2009 war das, als die Schweinegrippe H1N1 weltweit die Medien und die Politik in helle Panik versetzte. Das Virus schien so gefährlich zu sein, dass die Regierungen bereit waren, Milliarden Euro locker zu machen, um zwei viel versprechende Allheilmittel in riesigen Mengen zu kaufen und einzulagern. Dagegen war die Nachricht im April 2014 eher Teil des gewöhnlichen Meldungsstroms. "Spiegel Online" titelte zum Beispiel: "Grippemittel Tamiflu nutzt nichts".
Es war mit diesem vielgepriesenen Grippemittel wohl genauso wie mit vielen anderen Medikamenten, die jedes Jahr von den großen Pharmakonzernen auf den Markt gedrückt werden: Man hatte die positiven Wirkungen etwas aufgehübscht, viel Remmidemmi um das Revolutionäre des neuen Wundermittels gemacht und dafür nicht allzuviel darüber geredet, dass sie Wirkungen wohl doch nicht so mächtig gewaltig sind wie versprochen. Das Problem ist oft: Die großen Konzerne gehen meist nur mit jenen Studien an die Öffentlichkeit, die die positiven Wirkungen ihrer neuen Medikamente zu belegen scheinen. Umfassende oder gar vergleichende Studien finden meist nicht statt oder bleiben, wenn sie den gewünschten Effekt nicht belegen, unter Verschluss.
Die Cochrane Collaboration hatte 20 zugängliche Studien mit Tamiflu und 26 zu Relenza untersucht und am Ende nur noch einen relativ bescheidenen Effekt belegt gefunden: Beide Medikamente verkürzten die Zeit der Grippesymptome etwas. Und dabei blieb es nicht. “Spiegel Online”: “Das neueste Update der Cochrane Collaboration habe sogar noch eine Schippe draufgelegt: Je mehr Daten für die Metaanalysen vom Hersteller zur Verfügung gestellt worden seien, desto mehr habe der therapeutische Nutzen des Mittels abgenommen. Nun seien in der aktuellen Auswertung in Form von Nebenwirkungen sogar noch Risiken hinzugekommen.”
Nun sind wir wieder in der üblichen Grippezeit. Da fanden es die Grünen im Sächsischen Landtag mal angebracht nachzufragen, was aus den sächsischen Tamiflu- und Relenza-Beständen geworden ist und wie die Staatsregierung in den nächsten Jahren mit dem Thema umgehen will. Hat die Regierung überhaupt eine Strategie, mit einer wirklich großen Pandemie umzugehen? – Und 2009 war es wirklich keine, außer in den närrisch gewordenen Großmedien.
“Wohlwissend, dass der Nutzen fraglich und die Kosten immens hoch sind, hält die Staatsregierung an einer weiteren Bevorratung und einem möglichen Einsatz der Grippemittel Tamiflu und Relenza fest. Die begründeten Zweifel an der Wirksamkeit dieser Medikamente hindern sie nicht, sich unhinterfragt auf die Einschätzung der Bundesregierung zu verlassen”, stellt nun Volkmar Zschocke, Vorsitzender und gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, fest, nachdem alle drei Anfragen der Grünen beantwortet wurden. “Wir meinen: Die Staatsregierung muss selbst die Verantwortung für die Gesundheit der hiesigen Bevölkerung übernehmen und darf die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht weiter ausblenden. Sie muss darauf reagieren, dass bislang kein wirksames antivirales Medikament für den Fall einer schwerwiegenden Influenzapandemie, wie beispielsweise der Vogelgrippe, auf dem Markt existiert.”
