Malen, Kneten und Basteln - das haben wir wohl alle zu Hause, im Kindergarten oder in der Grundschule gelernt. Doch vor allem die nachwachsenden Generationen beschäftigen sich zu wenig mit diesen Tätigkeiten, meinen die Ergotherapeutinnen Katrin Hoyer und Anke Böttcher des Ergotherapiezentrums Leipzig im Vorfeld der Leipziger Messe modell-hobby-spiel.
Im Gespräch erklärten sie, warum es wichtig ist, sich handwerklich und kreativ zu beschäftigen.
Rund 10 bis 15 Prozent der deutschen Kinder leiden an grafomotorischen Störungen, also an feinmotorischen Schwierigkeiten im Umgang mit Schreibgeräten, so der Deutsche Verband der Ergotherapeuten e.V. (DVE). Die Ursachen für die Defizite sind vielfältig: von einem mangelnden Körpergefühl über eine zu schwach ausgeprägte Auge-Hand-Koordination bis hin zu Problemen mit Präzisionsgriffen, die unter anderem benötigt werden, um kleine Gegenstände zu ergreifen. Durch kontinuierliches Üben können solche Fertigkeiten gefördert werden. Kinder trainieren durch spielerische Aktivitäten nicht nur ihr körperliches und feinmotorisches Geschick, sie lernen auch sich auszudrücken und eignen sich kommunikative sowie interaktive Fertigkeiten an.
“Gezielt ausgewählte und eingesetzte Spiele und Spielmaterialien, wie Steckspiele, Puzzles, aber auch Malen, Zeichnen und Schneiden im Rahmen der Ergotherapie, verbessern nachweislich die Feinmotorik, die Auge-Hand-Koordination und die Fingergeschicklichkeit. Dies haben mehrere randomisierte kontrollierte Therapiestudien bereits gezeigt”, so Arnd Longrée, Vorsitzender des DVE.
Derzeit aber wachse eine Generation von Kindern heran, denen es an Selbstständigkeit, Fingerfertigkeit und gestalterischer Betätigungen mangele, berichten Katrin Hoyer und Anke Böttcher vom Ergotherapiezentrum Leipzig. Wird das nicht rechtzeitig erkannt, seien die Folgen für Körper und Seele mitunter groß. Kinder, die in der ersten Klasse den Stift nicht richtig halten können, haben dementsprechend große Schwierigkeiten schreiben zu lernen. Auch die Ausübung von anderen feinmotorischen Tätigkeiten, wie das Schließen von Knöpfen und das Binden von Schnürsenkeln, fällt den betroffenen Schülern schwer. Andere Kinder wiederum weisen Konzentrationsschwächen, Wahrnehmungsstörungen oder Lernschwierigkeiten auf.Dadurch erschwere sich nicht nur der Alltag der Kinder, sondern auch das Selbstwertgefühl leide unter diesen Defiziten. “Sich selbstständig eine Aufgabe zu stellen, alles Zubehör zu beschaffen und am Ende vor einem eigenen Werk zu stehen, für das man dann auch noch gelobt wird – was kann einem Kind mehr Selbstvertrauen geben?”, fragt Katrin Hoyer.
Anke Böttcher unterstützt diesen Gedanken: “Viele Eltern fokussieren ihre Erziehung auf die Schulnoten. Zudem erlernen die Kinder heute schon im Kindergartenalter ein Instrument, eine Fremdsprache und gehen zum Sport. Bei einem so vollen Terminkalender bleibt kaum Zeit für eigenständige, kreative Räume, in denen die Kinder für sich etwas entdecken, ausprobieren und gestalten können.”
Auch die Empfehlung des Deutschen Verbands der Ergotherapeuten stützt sich auf diese These: “Kinder, die sich durch Basteln oder Bauen beschäftigen, verfügen oft über bessere Fingerfertigkeiten.”
Ziel der Ergotherapie ist bei Kindern wie Erwachsenen: Der Mensch sollte am Ende der Therapie in seinem Alltag (wieder) voll handlungsfähig sein, an der Gesellschaft teilhaben können und über eine verbesserte Lebensqualität verfügen. Auf dem Weg dahin erlernen und trainieren die großen und kleinen Patienten verschiedene Fertigkeiten und Tätigkeiten, die ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden steigern.Das Arbeiten mit Ton beispielsweise stärkt den Kraftaufbau in der Hand. Flechten schult die Fingerfertigkeit, stärkt auch die Muskulatur der Hand und fördert die Konzentration. Ebenso verbessert Spielen bestimmte kindliche Fähigkeiten. Bei der Auswahl kommt es deshalb darauf an, eine Über- oder Unterforderung des Kindes zu vermeiden, um vorhandene Defizite durch spielerische Übungsformen ausgleichen zu können. Hierbei bieten Ergotherapeuten professionelle Unterstützung. Ergotherapie wird vom Arzt verordnet, etwa dem Kinder- und Jugendarzt, und von den Krankenkassen erstattet.
Ein weiterer wichtiger Baustein der Therapie ist das Lob.
“Gelobt wird viel zu wenig in unserer Gesellschaft”, erläutert Anke Böttcher. “Die Anerkennung für eine Keramik, ein Bild oder einen Korb baut die Patienten auf und ermuntert sie auch für andere Ziele im Leben.” Das gelte für ältere Patienten genauso wie für Kinder. Katrin Hoyer bestätigt, dass auch Menschen, die psychisch krank würden oder nach einem Unfall in ihrer Mobilität eingeschränkt seien, Zuspruch und Training bräuchten: “Manch einer entdeckt über die Ergotherapie ein Hobby wie Malen, Töpfern oder Holzsägen für sich”.
Zahlreiche neue Trends und Ideen gibt es vom 5. bis 7. Oktober 2012 zur Leipziger Messe modell-hobby-spiel. Außerdem können Besucher vor Ort zahlreiche Workshops in den Bereichen Modellbau, Modellbahn, Kreatives Gestalten und Spiel besuchen. Am ersten Messetag findet das Projekt “Schule mal anders” statt. An diesem Tag kommen mehr als 2.000 Schüler auf das Leipziger Messegelände und lernen neue Hobbys kennen.
Die Messe für die Kreativen: www.modell-hobby-spiel.de
Der Deutsche Verband der Ergotherapeuten: www.dve.info
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