Ein Leipziger Pilotprojekt zeigt: Die Mehrheit der älteren Langzeitarbeitslosen (66 %) leidet an psychischen Erkrankungen, die bisher nicht erkannt oder nicht optimal behandelt wurden. Diese sind häufig eine wichtige Ursache der Arbeitslosigkeit und verhindern die Reintegration in den Arbeitsmarkt. In Leipzig wurde deshalb seit 2011 das Modellprojekt "Psychosoziales Coaching" erprobt, das sich psychischer Erkrankung als beseitigbares Vermittlungshemmnis zuwendet.

Ziel des Interventionsprogramms ist es, nicht oder nicht optimal behandelte psychische Erkrankungen bei älteren Langzeitarbeitslosen zu erkennen und den betroffenen Personen Hilfe zu vermitteln.

„Viele glauben, dass Langzeitarbeitslose durch die Arbeitslosigkeit psychisch erkranken. Häufig besteht eher ein umgekehrter Zusammenhang: Depressionen, aber auch andere psychische Erkrankungen führen zu Arbeitslosigkeit und erschweren den Weg zurück in die Arbeit. Hier setzen wir mit dem Psychosozialen Coaching an: Wir sorgen dafür, dass die psychischen Erkrankungen gut behandelt werden und steigern damit die Chancen für den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Projektleiter und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Über 90 % der Betroffenen nicht optimal behandelt

Seit Beginn des Modellprojekts des Jobcenters und der Medizinischen Fakultät in Leipzig im Mai 2011 wurden 852 Klienten beraten: Davon wiesen 560 (66 %) mindestens eine psychische Erkrankung auf. Von diesen 560 psychisch erkrankten Klienten wurden lediglich 35 (6 %) bereits optimal, das heißt leitlinienkonform, behandelt. Dagegen erhielten 525 Klienten (94 %) keine bzw. lediglich eine unzureichende Behandlung.

In der Einzelberatung bekamen die Betroffenen Behandlungsempfehlungen und wurden bei der Suche nach einem Behandlungsplatz begleitet. Eine fachärztliche und/oder psychotherapeutische Behandlung wurde 329 Klienten (63 %) ohne Behandlung bzw. mit unzureichender Behandlung empfohlen. Beratungsstellen (z.B. bei Suchtproblematiken) wurden 85 Klienten (16 %) und sonstige psychosoziale bzw. medizinische Versorgungsangebote 76 Klienten (15 %) angeraten.

24 % der Teilnehmenden am Psychosozialen Coaching haben inzwischen wieder eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aufgenommen, was eine unerwartet hohe Reintegrationsrate darstellt.

„Das Psychosoziale Coaching ist damit ein wirkungsvoller Baustein, der Barrieren für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt abbaut“, betont Prof. Ulrich Hegerl.
Ausweitung auf andere Städte

Über die Stiftung Deutsche Depressionshilfe soll das erfolgreich erprobte Konzept nun auf andere Regionen Deutschlands übertragen werden.

„Wir haben mit dem Modellprojekt in Leipzig gesehen, dass viele psychische Erkrankungen ein gut zu beseitigendes Vermittlungshemmnis sind. Deshalb hat die Stiftung Deutsche Depressionshilfe nun eine Koordinationsstelle eingerichtet, welche das Konzept auf andere Regionen ausweiten und somit ein Netzwerk Psychosoziales Coaching aufbauen will. Ein weiteres Ziel ist es, das Angebot an andere Altersgruppen anzupassen“, fügt Prof. Ulrich Hegerl hinzu. Unterstützt wird die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hierbei durch die Deutsche Bahn Stiftung, mit der seit 2014 eine Kooperation besteht.

Im Rahmen des Programmes werden Vermittlungsfachkräfte in den Jobcentern von Mitarbeitern des Psychosozialen Coachings geschult, Hinweise auf psychische Erkrankungen zu erkennen. Betroffenen Kunden wird dann eine freiwillige Teilnahme am Psychosozialen Coaching angeboten.

Bei einem Erstgespräch mit einem Psychologen werden eine ausführliche Anamnese sowie ein klinisches Diagnostikgespräch durchgeführt. Im Anschluss erhält der Kunde Informationen zu seiner psychischen Erkrankung, eine Beratung zu Behandlungsmöglichkeiten, Kurzinterventionen und die Möglichkeit an Gruppenprogrammen (Entspannung, Stressbewältigung, Aktiver Alltag, Kontakt und Kommunikation) teilzunehmen. Ein Betroffener sagt dazu: „Mir hat das Psychosoziale Coaching sehr geholfen. Ich wurde durch die Gruppenprogramme offener und konnte mit Anderen Kontakte schließen. Mithilfe der Psychologinnen habe ich neuen Mut gefasst und wieder eine Tätigkeit aufgenommen.“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar