Klar, im Jahr 2024 gedenken wir wieder mal am 3. Oktober der Wiedervereinigung und am 9. Oktober der sogenannten Wende, aber was ist besonders an diesem 2. Oktober? Am 2. Oktober 1989 fand die vorletzte „richtige“ Montagsdemonstration in Leipzig statt. Zum vorletzten Mal zogen Menschen mit Rufen „Wir sind das Volk“, „Stasi in die Produktion“, „SED das tut weh“ und anderen Slogans um den Ring in Leipzig. Eine Randnotiz war der Einsatz der „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“ an diesem Tag, der allerdings zu deren Zerfall beitrug.

Das Finale kam eine Woche später, am 9. Oktober, was nach diesem Datum kam, war: „Kommt die D-Mark nicht zu mir …“, „Deutschland einig Vaterland“ und „Helmut, Helmut“-Rufe.

Der 2. Oktober 1990 war der letzte Tag der DDR, um Mitternacht wurde sie zum Bestandteil der Bundesrepublik. Millionen von Menschen feierten, warteten auf gebratene Tauben und blühende Landschaften. Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Sie waren willens, dafür zu arbeiten.

Es gab auch Menschen, die in der Nacht zum 3. Oktober 1990 den letzten Tag der DDR mit anderen Gedanken ausklingen ließen. Damit sind keineswegs DDR-Nostalgiker gemeint, es waren Menschen, die den Versprechungen der Wiedervereinigung skeptisch gegenüber standen.

Warum diese Skepsis? Diese Menschen kamen zum großen Teil aus der mittleren Leitungsebene in DDR-Betrieben und schätzten die Überlebensfähigkeit dieser in der Marktwirtschaft als nicht gegeben ein. Dazu kam die Erfahrung, dass sich spätestens mit der Währungsunion, am 1. Juli 1990, eines zeigte: Die DDR-Bürgerinnen und -Bürger wollten keine Ost-Produkte mehr und der Westen kaufte diese nicht länger ab.

Den Traum der Vereinigung von zwei der „zehn führenden Industrieländern der Welt“ auf Augenhöhe träumten diese Menschen nicht. Sie kannten die Realität und gehörten nicht zu den „Auserwählten“, die sich später an der Zerschlagung der DDR-Wirtschaft bereichern konnten. Die Feier „Letzte Nacht der DDR“, an der ich selbst teilnahm, lief unter dem Motto „Wir wissen nicht, wann wir das nächste Mal etwas zu feiern haben“.

Einig waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sie die DDR nicht behalten wollten. Wir wussten aber auch nicht, was die Vereinigung mit sich bringen würde.

Die Gruppe hat sich, in dieser Zusammensetzung, übrigens nie wieder getroffen. Wie es so ist: Viele zogen weg, es gab einige Scheidungen, einige sind inzwischen verstorben, es gibt Erfolgreiche und Abgehängte. Man könnte sagen: Es wurden durchschnittliche Ost-Biografien geschrieben. Ebenso durchschnittlich stellt sich die Lage heute dar, wenn man jemanden aus der Gruppe trifft.

Es gibt Menschen, die in der DDR über die „russischen Besatzer“ (eigentlich korrekt sowjetische) schimpften, 1994 deren Abzug feierten und jetzt Putins Propaganda glauben. Andere freuten sich über Coca-Cola, McDonalds, dass endlich US-Pop im Radio lief und zitierten bei jeder Gelegenheit Adenauer mit „Wir wählen die Freiheit“. Jetzt finden sie Antiamerikanismus geil und wählen Wagenknechts BSW.

Die Reisefreiheit und die damit verbundene Möglichkeit, sich im Ausland eine Perspektive zu schaffen, begrüßten alle. Heute gibt es einige der damaligen Teilnehmer, die anderen Menschen dies verwehren wollen und AfD wählen. Auch die Entwicklung derer, die damals aus der Umweltbewegung der DDR kamen, ist alles andere als einheitlich. Einige fühlen sich von Windrädern, Solaranlagen und Wärmepumpen bedroht und bedienen jedes Anti-Grünen Klischee.

Es gibt selbstverständlich auch die, die sich anderweitig engagieren. In Gewerkschaften, Parteien, Vereinen und Verbänden sind einige zu finden, auch wenn fast alle schon in Rente sind.

Fazit: Natürlich ist der 2. Oktober kein offizieller Feier- oder Gedenktag. Ein persönlicher Rückblick kann aber einige Erkenntnisse über die Entwicklung in den letzten 35 Jahren zum Vorschein bringen.

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