Kaum ein anderes Thema ist unter Feminist*innen so umstritten wie Sexarbeit beziehungsweise Prostitution. Bei einer Veranstaltung an der Universität Leipzig kam es am Dienstagabend zur Eskalation: Mehrere dutzend Menschen störten eine geplante Filmvorführung und landeten deshalb in einer stundenlangen Polizeimaßnahme. Die beteiligten Gruppen, der Stura, die Universitätsleitung und „Leipzig nimmt Platz“ kritisieren einander.
Geplant war eine Vorführung des Dokumentarfilms „Bordell Deutschland“ in einem Hörsaal der Universität Leipzig. Der Film widmet sich verschiedenen Akteur*innen im System Prostitution und lässt sowohl Expert*innen als auch ehemalige und aktive Sexarbeiter*innen zu Wort kommen. Im Anschluss an die Vorführung sollte eine Diskussion stattfinden.
Organisiert wurde die Veranstaltung von der Leipziger Ortsgruppe des Vereins „Sisters“ im Rahmen der „Progressiven Initiativwochen“. Letztere richten sich mit verschiedenen Veranstaltungen vor allem an neue Student*innen an der Universität, ähnlich wie die „Kritischen Einführungswochen“.
Protestaufruf mehrerer Leipziger Gruppen
Wenige Tage vor der Veranstaltung veröffentlichten die „Offene Anarchistische Vernetzung“, die „Aktion Antifa Leipzig“ und die queerfeministische Gruppe „Quila“ einen Beitrag in den sozialen Medien. Darin riefen sie dazu auf, die Veranstaltung „zum Desaster“ zu machen. Eine Diskussion mit den Veranstalterinnen schlossen die Gruppen explizit aus. Damit würde man diesen „eine Bühne bieten“.
Teile des Aufrufs beziehungsweise der Kritik beruhten offenbar auf veralteten Informationen. Demnach wollte man beispielsweise gegen die Aktivistin Inge Kleine protestieren. Diese sollte wohl ursprünglich als Expertin an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Später entschieden sich die Veranstalterinnen nach eigenen Angaben dafür, stattdessen einen Film zu zeigen. Sowohl Kleine als auch die Gruppe „Sisters“ wurden in dem Protestaufruf als „transfeindlich“ bezeichnet.
60 Personen stundenlang in einer PolizeimaĂźnahme
Laut Polizei folgten ungefähr 60 Personen dem Aufruf. Sie betraten noch vor Beginn „teils vermummt“ den Hörsaal und störten die geplante Veranstaltung „lautstark“. Die Veranstalterinnen informierten daraufhin die Polizei, welche die Protestierenden erkennungsdienstlich behandelte. Diese Maßnahmen dauerten bis 22 Uhr, also mehrere Stunden.
Unterschiedliche Darstellungen gibt es zu einem Detail: Während die Veranstalterinnen behaupten, dass sie die Protestierenden vor dem Polizeieinsatz dazu aufgefordert haben, den Raum zu verlassen, bestreitet beispielsweise der Stura diese Darstellung: „Gruppenkonsens war, den Raum zu verlassen, sobald dahingehend eine Bitte von Veranstalter*innen kommt, doch das ist nie passiert.“
Stura kritisiert Polizeipräsenz auf dem Campus
Am Mittwoch veröffentlichte der Stura einen Offenen Brief an Unirektorin Eva Inés Obergfell, in dem er Repression und Polizeigewalt beklagt. Er fordert die Universität dazu auf, alle Strafanzeigen gegen Studierende, die „ihr legitimes Recht auf Meinungsfreiheit und friedlichen Protest wahrgenommen haben“, zurückzuziehen. Zudem müsse die „Polizeipräsenz und -gewalt auf dem Campus“ enden.
Im Mai dieses Jahres war es schon einmal zu einem größeren Polizeieinsatz an der Universität gekommen. Damals hatten pro-palästinensische Aktivist*innen einen Hörsaal besetzt. Die Universitätsleitung war auch in diesem Fall strafrechtlich gegen die Protestierenden vorgegangen und erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
„Proteste sind grundsätzlich legitim“, äußerte sich Obergfell nach dem jüngsten Polizeieinsatz. Es sei aber nicht akzeptabel, Unbeteiligte zu bedrohen und damit einen demokratischen Austausch zu verhindern. „Die Universität Leipzig ist ein Ort des friedlichen Diskurses.“
Veranstalterinnen beklagen Lärm und Einschüchterung
Der Verein „Sisters“ beschreibt die Situation im Hörsaal so: Protestierende hätten die Linse des Beamers verdunkelt, mit Gitarre und Trillerpfeifen gestört sowie Parolen wie „Ganz Leipzig hasst euch Swerfs und Terfs“ skandiert. Mit „Swerf“ und „Terf“ werden Personen bezeichnet, die angeblich Sexarbeiter*innen und trans Menschen aus ihrem Feminismus ausschließen.
Aus Sicht der Veranstalterinnen handelte es sich nicht um einen friedlichen Protest. Der Lärm sei als „psychisch belastend“ empfunden worden. „Die Frauen unserer Gruppe wurden ausgebuht, diffamiert und daran gehindert, den Hörsaal zu verlassen.“ Es seien „insbesondere männliche Stimmen“ gewesen, die den laustarken Protest angeheizt hätten.
Neben den mehr oder weniger direkt beteiligten Gruppen und Institutionen veröffentlichte auch das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ eine Stellungnahme. Es sei „weder links noch emanzipatorisch und schon gar nicht progressiv“, auf eine „gewaltfreie Störaktion“ mit der Polizei zu reagieren.
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