Ein Gerhart Baum schüttelt wahrscheinlich den Kopf und ein Guido Westerwelle dreht sich im Grab um: Die FDP unter Christian Lindner will wieder regieren und greift nach jedem Strohhalm im Wahlkampf. Nachdem der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki Ende 2024 von einem Aufwärtstrend schwärmte und die FDP im zweistelligen Bereich bei den Bundestagswahlen sah, erklärte nun Christian Lindner, wie das funktionieren soll.

Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur rief er laut einem Spiegel-Bericht die CDU auf, sie solle erklären, dass sie weder mit SPD noch mit den Grünen, sondern ausschließlich mit der FDP regieren wolle.

Wer von Christian Lindner Selbstkritik nach dem Ampel-Aus und dem D-Day-Desaster erwartet hat, der lag völlig daneben. Vielmehr sieht er sich und die FDP als die einzigen, die gemeinsam mit der CDU/CSU ein vermeintliches von ihm mit verursachtes Desaster beseitigen können.

Das klingt im Lindnerschen Duktus so: „Wenn Union und FDP gemeinsam sagen würden, wir sind bereit, für eine Mehrheit zu kämpfen, wählt nicht AfD und BSW, sondern gebt uns ein Mandat, damit wir ohne SPD und Grüne regieren können, würde das die politische Landschaft umwälzen.“

Lindner schätzt also ein, dass AfD und BSW-Wählerinnen und -Wähler potenzielle FDP-Wählende sind? Hat er schon einmal mit Friedrich Merz oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann über Militärhilfen für die Ukraine gesprochen und diese mit den Forderungen von Sahra Wagenknecht und Alice Weidel verglichen? Ein Tipp: Viele Menschen wählen AfD und BSW besonders wegen der Verweigerung von Militärhilfen.

Der Vorwurf Lindners: „Die CDU kämpft momentan noch mehr um das Kanzleramt und weniger für einen Politikwechsel“ wird Friedrich Merz wohl nicht allzu schwer treffen. Schließlich könnte er dem erwidern, dass die FDP momentan mehr um das politische Überleben als um diesen Politikwechsel kämpft. Das aber nur nebenbei.

Selbstverständlich hat Christian Lindner ein Lockmittel für potenziell AfD wählende Menschen im Wahlkampfgepäck. Er sagt: „Nach der gescheiterten Koalition mit SPD und Grünen kann ich Friedrich Merz nur vor der Illusion warnen, dass mit linken Parteien die grundlegend andere Wirtschafts- und Migrationspolitik erreichbar wäre.“ Wobei für diese Menschen, die er ansprechen will, die Betonung auf „grundlegend anderer Migrationspolitik“ liegt.

Diese Position besetzt die CDU, besonders mit Carsten Linnemann, schon selbst. Stimmen für die FDP würden dann wohl von dieser Wählerschaft kommen, das wird Merz nicht gefallen.

Es ist auch anzunehmen, dass Friedrich Merz seine Haltung nicht ohne Not ändern wird. Anfang 2024 hatte er klargestellt: „Die FDP muss aus eigener Kraft bei der nächsten Bundestagswahl dafür sorgen, dass wir mit ihr eine rechnerische Mehrheit haben. Dann könnten wir miteinander sprechen.“

Wie soll nun die FDP – aus eigener Kraft – den Einzug in den Bundestag mit einem nennenswerten Ergebnis schaffen? Dazu benötigt sie eigene Themen, mit denen sie Menschen mobilisieren kann. Das Betteln um Schützenhilfe bei der CDU ist kein solches Thema.

Fazit: Christian Lindner hat die FDP in eine Situation geführt, in der diese um das politische Überleben kämpfen muss. Schafft die FDP den Einzug in den Bundestag nicht, dann ist das für Lindner wohl das politische Ende. Er wird es aber wirtschaftlich überleben, seine Partei eher nicht.

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