Drei Dinge vorneweg: Niemand kann wirklich das Leid derer ermessen, die durch den Doppelmord in Aschaffenburg ihren zweijรคhrigen Sohn, den Familienvater und Freund verloren haben. Dieses Leid, ausgelรถst durch ein horrendes Verbrechen, darf nicht in den Hintergrund geraten. Die Verantwortung fรผr den Doppelmord liegt vor allem und zuerst beim Tรคter, dem 28-jรคhrigen Enamullah Omarzai.

Seine Tat ist aber nicht daraus zu erklรคren, dass er aus Afghanistan stammt und ein Geflรผchteter ist. Seine Tat ist der (krankhafte) Ausdruck seiner verbrecherischen, Tod bringenden AnmaรŸung: nรคmlich รผber Leben und Tod anderer Menschen entscheiden zu kรถnnen. Kein Gesetz, keine Verordnung kann verhindern, dass ein Mensch sich รผber das 5. Gebot stellt โ€žDu sollst nicht tรถten!โ€œ 

Was nรถtig ist: Wir mรผssen gesellschaftlich alles dafรผr tun, dass jeder Mensch einsieht: Ein menschenwรผrdiges Zusammenleben ist nur mรถglich, wenn jede/-r das Lebensrecht des anderen anerkennt. Dafรผr ist staatliches Handeln unter den Bedingungen der Demokratie, einer menschenwรผrdigen Bildung und rechtsstaatlichen Ordnung notwendig.

Von demokratischen Parteien (insbesondere dann, wenn sie sich auf das christliche Menschenbild berufen) ist zu erwarten, dass sie โ€“ รคhnlich wie Gerichte โ€“ ihre Programme und Entscheidungen an den Grundrechten der Verfassung ausrichten. Das verhindert, dass sich Parteien in ihrem Handeln auf die Ebene derer ziehen lassen, die bewusst und gezielt Straftaten begehen. Die Ebene des Straftรคters ist: seinen Trieben, seinen Vorstellungen rรผcksichtslos und an allen Gesetzen vorbei freien Lauf zu lassen und das gewaltsam aus dem Weg zu rรคumen, was ihn stรถrt.

Die Ebene der Politik muss sein: Das Zusammenleben in einer Gesellschaft unter Wahrung der Menschenwรผrde mรถglichst gerecht zu gestalten und die AnmaรŸung einzelner, sich รผber das Gesetz zu stellen, mit den Mitteln einzudรคmmen, die den eigenen Werten entsprechen. Keine Regierung, kein Parlament, keine Behรถrde kann aber verhindern, dass ein Mensch dennoch zum Straftรคter wird.

Auf diesem Hintergrund kann ich es nur als erbรคrmlich ansehen, was sich seit dem Doppelmord von Aschaffenburg auf der politischen und medialen Ebene abspielt. Viele Medien haben die traurigen Ereignisse von Aschaffenburg zum Anlass genommen, das Migrationsthema zu pushen, zu skandalisieren und die behaupteten ร„ngste der Menschen zum MaรŸstab politischen Handelns zu machen.

Dabei wird die irrige Vorstellung befeuert: Wenn es keine Migration geben wรผrde, kรถnnte der zweijรคhrige Junge und der 41-jรคhrige Mann noch leben. Das ist eine abwegige Argumentation nach dem Motto: Wenn niemand mehr Auto fรคhrt, gibt es auch keine Verkehrstoten.

Mit dieser Art Propaganda aber werden die politischen Krรคfte befรถrdert, die der Bevรถlkerung einreden: Wir lassen niemanden mehr ins Land, und die, die keine Deutschen sind, werden ausgewiesen: Remigration. Differenzierung bleibt auf der Strecke, mit der fatalen Folge: Menschen mit Migrationshintergrund fรผhlen sich zunehmend unerwรผnscht.

Auf der politischen Ebene sieht es noch trauriger aus. Der Beschlussantrag der CDU/CSU, der gestern im Bundestag dank der von der CDU/CSU bewusst einkalkulierten Zustimmung der rechtsextremistischen AfD eine Mehrheit gefunden hat, suggeriert: Wenn wir die Grenzen dichtmachen, wird es keine Straftaten wie die in Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg geben. Er unterstellt zudem, dass die Straftaten mรถglich gemacht wurden durch mangelnde/fehlende staatliche Gesetze und Verordnungen.

Unabhรคngig davon, dass im Fall des Enamullah Omarzai ganz offensichtlich staatliche Behรถrden Vollzรผge versรคumt haben, entlastet eine solche Argumentation auf unertrรคgliche Weise den oder die Straftรคter! Hinzu kommt, dass der sog. Fรผnf-Punkte-Plan der CDU/CSU in seiner Forderung, das Asylrecht faktisch abzuschaffen, verfassungswidrig und mit dem europรคischen Recht nicht vereinbar ist.

Im vollen Wissen darum, dass genau das die Beschlussvorlage der CDU/CSU fรผr die AfD akzeptabel macht, hat die CDU/CSU gestern die Zustimmung der rechtsextremistischen AfD im Bundestag in Anspruch genommen. Damit entfernt sich die CDU/CSU vรถllig von dem Problem, das sie angeblich lรถsen will โ€“ und sie entfernt sich immer mehr von ihrem Namen. Sie hat mit der heutigen Abstimmung im Bundestag die AfD zum entscheidenden Faktor fรผr ihre Politik gemacht und so der AfD ohne Not eine Bรผhne des Triumphs geboten.

Das ist in jeder Hinsicht verwerflich und wird auf die CDU/CSU und ihren Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zurรผckfallen! Wenn dann noch am Freitag die Gesetzesvorlage der CDU/CSU mehrheitlich verabschiedet wird, dann hat der Deutsche Bundestag erstmals ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass nur mit den Stimmen von Rechtsextremisten und Verfassungsfeinden eine Mehrheit gefunden haben wird โ€“ รผbrigens ein Gesetz, dass von beiden groรŸen Kirchen abgelehnt wird.

Damit hat sich die CDU/CSU als Partei der Mitte, vor allem aber auch als an christliche Werte gebundene Partei aufgegeben und den Rechtsnationalisten den Weg zur Macht bereitet โ€“ ein ungeheurer Vorgang, ein eklatanter Wortbruch und eine Kapitulation der CDU/CSU vor Verfassungs- und Europafeinden.

Wer dieser gefรคhrlichen Normalisierung des Rechtsnationalismus widerstehen mรถchte, der kann bei der Bundestagswahl nur noch SPD, Grรผne oder Linke wรคhlen und sollte jetzt fรผr den demokratischen Konsens auf die StraรŸe gehen.

Christian Wolff, geboren am 14. November 1949 in Dรผsseldorf, war 1992โ€“2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjรคhriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater fรผr Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er lebt in Leipzig und ist gesellschaftspolitisch in vielen Bereichen des รถffentlichen Lebens engagiert. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/ 

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