Denn ganz ungeprüft ging ja auch die Cochrane-Analyse nicht durch. Das Bundesgesundheitsministerium hatte eine erste Kritik dazu schon 2012 überprüfen lassen und die beiden beauftragten Institute waren zu dem Ergebnis gekommen, es seien “keine (medikamentösen) Behandlungsmaßnahmen bekannt, die den Zeitraum bis zur Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe nachgewiesenermaßen effektiver überbrücken können”. Wirksam sind vor allem die verwendeten Neuraminidase-Hemmer.Aber – und das steht so nicht in der Antwort von Sozialministerin Christine Clauß: Die Cochrane Collaboration hat sich für ihre Analyse tatsächlich die einzelnen Neuraminidase-Hemmer zum Thema genommen und ihre Wirkung untersucht. Das Ergebnis ist so auch im entsprechenden Wikipedia-Artikel nachzulesen: “2014 wurden nach Untersuchungen der Cochrane Collaboration jedoch Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit der Neuraminidasehemmer Oseltamivir und Zanamivir laut. Die Metaanalyse fand bei einer Behandlung mit Zanamivir bei Erwachsenen eine Verkürzung der Erkrankungsdauer von 6,6 auf 6 Tage. Jedoch hatte Zanamivir keinen Einfluss auf die Häufigkeit schwerer Verlaufsformen wie Pneumonie oder Bronchitis. Die gleiche Metaanalyse fand bei einer Behandlung mit Oseltamivir bei Erwachsenen eine Verkürzung der Erkrankungsdauer von 7 auf 6,3 Tage. Jedoch hatte Oseltamivir keinen Einfluss auf die Häufigkeit schwerer Verlaufsformen wie Pneumonie oder Bronchitis und konnte nicht den Anteil der Patienten reduzieren, die stationär ins Krankenhaus aufgenommen werden mussten.”
Die Gabe der Medikamente verkürzte zwar für Betroffene die Erkrankungsdauer ein wenig – aber gerade auf die medial so stark propagierten schweren Krankheitsverläufe hatten beide eingesetzten Neraminidase-Hemmer keinen Einfluss. Das klingt schon sehr nach einem guten Geschäft für die Pharma-Riesen, die ein eher für leichte Grippeverläufe nützliches Medikament als Lösung für schwere Grippewellen anpriesen und reihenweise Regierungen dazu brachten, die Medikamente zu ordern und zu horten.
Die sächsische Bestellungen von Tamiflu und Relenza liegen nach wie vor in den Lagern und kosten jedes Jahr eine fünfstellige Summe. Aber mit welchem Nutzen eigentlich, fragt sich Volkmar Zschocke, wenn die Ministerin gleichzeitig noch betont: “Die Sächsische Staatsregierung unterstützt die Bevorratung mit antiviralen Arzneimitteln in vollem Umfang.”
“Eine Kosten-Nutzen-Bewertung der Medikamente ist unerlässlich, da die Haltbarkeit der in Sachsen eingelagerten Medikamente für Tamiflu im Jahr 2016 und für Relenza bereits im Jahr 2015 endet”, kommentiert Zschocke. “Bevor erneut Millionen Euro für deren Neubeschaffung ausgegeben werden, muss sich die Staatsregierung aktiv für die Überarbeitung des nationalen Pandemiplanes auf Bundesebene einsetzen. Dieser sieht vor, für 20 Prozent der Bevölkerung die, in ihrer Wirksamkeit äußerst fragwürdigen, antiviralen Medikamente einzulagern. Bislang ist das Interesse der Staatsregierung daran jedoch gering, wie die Antworten auf die Kleine Anfrage ‘Antivirale Arzneimittel – Bund-/Länderzuständigkeiten’ (Drs. 6/14) zeigen. Abwarten kann bei diesem Thema lebensgefährlich werden.”
Das Einlagern von Medikamenten, die im Ernstfall nicht wirklich das Allheilmittel sind, kann nicht die Lösung sein. Wenn Sachsen schon Verantwortung übernehmen will, dann gehört dazu auch deutlich mehr eigenes Wissen um Pandemien und den vorsorglichen Umgang mit ihnen, findet Zschocke: “Wir fordern darüber hinaus von der Staatsregierung, die sofortige Verstärkung der öffentlichen Forschung zur Prävention und zu Therapiemöglichkeiten pandemischer Grippeinfektionen, um heute – und nicht erst wieder im Pandemiefall – angemessene Vorkehrungen treffen zu können und Verunsicherungen in der Bevölkerung wirksam entgegentreten zu können.”
Wikipedia zu Neuraminidase-Hemmern: http://de.wikipedia.org/wiki/Neuraminidase-Hemmer
Spiegel Online: “Neue Daten: Grippemittel Tamiflu nutzt nichts”: www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/tamiflu-umstrittenes-grippemittel-hat-keinen-nutzen-a-963768.html
Die Kleine Anfrage GRÜNE “Antivirale Arzneimittel – Kosten für Sachsen” (Drs. 6/12) als PDF zum Download.
Die Kleine Anfrage GRÜNE “Antivirale Arzneimittel – Bevorratung in Sachsen” (Drs. 6/13) als PDF zum Download.
Die Kleine Anfrage GRÜNE “Antivirale Arzneimittel – Bund/-Länderzuständigkeiten” (Drs. 6/14) als PDF zum Download.
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