Wenn ab dem neuen Jahr die aufrechten Sozialdemokraten, die Betonung liegt auf Sozial, an den Wahlkampfständen frieren und die SPD-Sozialpolitik erklären, dann werden sich wohl manche fragen, welche Bedeutung die Ansagen von Rolf Mützenich haben. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag hat kurz vor dem Jahreswechsel ein Interview gegeben, mit dem er die Parteilinken, das sind meist die an den Wahlkampfständen, wohl verunsichert.

Was hat Mützenich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) konkret im Interview gesagt?

Auf das Bürgergeld angesprochen, stellte er folgende Thesen auf:

1. „Vielleicht halten sich manche Menschen zu lange im Bürgergeldsystem auf.“ Ja, das mag sein, aber warum halten diese sich dort auf? Vielleicht aus gesundheitlichen Gründen, oder weil sie dauerhaft aufstocken müssen wegen Teilzeitarbeit zur Ermöglichung von erforderlicher Care-Arbeit, vielleicht auch wegen Mangel an Arbeit vor Ort, von der man leben kann? Die Antwort gibt er nicht.

2. „Ein Teil der Flüchtlinge aus der Ukraine hat offenbar einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt ist.“ Ein Teil und offenbar, er weiß es nicht, bedient aber ein nicht SPD-typisches Mindset.

3. „Aber ich finde es richtig, nicht durchgehen zu lassen, wenn jemand das System ausnutzt.“ Kann man so sagen, aber dazu müssen 1. und 2. ordentlich begründet werden.

Sollte die SPD die Gelegenheit dazu bekommen, also erneut Regierungsverantwortung tragen dürfen, dann will er nachsteuern. Wie, das sagte er nicht – wahrscheinlich mit mehr Kontrollen und Überwachung von Bürgergeldempfängern. Das hatten wir doch schon, nannte sich umgangssprachlich Hart IV und sorgte für den Aufbau eines Verwaltungsapparates, der am Ende mehr kostete, als er einsparte.

Aber sind die Aussagen von Mützenich erstaunlich?

Gehen wir zurück zum Anfang des Jahres 2024 und dem Zeit-Interview mit Olaf Scholz. Der definierte die Sozialdemokratie wie folgt: „Als Sozialdemokrat neige ich zu einer lutheranischen Sichtweise: Letztendlich ist es eine sittliche Pflicht zu arbeiten.“

Puh, was ist Arbeit? Und ist man „unsittlich“, wenn man keiner Erwerbsarbeit, oder dieser aus oben genannten Gründen nur in Teilzeit, nachgeht? Müssen Sozialdemokraten der lutheranischen Sichtweise von Olaf Scholz anhängen?

Es scheint bei dieser ganzen Sache um das alte Kernklientel der SPD zu gehen, Martin Schulz sprach 2019 gern vom „hart arbeitenden Menschen“. Allerdings ist die Masse dieser Menschen heute oft nicht mehr im Milieu der gewerkschaftlich organisierten Industriearbeiter, sondern im Mindestlohnbereich zu finden. Oft findet man dort auch die „Aufstocker“, die von jeder weiteren Verschärfung der Regeln zum Bürgergeldbezug betroffen sind.

Es ist also ungerecht, wenn Menschen vermeintlich das Bürgergeldsystem ausnutzen. Das wird im Mützenich-Interview relativ ausführlich dargestellt. Die Frage dazu beinhaltete den Passus „Das Ungerechtigkeitsgefühl in der Bevölkerung ist groß.“

Zum Schluss kommt noch, ohne Erklärung, was Mützenich machen würde: „Ungerechtigkeit im Land entsteht aber auch, wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.“ Kurz und knapp als Feststellung, mehr nicht. Die Schere erzeugt scheinbar weniger Ungerechtigkeitsgefühl.

Es entsteht das Gefühl, dass Mützenich hier die SPD für eine Große Koalition mit der CDU/CSU aufstellt. Wenn das nicht klappt, was dann?

Schauen wir zu Friedrich Merz, der wahrscheinlich lieber mit der FDP und Christian Lindner als mit den Grünen regieren würde. Die Antwort Mützenichs auf die Frage „Würden Sie mit Lindner wieder zusammenarbeiten?“ kann man, ohne Bösartigkeit, als „Ungern, aber ja“ lesen. Ob die FDP die Fünfprozenthürde überwindet, ist allerdings zweifelhaft.

Fazit: Aus dem Interview lässt sich schließen, dass Ralf Mützenich auf eine Große Koalition oder die sogenannte „Deutschlandkoalition“ (schwarz-rot-gelb) hinarbeitet. Zumindest schmückt er die SPD für die Brautschau.

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