In einem Leipziger Innenhof mussten am Dienstag sechs große Bäume dem Willen eines einzelnen Bauherrn weichen – trotz massiver Proteste der Nachbarschaft, trotz einer demokratischen Mehrheit im Stadtrat für den Erhalt der Grünfläche, trotz besseren Wissens im Angesicht der Klimakrise, die sich auch in Leipzig mit Starkregen, extremer Trockenheit und Überhitzung deutlich zeigt. Entgegen des am Vortag durch Plakate und Meinungsäußerungen bekundeten Widerstandes der Bewohner*innen und solidarischer Nachbar*innen kam die Baumarbeitsfirma Lüttich am erneut und zog die Fällungen diesmal mit Hilfe der Polizei durch.

Um 8 Uhr morgens wurden die Anwohner*innen vom Lärm der Kettensägen erschreckt und kamen herangeeilt, um die Rodung des Gartens zu verhindern. Im Hinterhof der Klingenstraße 6 in Plagwitz soll ein Doppelhaus errichtet werden. Die Fläche wird damit versiegelt, Mensch und Tier wird grüner Lebensraum entzogen. Es sollen zwei Luxuswohnungen entstehen – Luxus, denn eine Mietpartei wird bei einer Wohnfläche von 180 Quadratmetern einen geschätzten Mietpreis von mindestens 3000 Euro aufbringen müssen. Wer sich das leisten kann, ist definitiv nicht von der in Leipzig herrschenden Wohnungsknappheit betroffen.

Das Argument, mit einer notwendigen Flächenverdichtung dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, kann also ad acta gelegt werden. Bleibt nur noch das wirtschaftliche Interesse des Bauherrn aus Heidelberg, der das Grundstück gewinnbringend veräußern möchte – bei diesem Mietpreis wohl auch nicht an Eigennutzer*innen, sondern an Kapitalanleger*innen.

Vielleicht reiht sich das Bauprojekt damit in die Sammlung von Bauruinen ein, die in den letzten Jahren in Anbetracht der Baukrise immer weiter wächst – auch in Plagwitz. Das ‚Studentenwohnheim‘ Klingenstraße/Ecke Markranstädter Straße stagniert seit Monaten, wenn nicht gar Jahren, im Rohbaustatus. Ob die meterdicke Betonplatte an der Naumburger Straße gegenüber des Plagwitzer Bürgerbahnhofs in absehbarer Zeit mit einem Hotel bebaut wird? Nach der Insolvenz der Unternehmensgruppe des Immobilienmoguls Christoph Gröner eher unwahrscheinlich.

Auch die Sanierung des großen Wohn- und Gewerbegebäudes direkt gegenüber ist gestoppt und ob der unvollendete riesige Gebäudekomplex auf der Limburger Straße nahe der Tankstelle noch fertiggestellt wird, bleibt fraglich. Schade, dass die Kapitalinteressen einzelner Menschen allen gesunden Menschenverstand, alle Sorge ums Stadtklima, alle Wünsche der Anwohner*innen übertrumpfen.

Aber das ist eben der Kapitalismus. Im konkreten Fall des Hinterhofs auch der fehlende Mut zur Verantwortungsübernahme aller gestern an der Fällung Beteiligten. ‚Betroffene‘ Polizeibeamt*innen, ‚betroffene‘ Bauleiter und ‚machtlose‘ Baumpfleger waren sich ihrer eigenen Handlungsfähigkeit nicht bewusst, sondern machten alle ihren ‚Dienst nach Vorschrift‘. Mit Verweisen wie “Ihr habt ja Recht, aber ich mach‘ nur meinen Job”, “Wenn wir’s nicht machen, macht es ja eh wer anders”, “Ich bin ja nur Angestellter” versuchten sich die oben genannten von ihrer Verantwortung zu entbinden.

Verantwortungslos handelte auch die vom Eigentümer beauftragte Baumpflege-Firma Lüttich, deren Vorgehen während der Baumfällung als unprofessionell bezeichnet werden muss: Eine Fällgenehmigung wurde trotz mehrfacher Aufforderung durch die Anwohner*innen erst nach dem Fällen der zwei größten Bäume vorgezeigt. Eine Sicherheitsabsperrung gab es nicht, von den Fällarbeitern nicht mal einen mündlichen Hinweis, sich aus dem Gefahrenbereich zu begeben, was zu bedrohlichen Situationen für die Anwesenden führte, die lautstark ihren Protest kundtaten.

Eine Beschlussvorlage des Stadtrats aus dem vergangenen Jahr hatte den „Erhalt der Grünstrukturen im Blockinnenbereich“ zum Ziel, und beabsichtigte, dass dadurch „einer weiteren Flächenversiegelung vorgebeugt“ werden würde. Begründet wurde dieser Beschluss mit der Notwendigkeit, dass in einem „klimatisch belasteten Raum“ wie Plagwitz „mehr Grün im Stadtraum als städteräumliches Ziel beschlossen“ worden ist. Aus juristischen Gründen konnte dieses Vorhaben jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden.

Mehr Grün und weniger Versiegelung wäre in dem bereits umfassend verdichteten und im Sommer dadurch stark hitzebelasteten Stadtteil Plagwitz tatsächlich nicht nur an diesem Ort im Viertel dringend nötig. Es wäre erforderlich, um Voraussetzungen für gesunde Wohnverhältnisse der Anwohnenden zu schaffen und den Grundsätzen eines an die Klimakrise angepassten Städtebaus gerecht zu werden. Grundsätze, welche die Stadt im ‚Integrierten Stadtentwicklungskonzept Leipzig 2030‘ selbst aufgestellt und beschlossen hat.

Der Skandal zeigt sich also darin, dass es trotz dieser verfassten Grundsätze rechtlich zulässig ist, gesunde Bäume zu fällen, um eine von vielen Menschen und Tieren genutzte Grünfläche zu versiegeln. Und dies, um dort Luxuswohnungen für ein paar wenige vermögende Menschen zu bauen, an dessen Bau sich ein wohlhabender Investor noch mehr bereichert. Und in diesem Kontext sollten sich alle fragen, ob sie in Zeiten der Klimakrise lieber Teil des Problems oder Teil der Lösung sein wollen und wie sie sich durch ihr eigenes Handeln auf die eine oder die andere Seite dieser Gleichung stellen.

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