Sie sind sich wohl nie begegnet – und ob sie voneinander wussten, ist eher unwahrscheinlich: der Theologe, Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) und der Tischler und Hitler-Attentäter Georg Elser (1903–1945). Jedoch verbindet beide sehr viel. Denn beide Männer des Widerstands wurden am 9. April 1945 auf direkten Befehl Adolf Hitlers von den Nazis ermordet: Bonhoeffer wurde im KZ Flossenbürg gehängt, Elser im KZ Dachau durch einen Genickschuss hingerichtet.

Georg Elser war nicht nur ein freiheitsliebender Kommunist (ohne der KPD anzugehören). Er war auch ein überzeugter Christenmensch. Er gehörte zur evangelischen Kirche und zog seine so eindrucksvolle Hoffnungskraft und seine so konsequente Handlungsbereitschaft aus dem Glauben. Elser lebte diese Glaubwürdigkeit in der Christus-Nachfolge und ist in diesem Sinn wie Bonhoeffer ein Märtyrer der Kirche.

Mit dem von ihm minutiös geplanten, dann aber doch gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller am 08. November 1939 hat Elser das in konkretes Handeln umgesetzt, was Bonhoeffer das „Wagnis der auf eigenste Verantwortung hin geschehenen Tat“ nennt, „die allein das Böse im Zentrum zu treffen und zu überwinden vermag.“ 

So beantwortete Elser früher als andere die Frage, welche Schuld größer ist: die der Duldung oder die der Beseitigung der Hitlerdiktatur. Er gelangte wie später Bonhoeffer zu der Überzeugung: Wer nicht bereit ist, Hitler zu töten, wird – ob er will oder nicht – mitschuldig am Krieg und Massenmord. Andererseits litt Elser bis zu seiner Ermordung darunter, dass durch sein Attentat Menschen zu Tode gekommen sind. Er war sich darüber im Klaren, dass jede Anwendung von Gewalt eine Schuld ist und bleibt.

Er hätte sicher dem Gedanken Bonhoeffers zugestimmt: „Wer sich in der Verantwortung der Schuld entziehen will … stellt seine persönliche Unschuld über die Verantwortung für die Menschen, und er ist blind für die heillosere Schuld, die er gerade damit auf sich lädt.“ Allerdings haben weder Elser noch Bonhoeffer aus dieser Überzeugung ein politisches Programm gemacht. Beide eignen sich nicht dazu, den pazifistischen Ausgangspunkt für friedenspolitisches Handeln über Bord zu werfen – wie das gerade landauf, landab geschieht.

Es ist immer wieder eine Herausforderung für die Gedenkkultur, historische Persönlichkeiten vor falscher Instrumentalisierung zu schützen. Das gilt insbesondere auch für Dietrich Bonhoeffer. Wie Georg Elser hat er das Verbrecherische und Verwerfliche des Nationalsozialismus von Anfang an durchschaut. Obwohl er aus einem eher konservativen, großbürgerlich-protestantischen Elternhaus stammte, hat er die Christen schon vor 1933 davor gewarnt, dem Nationalsozialismus ideologisch und religiös den Weg zu bereiten.

Damals blickten große Teile der evangelischen Kirche noch sehnsuchts- und erwartungsvoll auf die sich anbahnende Hitlerdiktatur. In einer Predigt am 12. Juni 1932 in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche warnte Bonhoeffer: „Wir lesen, dass eine Regierung proklamiert, es solle ein ganzes Volk aus dem Zusammenbruch gerissen werden – durch die christliche Weltanschauung.

… ‚Im Namen Gottes, Amen‘, soll es wieder heißen, Religion soll wieder gepflegt … werden. Wie dürftig, wie schwach, wie jämmerlich klingt das alles … versteckt sich nicht gerade hinter unseren religiösen Tendenzen unser unbändiger Drang nach … Willkür -, im Namen Gottes das zu tun, was uns gefällt, im Namen der christlichen Weltanschauung das eine Volkstum gegen das andere auszuspielen und aufzuhetzen?“ 

Diese Sätze spiegeln die kritische Distanz wider, die Bonhoeffer gegenüber allem Religiösen an den Tag legte. Religion war für ihn ein Einfallstor für jede Ideologie und stand im Gegensatz zur „Teilnahme am Sein Jesu“. Darum klagte Bonhoeffer ein „religionsloses Christentum“ in einer mündig gewordenen Welt ein.

Darum plädierte er schon früh für die Diesseitigkeit des Glaubens: „Trachtet nach dem, was auf Erden ist! Daran entscheidet sich heute viel, ob wir Christen Kraft genug haben, der Welt zu bezeugen, dass wir keine Träumer und Wolkenwandler sind. Dass wir nicht die Dinge kommen und gehen lassen, wie sie sind, dass unser Glaube wirklich nicht das Opium ist, das uns zufrieden sein lässt inmitten einer ungerechten Welt. Sondern dass wir, gerade weil wir trachten nach dem, was droben ist, nur um so hartnäckiger und zielbewusster protestieren auf dieser Erde.“ So Bonhoeffer in einer Predigt vom 19. Juni 1932.

In den ersten Nachkriegsjahren hat sich die Evangelische Kirche zunächst sehr schwergetan, das Leben und Wirken Bonhoeffers zu würdigen (bis heute steht eine Würdigung Georg Elsers als aufrechten Christenmenschen durch die Kirche aus). Das lag auch daran, dass Bonhoeffer in der Bekennenden Kirche eher ein Außenseiter war. Seinen politischen Widerstand sah man durchaus kritisch.

1948 protestierten einige Bielefelder Pastoren gegen eine Straßenbenennung nach Dietrich Bonhoeffer, „weil wir die Namen unserer Amtsbrüder, die um ihres Glaubens willen getötet sind, nicht in eine Reihe mit politischen Märtyrern gestellt wissen wollen.“ 

Diese subtile Form der Ausgrenzung eines bedeutenden Theologen, dessen Glaube sich in einer dramatisch zugespitzten politischen Lage bewährte, ist genauso abwegig, wie heute die Instrumentalisierung Bonhoeffers durch evangelikale Gruppen und Trump-Anhänger in den Vereinigten Staaten im Rahmen ihrer ekelhaften Verharmlosungs- und Umwertungsstrategie. Da wird Bonhoeffer zum heroischen Vorläufer Donald Trumps pervertiert, der die Menschheit von der Tyrannei befreit. Der Vorwurf, dass dem auch der neue, leider nicht besonders gelungene Bonhoeffer-Film Vorschub leistet, ist aus meiner Sicht aber eher übertrieben.

Es bleibt wichtig, dass Bonhoeffers Diktum „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“ heute zumindest Kirche und Christen mahnt: Das Wesen des Christentums besteht „im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen“.

Damit verbietet sich jede Form von Nationalismus, Führerkult und Religion als ideologischer Überbau für ungerechte Systeme, rassistische Ausgrenzung und Militarismus. Das sollte uns gerade jetzt sehr bewusst sein.

Christian Wolff, geboren am 14. November 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er lebt in Leipzig und ist gesellschaftspolitisch in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens engagiert. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/ 

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