Es stand im "Gesundheitsbericht 2011", den die AOK Sachsen am 4. April veröffentlicht hat. Schon Kinder seien in hohem Maße von psychischen Erkrankungen betroffen, erklärte dazu Rolf Steinbronn, Vorsitzender des Vorstandes der AOK PLUS. "Es sind schier unfassbare Zahlen: 58.592 Kinder bis 12 Jahre wurden 2010 in Sachsen wegen einer psychischen Erkrankung ambulant behandelt."

“Das ist jedes vierte Kind!”, so Steinbronn, Für 3,5 Millionen Euro wurden allein an AOK-PLUS-Versicherte unter 18 Jahren Psychostimulanzien verordnet. Auch andere Krankenkassen haben vor der Entwicklung schon mehrfach gewarnt. Aber was sind die Ursachen dafür?

“Es geht oft mit Übergewicht los”, schildert Peter Schwarz, Professor für Prävention und Versorgung des Diabetes an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, den Einstieg in eine “Psycho-Karriere”. Folgen seien beispielsweise Hänseleien, die die Kinder verunsichern und zu mangelndem Selbstbewusstsein führen könnten. Es sei deshalb ganz wichtig, bereits im frühen Kindesalter Präventionsprogramme anzubieten.
Aber das allein kann es nicht sein. Denn dass die Kinder tatsächlich psychisch krank sind, darf bezweifelt werden. Sie leiden nur, wie es aussieht, immer stärker unter einem Bildungssystem, in dem die persönlichen Leistungsmöglichkeiten und Voraussetzungen immer weniger berücksichtigt werden und selbst die Lehrer nur noch Teil einer kaputtgesparten Maschinerie sind.

“Die dramatische Situation, dass in Sachsen bereits jedes vierte Kind unter 12 Jahren eine ambulante psychologische Behandlung in Anspruch nimmt und dabei insgesamt 1,1 Tonnen Ritalin und für unter 18-Jährige allein im Jahr 2010 Psychopharmaka im Wert von 3,5 Millionen Euro verordnet wurden, spiegelt eine gesellschaftliche Schieflage wieder”, erklärt dazu Annekatrin Klepsch, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion. “Eine Gesellschaft, die auch in Sachsen auseinanderdriftet in verfestigte Armutslagen von Familien einerseits und beruflich gestresste Eltern andererseits, muss ihre Unterstützungssysteme entsprechend ausbauen.”

Dass Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten verstärkt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie landen und mit Medikamenten “abgefüllt” werden, könne keine Lösung für die gestiegenen Anforderungen an Eltern und Bildungssystem sein. “Stattdessen müssen niederschwellige Hilfen in Kindertagesstätten und Schulen sowie in der offenen Kinder- und Jugendarbeit ausgebaut werden”, so Klepsch. “Wenn die Wartezeit für einen Termin beim Schulpsychologen in Sachsen mehrere Wochen beträgt und auf eine Fachkraft bis zu 12.500 Schülerinnen und Schüler kommen, verschärfen sich vorhandene Probleme zum Nachteil der Kinder und Jugendlichen.”

Die Linke fordert die Staatsregierung deshalb auf, endlich Geld für die Beschäftigung von Schulsozialarbeitern und Schulpsychologen an allen Schulen bereit zu stellen sowie eine personelle Verstärkung von Kindertageseinrichtungen in sozialen Brennpunkten einzurichten. “Damit kann frühzeitig Familien und deren Kindern geholfen werden, ohne dass es wesentlich teurerer ärztlicher und medikamentöser Betreuung bedarf”, so Klepsch.

Die Mitteilung der AOK Sachsen zu Gesundheitsbericht 2011 als PDF zum download.

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