Am 13. Januar starb der Verleger Dr. Wolfgang Tenzler. Mit ihm ist wohl der letzte aus der Riege der wichtigen DDR-Verleger im Alter von 94 Jahren gestorben. Dr. Wolfgang Tenzler wurde am 22. November 1930 im sรคchsischen Aue geboren. Nach dem Abitur 1950 arbeitete er als Hauer und Geophysiker in der Wismut AG in Oberschlehma. Von 1952 bis 1957 studierte er an der Friedrich-Schiller-Universitรคt Jena Philosophie und Kunstgeschichte. 1967 wurde er an der Martin-Luther-Universitรคt Halle zum Dr. phil. promoviert.

Nach Zwischenstationen als Journalist bei der Thรผringischen Landeszeitung in Erfurt und Leiter der Pressestelle der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands wurde er 1968 als Leiter des Buchverlags Der Morgen berufen, den er bis zu seiner Auflรถsung 1990 erfolgreich fรผhrte.

Buchverlag Der Morgen

Verlegerische Schwerpunkte des 1958 gegrรผndeten Buchverlages Der Morgen waren neben deutschsprachiger und auslรคndischer Belletristik der Gegenwart und des kulturellen Erbes Literatur zur Zeitgeschichte, Biografien, Memoiren, politische Monografien, Sachliteratur sowie politische Literatur. Insgesamt verรถffentlichte der Verlag Werke von insgesamt 1.700 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, darunter Stefan Heym, Maxie Wander und Hans Dietrich Genscher.

Ein Hรถhepunkt der Verlagsgeschichte war die Verรถffentlichung des Buches โ€žGuten Morgen, du Schรถneโ€œ von Maxi Wander im August 1977, das sich zum Longseller bis in die Gegenwart entwickelt hat. Das Buch wurde im Erscheinungsjahr allein in der DDR 60.000-mal verkauft. Das Buch war in der DDR, aber auch in Westdeutschland als Lizenzausgabe bei Luchterhand รคuรŸerst erfolgreich und erfuhr mehrere Neuauflagen, รœbersetzungen, etwa 600 Theaterinszenierungen und mehrere episodische Verfilmungen.

Verlag und Autorin schufen mit ihrer Art der verdichteten Interviewliteratur ein eigenes Genre, nach dessen Vorbild in der DDR weitere Portrรคtbรผcher entstanden. In einer Rezension von 2007 hieรŸ es: โ€žKein belletristisches Werk, das in der DDR entstanden war, hatte eine solche enorme Wirkung รผber einen lรคngeren Zeitraum wie โ€˜Guten Morgen, du Schรถneโ€™.โ€œ

Dem persรถnlichen Engagement von Dr. Wolfgang Tenzler ist es zu verdanken, dass ab Anfang der 1970er Jahre auch der lange Jahre verfemte Schriftsteller Stefan Heym wieder eine verlegerische Heimat in der DDR fand. So erschienen im Buchverlag Der Morgen zwischen 1972 und 1990 von Heym u.a. die Romane โ€žDer Kรถnig David Berichtโ€œ (1973); โ€žKreuzfahrer von heuteโ€œ (1983); โ€žAhasverโ€œ (1988); โ€žCollinโ€œ (1990); โ€žSchwarzenbergโ€œ (1990).

Mit der Reihe Mรคrkischer Dichtergarten leistete der Verlag einen wichtigen Beitrag zur Neurezeption der literarischen Romantik in der DDR. Die Buchreihe รผberraschte mit Werken von Dichtern und Dichterinnen des 18. und 19. Jahrhunderts aus der Mark Brandenburg und Berlin. Sie wurde von Gรผnter de Bruyn und Gerhard Wolf begrรผndet und erschien in den Jahren von 1980 bis 1997.

Eigene Verรถffentlichungen

1977 verรถffentliche Dr. Wolfgang Tenzler als Herausgeber den Band โ€žMeine sรผรŸe Augenweideโ€œ. Fรผnfzig deutsche Dichter (unter ihnen Lessing, Lichtenberg, Goethe, Jean Paul, Kleist, Heine, Keller, Fontane) sprechen รผber Ihre Erlebnisse mit Malern und Malerei. So entsteht ein facettenreiches Bild vom Leben und Werk europรคischer Kรผnstler wie Raffael, Michelangelo, Rembrandt, Ruysdael, Watteau, Delacroix, C.D. Friedrich, Menzel und Turner.

Quasi als Fortsetzung erschien 1982 โ€žรœber die Schรถnheit hรคsslicher Bilderโ€œ. Diese Sammlung vereint Stimmen von achtzig deutschsprachigen Schriftstellern, Dichtern und Kunstpublizisten zur modernen Malerei (1880 โ€“ 1933) und erรถffnet einen vielgestaltigen Einblick in die problemreichen Beziehungen zwischen Kรผnstlern und Kรผnsten im spรคten 19. und frรผhen 20. Jahrhundert.

Erotische Dichtung und Prosa von Christoph Martin Wieland versammelt der Band โ€žDie Kunst zu liebenโ€œ (1980).

โ€žDie Lust zu liebenโ€œ (1984 im Verlag Neues Leben erschienen) bรผndelt erotische Dichtung und Prosa aus vier Jahrtausenden: Vom Gilgamesch-Epos und dem Hohelied Salomos bis zu Texten von Maxie Wander sind hier kรผnstlerische Dokumente vereint, die die Liebe als โ€žsinnliches Geschehenโ€œ behandeln. Es wird deutlich, wie unterschiedlich die Rolle der Liebe in den verschiedenen Menschheitsepochen und auch deren Widerspiegelung in der Literatur war.

Das Ende des Verlages

1990 wandelte die Treuhandanstalt den Buchverlag in die Morgenbuch Verlags GmbH um. Spรคter wurde der Verlag an die Verlagsgruppe Spiess in Berlin verรคuรŸert. Noch bis 1999 erschienen unter dem Label Morgenbuch Bรผcher. Der Morgenbuchverlag ging mit der Verlagsgruppe Spiess zu Beginn des Jahres 2010 in die Insolvenz.

Das Archiv des Buchverlages Der Morgen steht heute in der Universitรคt Leipzig fรผr Forschung und Recherche zur Verfรผgung.

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