Es sei zuerst angemerkt, dass die Wählerinnen und Wähler im Februar 2025 über den Deutschen Bundestag, genauer dessen Zusammensetzung, abstimmen. Liest man in den Medien über diese Wahl, entsteht der Eindruck, es wäre die Wahl eines Bundeskanzlers, vergleichbar mit der Präsidentenwahl in den USA.
Befördert wird das auch vom Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, mit dem Format „Das Duell – Scholz gegen Merz“.

Und der Ankündigung eines weiteren gemeinsamen Duells von ARD und ZDF mit Robert Habeck (Grüne) und Alice Weidel (AfD). Liest man dazu in der Pressemitteilung vom „Duell des amtierenden Bundeskanzlers, Olaf Scholz (SPD), und seines aussichtsreichsten Herausforderers Friedrich Merz (CDU)“ kann man mit Fug und Recht von einer Sportmetapher sprechen: Finale um den ersten Platz, Kampf um die Bronzemedaille.

Das ist der Ernsthaftigkeit einer Bundestagswahl unangemessen und kann nur mit Quotenhascherei, Clickbaiting oder schlimmstenfalls mit Wahlbeeinflussung erklärt werden. Wir wählen schließlich, man kann es nicht oft genug betonen, Parteien, die um Mehrheiten im Deutschen Bundestag kämpfen. Es ist kein Titelkampf bei der Box-Weltmeisterschaft zwischen Titelträger und Herausforderer.

Warum sollte man den Begriff Kanzlerkandidat vermeiden?

Wie oben beschrieben, wird der Bundeskanzler nicht bei der Bundestagswahl gewählt. Die Wahl erfolgt durch den neu gewählten Bundestag. Erst wenn eine Partei oder Koalition ihren Kandidaten dort aufstellt, ist er Kanzlerkandidat, vorher nicht. Der Begriff „Kanzlerkandidat“ wurde vor einer Bundestagswahl erstmals 1960 für Willy Brandt verwendet – die Idee kam tatsächlich aus dem US-Präsidentenwahlkampf.

Es ist zwar üblich, aber nicht verpflichtend, dass eine Partei den Spitzenkandidaten für den Wahlkampf auch für die Wahl zum Bundeskanzler aufstellt. Schließlich gibt es eine Reihenfolge nach der Bundestagswahl, bis der Bundespräsident den Mitgliedern des neugewählten Bundestages den wirklichen Kanzlerkandidaten zur Wahl vorschlägt.

Zuerst muss eine regierungsfähige Koalition gebildet werden. Wir können heute nicht von einem Wahlsieger mit absoluter Mehrheit ausgehen. Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) beschreibt das sehr verständlich: „Sind zwei oder drei Parteien entschlossen, miteinander zu regieren, führen sie miteinander Koalitionsverhandlungen. So müssen sie sich bei den Verhandlungen unter anderem darauf einigen, wer Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin werden soll. In den Koalitionsverhandlungen wird auch besprochen, wer in der Regierung Ministerin oder Minister werden soll.“

Es sind für den Ausgang der Bundestagswahl 2025 verschiedene Szenarien vorstellbar. Die absolute Mehrheit für eine Partei gehört eher nicht dazu.

Gehen wir das mit den aktuellen Wahlumfragen durch. Die Sonntagsfrage zur Bundestagswahl vom 19. Dezember 2024 von Infratest dimap zeigt die CDU/CSU mit 33 %, die AfD mit 19 %, SPD und Grüne liegen mit 14 % gleichauf. Mangels durch die anderen Parteien erklärter Koalitionsfähigkeit kann man die AfD bei der Kanzlerfrage ausschließen. Es bleiben also drei aussichtsreiche Regierungsparteien übrig.

Sollten die Wahlergebnisse, was zu erwarten ist, anders ausfallen, könnte folgende Situation entstehen. Die CDU/CSU wird mit 20 – 30 % stärkste Partei, gefolgt von SPD und Grünen mit etwa 20 % der Wählerstimmen. Reicht das Ergebnis von zwei dieser Parteien nicht zu einer Regierungskoalition und fällt die FDP als Mehrheitsbeschaffer aus, dann wäre nur die sogenannte „Kenia-Koalition“ möglich, also schwarz-rot-grün.

Je nach Stärke der drei beteiligten Parteien wäre es dann möglich, dass sich diese nicht auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidat, im Sinne GG Art. 63, einigen. Man könnte beispielsweise Hendrik Wüst wieder aus der Trickkiste holen oder auch einen ganz anderen Kandidaten aufstellen, um die Wahl des vom Bundespräsidenten vorgeschlagenen Kanzlerkandidaten nicht zu gefährden und die Zusammenarbeit in der Koalition zu ermöglichen.

Dann wäre keiner der „medialen Kanzlerkandidaten“ ein wirklicher Kanzlerkandidat gewesen.

Fazit: Wir wählen am 23. Februar 2025 weder Merz noch Scholz noch Habeck oder sonst wen zum Bundeskanzler. Bis der Bundespräsident dem Deutschen Bundestag einen Kandidaten zur Abstimmung vorschlägt, gibt es keinen Kanzlerkandidaten. Diskussionsrunden, ob im ÖRR oder in privaten Medien, werden von Vertretern der Parteien geführt.

Um es mit dem Highlander zu sagen: „Es kann nur einen geben!“ Wer das ist, wissen wir nach den Koalitionsverhandlungen.

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