Zum Auftakt des Lichtfests am 9. Oktober sprach – neben Bundeskanzler Uwe Scholz, Ministerpräsident Michael Kretschmer und Oberbürgermeister Burkhard Jung – auch Elke Urban. Sie erinnerte sich dabei an den Herbst 1989, als sie schon einmal zu den versammelten Leipzigerinnen und Leipzigern sprach. Beide Reden wünschte sie sich in der L-IZ veröffentlicht zu sehen.

Elke Urban ist Lehrerin für Musik und Französisch und eine der bekanntesten Leipziger Bürgerrechtlerinnen. Ab dem 4. September 1989 beteiligte sie sich an den Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen in Leipzig. Von 1990 bis 1999 war sie zuständig für Schulpartnerschaften und Freie Schulen im Schulverwaltungsamt der Stadt Leipzig. Ihre Erinnerungen, warum es nach 1990 nicht zu einer Schulreform kam, die ihren Namen verdient hätte, schrieb sie in ihrem Buch „Revolution und Schule“ nieder.

Von 1994 bis 2004 war sie Vizepräsidentin im Europäischen Forum für Freiheit im Bildungswesen. Von 2000 bis 2015 leitete sie das Leipziger Schulmuseum und war Jurorin im Förderprogramm Demokratisch Handeln, im Geschichtswettbewerb und beim Deutschen Schulpreis. 1995 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, 1998 den Theodor Heuss Preis und 2014 die Sächsische Verfassungsmedaille.

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Ihre Rede am 9. Oktober 2024 zum Lichtfest

Liebe Gäste des Lichtfestes, liebe Freundinnen und Freunde der Friedlichen Revolution,

ich freue mich und bin dankbar dafür, dass ich zu Ihnen als Zeitzeugin des Leipziger Herbstes 89 sprechen darf. Auch wenn in der Welt um uns herum gerade so viel Schreckliches passiert, wir haben heute allen Grund zur Freude.

„Für ein offenes Land mit freien Menschen“, dieses Banner von Kathrin Hattenhauer und Gesine Oltmanns hatte mich nach dem Friedensgebet am 4. September 89 am meisten angesprochen. Endlich offene Grenzen zu haben, endlich frei zu sein im Denken und Reden, endlich Demokratie und Freiheit mitzugestalten, das war nach vielen Jahren Unfreiheit und Diktatur mein größter Wunsch. Er ist in Erfüllung gegangen.

Die Freiheit bleibt aber gekoppelt an eine Ethik der Pflichten und an Verantwortung, sonst verlieren wir sie wieder. Auch Mehrheiten können sich irren. Das wissen wir aus der deutschen Geschichte von 1933. Der neuerdings von einigen Leuten so viel gepriesene Frieden in der DDR ohne Freiheit war nur ein Waffenstillstand. Wir im Osten Deutschlands haben das große Glück, seit 34 Jahren echten Frieden mit einem demokratischen Grundgesetz erlebt zu haben.

Am 4. Dezember 1989 durfte ich schon einmal an dieser Stelle eine Rede halten. Da standen ca. 300.000 Menschen auf diesem Platz. Ich hatte mir als Einzige im Neuen Forum das Ende der DDR und die Einheit Deutschlands gewünscht. Die vielen Menschen, die ein rundes Loch in der Mitte ihrer Deutschlandfahne hatten, teilten diese Meinung. Sie wurden mit „Nazis raus!“ beschimpft. Die DDR-Fahnenträger wurden umgekehrt mit „Rote raus!“ beschimpft.

Ich sagte damals: „Ich bleibe hier, weil ich Sachsen für einen wichtigen und schönen Teil Deutschlands halte und nicht, weil ich einer Zukunft im Sozialismus vertrauen könnte. Meine Alternative heißt Konföderation mit dem Ziel der Einheit und unverrückbaren Grenzen zu unseren Nachbarn. Ich bin kein Nazi und den Wunsch nach der Einheit halte ich für legitim …

Unsere Politik darf nie wieder von Ideologien bestimmt werden. Hüten wir uns vor Fanatikern und Radikalen rechts und links! Bleiben wir gewaltfrei!“ (Zitat Ende). Aus der deutschen Geschichte nach 33 wissen wir: Auch Mehrheiten können sich irren.

Vor ein paar Tagen war ich bei einem Schülerprojekt des Leipziger Brockhausgymnasiums als Zeitzeugin eingeladen. Die Jugendlichen einer neunten Klasse konnten hierbei einiges mitbestimmen. Das Ergebnis ist eine Ausstellung in Halle 14, Spinnereistraße 7. Sie zeigt auch Bilder und Texte über den Mut und die Angst der jungen Leute in der Gegenwart.

Als Antwort auf die Frage, wofür sie heute auf die Straße gehen würden, haben sie ein Stofftransparent mit der Aufschrift „Auch Kinder haben ein Recht auf Mitbestimmung“ gestaltet.

Ich gebe zu, ich habe große Angst davor, dass unsere Freiheit und Demokratie eines Tages wieder abgewählt wird. Zu wenige machen mit oder streiten für den Erhalt der Demokratie. Deshalb habe ich schon vor zwanzig Jahren im Leipziger Schulmuseum einen Workshop entwickelt mit dem Titel „Wer in der Demokratie einschläft, wacht in der Diktatur auf“. Dieses Werkstatt-Angebot ebenso wie das Schulmuseum brauchen wir ganz bestimmt auch in der Zukunft.

