Die Wahl zum Bundestag ist vorbei, der neue Bundestag hat sich konstituiert und es fehlt nur noch die neue Regierung. Zu diesem Zwecke verhandeln CDU/CSU und SPD in Arbeitsgruppen ihren neuen Koalitionsvertrag. Ein Koalitionsvertrag ist, wie wir bei den letzten Regierungen gesehen haben, eine Willenserklärung zur künftigen Regierungsarbeit, er enthält Leitlinien für diese und meist überlebt er die Regierungszeit nicht.
Das Verhandlungspapier der „Arbeitsgruppe 1 (AG 1) – Innen, Recht, Migration und Integration“ wurde von netzpolitik.org geleakt, vielen Dank dafür, und gibt einen Einblick auf die Absichten der Koalitionäre. Ich beziehe mich bei den weiteren Ausführungen auf dieses Dokument, es stellt laut netzpolitik.org den Verhandlungsstand vom 24. März 2025 dar, eine unabhängige Prüfung konnte ich nicht vornehmen.
Warum die Behauptung, es würde am Rechtsstaat gerüttelt?
Beweislastumkehr
Die Koalitionäre haben sich in diesem Papier bereits geeinigt, dass im Strafrecht künftig eine vollständige Beweislastumkehr beim „Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft“, im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, und allgemein für die „strafrechtliche Vermögensabschöpfung“ gelten soll.
Warum ist das kritisch? Im Strafrecht eines Rechtsstaates gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, „Im Zweifel für den Angeklagten“, mit gutem Grund. Die Beweislast, das Erbringen von Beweisen für eine Straftat, liegt beim Ankläger. Eine Beweislastumkehr, der Beweis einer Rechtmäßigkeit des Handelns, kennt das Strafrecht bisher nicht.
Diese kennt z.B. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 22, wo der Beweis von Indizien für eine Ungleichbehandlung z.B. den Arbeitgeber verpflichtet, Beweise beizubringen, dass keine solche vorlag. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) definiert in § 477 die Beweislastumkehr: Hier muss z.B. der Verkäufer einer Ware, falls in den ersten 12 Monaten nach dem Verkauf ein Fehler auftritt, den Beweis erbringen, dass die Ware zum Zeitpunkt des Verkaufes fehlerfrei war. Juristisch klingen beide Paragrafen selbstverständlich anders, die gewählte Darstellung dient der Verständlichkeit.
Im Strafrecht wäre eine Beweislastumkehr auch eine Umgehung des Grundsatzes „Nemo tenetur se ipsum accusare (niemand darf gezwungen werden, sich [im Strafprozess] selbst zu belasten“, den Strafrechtler auch aus dem Grundgesetz ableiten, ebenfalls wird das Recht zu den Beschuldigungen zu schweigen angegriffen.
Noch soll die Beweislastumkehr nur für die oben genannten Fälle gelten, ist aber erst einmal eine Bresche in Grundsätze des Strafrechts geschlagen, sind auch andere Änderungen denk- und durchführbar.
Psychische Auffälligkeiten
Der Begriff taucht unter der Überschrift „Leistungsfähige Sicherheitsbehörden“ auf. Im Volltext lautet der Absatz: „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“
Das klingt nicht so schlimm, wie es ist. In Wirklichkeit beinhaltet dieser Absatz aber die Forderung von Carsten Linnemann vom 30. Dezember 2024 nach einem Register für psychisch kranke Gewalttäter. Es sei hier ein Zitat aus meinem Artikel zu dem Thema gestattet:
„Ein psychisch kranker Mensch ist einer, bei dem eine psychische Erkrankung durch Fachärzte festgestellt wurde. Ein Täter – ich reduziere den Begriff des Gewalttäters auf den juristischen Kern – ist jemand, der eine Tat begangen hat. Bis zur gerichtlichen Feststellung der Täterschaft ist dieser höchstens ein Verdächtiger.“
Mit der Formulierung im Verhandlungspapier: „Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten“ wird die damalige Forderung von Linnemann sogar verschärft. Es geht nicht mehr um psychisch erkrankte, sondern um psychisch auffällige Menschen, unabhängig davon, ob sie jemals kriminell waren.
Im Klartext: Menschen mit psychischen Erkrankungen aller Art und psychisch „auffällige“ Menschen, ohne jede Definition, was das beinhaltet, werden registriert und gescannt auf Risikopotentiale. Werden dann Menschen mit Angststörungen, mit AHDS, mit Bulimie, mit Depressionen oder Demenz unter Generalverdacht gestellt? Vor allem: Werden diese Menschen, eventuell unter Nutzung der Daten der ePa, der elektronischen Patientenakte, in ein Register überführt?
Ist das noch rechtsstaatliches Handeln?
Fazit: Ich habe nur zwei Punkte aus dem Papier behandelt, die mit einem rechtsstaatlichen Handeln unvereinbar erscheinen. Davon gibt es besonders bei den Themen Überwachung und Migration noch mehr. Die Intention der Koalitionäre betreffs Sicherheit ist verständlich. Muss man aber dafür Breschen in das Fundament des Rechtsstaates schlagen?
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