch, dass da der ganze Körper sofort auf Alarm schaltet und Adrenalin durch die Blutbahnen gepumpt wird.
Womit wir zu einem zweiten Stück Erkenntnis kommen aus der NORAH-Studie, das direkt mit Einführung der Nachtruhezeit zu tun hat. Denn die Ergebnisse „zeigen, dass ein Rückgang der berichteten Schlafstörungen insbesondere bezogen auf Störungen des Nachtschlafs, also des Durchschlafens, festzustellen ist. Die auf die Einschlafphase bezogenen Störungen blieben demgegenüber weitgehend unverändert, berichtete Störungen beim Ausschlafen nahmen im Grad eher zu. Der gesamte Rückgang in den Schlafstörungen wäre demnach lediglich eine Reaktion auf den Pegelrückgang in der Durchschlafphase und keine generelle ins Positive ‚überschießende‘ Reaktion.“
Was eigentlich die ganz normale Schlafforschung bestätigt: Am leichtesten aus dem Schlaf gerissen wird der Mensch nun einmal in der Einschlafphase und in der Aufwachphase. Mit der Kernruhezeit von 23 bis 5 Uhr wurden die Anwohner des Flughafens Frankfurt vor allem in der Tiefschlafphase verschont. Sie vermeldeten in dieser Phase deutlich weniger Störungen, dafür ein deutlich verstärktes Störempfinden in der Nachtrandphase. Dass heißt: Es sollte durchaus eine Rolle spielen, ob Menschen vor 23 Uhr ihren Stresspegel senken können und nicht schon wieder um 5 Uhr mit Stress geweckt werden. Gerade in den empfindlichsten Schlafphasen wird also weiter geflogen.
Dabei wissen Schlafforscher, dass man eigentlich schon Stunden vor dem Schlafversuch auch den Stresslevel deutlich senken sollte – nicht nur, indem man auf Kaffee und Aufputschmittel verzichtet, sondern auch auf ausgedehnte Fernseh-Orgien verzichten sollte und (seit neuestem mit hunderten Warnungen zu lesen) auch elektronische Geräte wie PCs, Tablets und Smartphones ausschalten sollte.
Diffus werden die Forschungen, weil den Probanden natürlich im Schlaf zumeist auch das genaue Zeitgefühl abhanden kommt. Mit den Worten der Studie: „Beides lässt vermuten, dass es für Befragte schwierig ist, retrospektiv ein integratives Urteil über konkrete Störungen während der Schlafenszeiten (beim Einschlafen, Durchschlafen, Ausschlafen) vorzunehmen.“
Aber eines steht fest und sollte auch für den Flughafen Leipzig/Halle gelten, in dessen Umgebung in der Nacht oft nicht nur Lärmpegel von 60 oder 65 dB (A) gemessen werden, sondern mit schweren Maschinen und solchen älterer Bauart auch deutlich über 70 dB (A). Und da diese Maschinen zumeist nicht in der Nachtrandzeit starten, sondern zumeist gegen 1 oder 2 Uhr in die Luft gehievt werden, sorgen sie in der Regel für genau die Aufwachmomente, die mit weiteren Ketten von Störungen, wenn die Frachtflieger im 5-Minuten-Takt starten, auch nicht mehr in einen (Tief-)Schlaf führen.
Aber zumindest für Frankfurt gilt: „Die Korrelationen mit der Zahl von Flugbewegungen fiel durchweg bei der Lärmbelästigung und den Schlafstörungen niedriger aus, so dass anzunehmen ist, dass zumindest für die berichteten Schlafstörungen in dieser Studie die Höhe der Geräuschpegel relevanter ist als deren Häufigkeit.“
Der fehlende Fluglärm zwischen 23 und 5 Uhr führte also zu weniger Aufwachereignissen.
Mit der deutlich ausgesprochenen Einschränkung: „Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es am Flughafen Frankfurt erstens schon ab März 2011 Änderungen des Flugbetriebs gab und es zweitens im Zuge der Inbetriebnahme der vierten Bahn lokal sowohl zu Be- als auch Entlastungen gekommen ist.“
Das heißt: Eigentlich hätte man das volle Jahr 2010 mit in die Studie aufnehmen müssen, um überhaupt einen Vergleich zu einem voll geflogenen Jahr zu haben.
Aber selbst das, was in der NORAH-Studie beobachtet wurde, macht deutlich, dass die Anwohner des Flughafens Leipzig/Halle noch weit davon entfernt sind, auch nur annähernd so beruhigende Verhältnisse zu haben wie die Frankfurter.
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