Die Stiftung Friedliche Revolution hat wie in jedem Jahr um das Lichtfest herum eine großartige Revolutionale in drei Kirchen, auf dem Leuschnerplatz und in Halle 14 veranstaltet. Überall haben uns vor allem die Künstlerinnen aus Osteuropa daran erinnert, dass es wirklichen Frieden nicht ohne Demokratie geben kann.

Und wo, liebe Eltern und Ihr vielen jungen Leute, liebe Lehrerinnen und Lehrer, wo könnte man die Demokratie als Lebensform besser erlernen als in der Schule? An einem Schultag pro Woche könnte anders gelernt werden als sonst. Da sollten die Kinder mitbestimmen, Verantwortung übernehmen und die Themen behandeln, die ihnen unter den Nägeln brennen. Das Reallabor am Brühl 48 zeigt, wie diese „Friedliche Bildungsrevolution“ gelingen kann.

Ich freue mich sehr, dass auch Herr OBM Klitschko aus Kiyw heute wieder hier ist und zu uns in der Nikolaikirche gesprochen hat. Wir müssen die Ukraine unbedingt weiter unterstützen, auch mit Waffen, bis dort endlich wieder Frieden in Freiheit und Recht hergestellt ist. Mit unserer Partnerstadt Kiyw könnte es ganz bestimmt noch viel mehr Schulpartnerschaften geben. Junge Leute verständigen sich doch heute in aller Welt auf Englisch, warum nicht auch mit Gleichaltrigen in Kiyw?

Ich wünsche Ihnen noch einen fröhlichen Abend dieses denkwürdigen Tages und ich danke Ihnen fürs Zuhören.

Elke Urbans Rede vom 4. Dezember 1989

Rede im Auftrag des Neuen Forums am 4. Dezember 1989 vom Balkon der Leipziger Oper

Liebe Demofreunde,

Ich bin für die Einheit Deutschlands mit unverrückbaren Grenzen zu unseren Nachbarn. Ich bin kein Nazi und ich bin auch nicht verrückt. Den Wunsch nach der Einheit halte ich für normal und legitim.

Viele, auch führende Demokraten, verschließen Auge, Ohr und Mund vor diesem Thema, das auf der Tagesordnung steht! So delegieren wir die Sache in die Hände der Neonazis, die es leider auch bei uns gibt und die dadurch enormen Zulauf bekommen. Das wollen wir nicht!

Ich bleibe hier, weil ich Sachsen, meine Heimat, für einen wichtigen und schönen Teil Deutschlands halte und nicht, weil ich der Zukunft im Sozialismus vertrauen könnte.

Einen Entweder – oder – Aufruf kann ich nicht unterschreiben, so sehr ich die beiden Schriftsteller Stefan Heym und Christa Wolf schätze. Da höre ich schwarz-weiße Töne der Abgrenzungspolitik aus den Zeiten des Kalten Krieges heraus.

Für mich gibt es eine dritte Alternative, sogar dann, wenn Helmut Kohl, sie anbietet: die Konföderation mit dem Ziel der Einheit.

Ein vereintes Deutschland im Rahmen einer europäischen Sicherheitspartnerschaft und endlich ein Friedensvertrag sollten dann unseren völkerrechtlichen Schwebezustand beenden.

In der Zeit der Konföderation hätten wir Gelegenheit, unser eigenes Gesicht zu entwickeln.

Wir könnten als Partner mit eigenen Vorstellungen auftreten, sicher zu den Themen soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz, Antifaschismus und Abrüstung. Unsere Länder Sachsen, Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg könnten sich profilieren durch unterschiedliche Koalitionen in den Landesparlamenten. Das Tempo der Annäherung und der Zeitpunkt der Einheit müsste von den Bürgern selbst bestimmt werden, gewiss auch in Absprache mit den europäischen Nachbarn.

Es wäre folgenschwer, die Hilfsangebote der Bundesrepublik angesichts unserer miserablen Wirtschaftslage auszuschlagen.

Ich bin bereit, für den Umweltschutz und die Solidarität mit der Dritten Welt den Gürtel noch enger zu schnallen. Aber ich bin nicht bereit, dies für neue ideologische Experimente mit ungewissem Ausgang zu tun.
Unsere Politik darf nie mehr von Ideologien bestimmt werden – und wenn sie noch so gut gemeint sind – sondern nur von fachlicher Kompetenz und vom Mehrheitswillen der Menschen.

Fordern wir nach den Freien Wahlen einen Volksentscheid zum Thema Einheit, sonst stimmen weitere Hunderttausende mit den Füßen ab.

Nicht der soll Recht bekommen, der am lautesten schreit, sondern der eine Mehrheit hinter sich hat. Wir als Demokraten müssen das akzeptieren. Hüten wir uns vor Fanatikern und Radikalen rechts und links! Bleiben wir gewaltfrei!

Abschließend zitiere ich den DDR-Schriftsteller Rolf Schneider. „Wir würden ein Deutschland haben, das Frieden und Stabilität in Europa garantiert. Die Chance dazu gab es schon einmal in den fünfziger Jahren. Dass sie sich wieder bietet, ist ein geschichtlicher Glücksfall. Ein drittes Mal bietet sie sich gewiss nicht mehr.“

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Die Rede wurde abgedruckt nach der originalen Quelle im Archiv Bürgerbewegung Leipzig. Sie erschien im Buch „Wir haben nur die Straße“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2016.

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