Einige Menschen kennen vielleicht noch den Teil des Hippokratischen Eides, der da lautet: โ€žPrimum non nocereโ€œ, zu Deutsch: โ€žZuerst einmal nicht schadenโ€œ. Vielleicht wรคre es angebracht, einen solchen Eid auch fรผr Politiker einzufรผhren. Wer sich nicht daran hรคlt, ist raus aus dem Politikbetrieb. Was haben wir in der letzten Woche erlebt?

Zuerst entlรคsst Bundeskanzler Scholz den Finanzminister Lindner, somit den Anfรผhrer der Koalitionspartei FDP (im Volksmund auch Oppositionsfรผhrer innerhalb der Regierungskoalition genannt) und beendet damit das Ampel-Projekt. Scholz erklรคrte am Mittwoch, dem 6. November, dass er im Januar die Vertrauensfrage im Bundestag stellen will und somit den Weg fรผr Neuwahlen frei machen will.

Ein Shitstorm beginnt.

Friedrich Merz fordert, dass Scholz die Vertrauensfrage noch im November ansetzt, um die politische Instabilitรคt zu beenden, in die Scholz das Land gefรผhrt habe. Markus Sรถder spricht von taktischen Verzรถgerungen und will Neuwahlen im Januar und Sahra Wagenknecht spricht von politischer Insolvenzverschleppung. Politiker unter sich eben.

Als die Bundeswahlleiterin, Ruth Brand, Olaf Scholz vor einer Wahl im Januar warnt und schreibt: โ€žSoweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen wรผrden, wรคre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maรŸgeblich verkรผrztโ€œ, wird sie scharf angegriffen. Besonders dafรผr, dass sie warnt, es kรถnne schon Probleme bei der Beschaffung von Papier und der Beauftragung von Druckdienstleistern geben.

Da spricht Bayerns Digital-Staatsminister Fabian Mehring (Freie Wรคhler) schon mal von einer โ€žstaatsorganisatorischen Bankrotterklรคrungโ€œ. Die Papierindustrie sagt, die Beschaffung von Papier wรคre kein Problem, und Polen bietet Hilfe mit Papier und Druck an.

Auch, dass sich die parteilose Ruth Brand aus parteipolitischen Grรผnden in ihrem Amt missbrauchen lasse, wird unterstellt. Der Parlamentarische Geschรคftsfรผhrer der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, warf ihr vor, sie lasse sich instrumentalisieren.

Den Vogel schoss aber Jens Spahn, der als neuer Wirtschaftsminister einer CDU/CSU-gefรผhrten Regierung gehandelt wird, auf X (vormals Twitter) ab: โ€žAls die Vรคter des Grundgesetzes die 60-Tage-Frist festgelegt haben, lag Deutschland in Trรผmmern. Trotzdem trauten sie dem Land eine Wahl binnen 60 Tagen zu. Die Scholz-SPD macht Deutschland lรคcherlich.โ€œ

Spahns Wortmeldung auf X. Screenshot: LZ
Spahns Wortmeldung im Original auf X. Screenshot: LZ

Man kann schon vergessen, dass das Grundgesetz auch Mรผtter hat, aber als ernstzunehmender Politiker sollte man wissen, dass es damals keine Briefwahl gab, im Ausland lebende Deutsche kaum eine Rolle spielten und es auch das Thema Unterstรผtzungsunterschriften fรผr Kleinparteien nicht gab.

Jens Spahn kam allerdings etwas zu spรคt mit dieser ร„uรŸerung, die Zeit hatte ihn รผberholt.

Wie ist die aktuelle Lage?

Etwa eine Stunde nach der ร„uรŸerung von Spahn meldete der WDR, dass der Geschรคftsfรผhrer der grรถรŸten deutschen Stimmzetteldruckerei in Bonn folgendes รคuรŸerte โ€žWenn wir am 19. Januar wรคhlen wollen, dann bekommen wir das von den Stimmzetteln her hin. Wir mรผssen dann aber auf die Briefwahl verzichten.โ€œ
Das ist nicht alles, auch die Fehleranfรคlligkeit kรถnnte steigen, wenn die Termine zu kurz sind.

Plรถtzlich meint auch Friedrich Merz, er kรถnne mit einem Wahltermin am 16. oder 23. Februar leben, sein vorheriger Vorschlag wรคre zu ambitioniert gewesen. Es war aber kein Vorschlag, es war eine Forderung.

Hat die Vernunft gesiegt?

Kommen wir zurรผck auf den Anfang des Artikels und den hippokratischen Eid. Das Zitat geht noch weiter: โ€žprimum non nocere, secundum cavere, tertium sanareโ€œ, zu Deutsch: โ€žErstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilenโ€œ.

Davon ist in der derzeitigen populistischen, ja trumpesken, Politik nichts zu spรผren. Es geht darum, mรถglichst groรŸen Schaden anzurichten, bei Wรคhlerinnen und Wรคhlern wird schon etwas hรคngen bleiben. Dafรผr wird schon mal das Amt der Bundeswahlleiterin diskreditiert, das komplette demokratische System Deutschlands vor den Zug geworfen, vom Schaden fรผr Personen und ร„mter ganz zu schweigen.

Fazit: Der Schaden ist angerichtet, die wenigsten Menschen werden die Korrekturen als Rรผckzug von vorher geรคuรŸerten populistischen Parolen interpretieren. Vielleicht sollte man den Amtseid der Abgeordneten um den genannten Teil des hippokratischen Eides ergรคnzen. Wer sich nicht dran hรคlt, hat in der Politik nichts zu suchen.

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Es gibt 3 Kommentare

@Thomas lass uns die Massen auf die StraรŸe bringen.
Mach einen Aufruf!
Ich bin dabei!
Die rechtliche Normen muss geรคndert werden. Das Verhalten von Lindner war m.M.n. Strategie um mรถglichst nur einen kurzen Zeitraum fรผr die kleineren Parteien und Einzelkandidaten zu haben.
Auch so kann man โ€œQuerulantenโ€ bzw. die Demokratie unterlaufen.

Solcher Amtseid mit hyppokratische Teil wรคre schon sinnvoll, nur welche Institution sortiert dann die nicht geeigneten Politiker wieder aus? Einige Parteien zielen nur noch auf Populismus, was die eigene Klientel hรถren will. Sach-und Fachentscheidungen werden unterlaufen und sabotiert. Das Parteiensystem hat sich selber รผberholt. Und das Bildungssystem wurde gezielt ausgehรถlt. Was wird jetzt noch kommenโ€ฆ

Es braucht keinen Hippokratischen. Es braucht allerdings ein gebildetes und selbstbewusstes Wahlvolk, welches solche Manรถver erkennt und nicht belohnt.
Leider haben sich einige Parteien (aber eben auch einige Vertreter der vierten Gewalt) das โ€œKaputtmachenโ€ als Aufgabe gegeben, gepaart mit dem bewussten โ€œdummhaltenโ€ der Bevรถlkerung. Da wird eben nicht mehr aufgeklรคrt und erklรคrt, da wird aufgewiegelt und angespitzt. Und dann kommt das Klientel eben in den SBB-Sรผdost und hetzt faktenbefreit gegen die Prager StraรŸe. Dass die StraรŸe 2020 schon Thema war, 2022 die Vorzugsvariante vom SR zur vertieften Untersuchung beschlossen wurde, war vรถllig egal, bis die CDU eben eine Kommunalwahl gewinnen wollte. Stรคdtische Langzeitziele stรถren da, erstmal kaputtmachen.

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