Für die Jüngeren unter uns, oder die „Nachgeborenen“ wie Krenz sie nennt, ein kleiner Einschub. „Wir sind die Fans von Egon Krenz“ war ein Slogan der FDJ, als Egon Krenz Erster Sekretär der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) wurde. Woher kam das? Diese Losung sollte ein Zeichen der Erneuerung, besonders der sprachlichen, sein. Bis dahin war das Wort „Fan“ verpönt, der DDR-Jugendliche hatte „Anhänger“ zu sagen.
Mit Erich Honecker als Generalsekretär der SED und Krenz als Chef der FDJ wollte man endlich die Sprache der Jugendlichen, die sagten schon längst Fan, legitimieren. Abgesehen von solchen plakativen Änderungen, dazu gehörte auch das Tragen von „Jeanshosen“ zum FDJ-Hemd und der Duldung von etwas längeren Haaren bei den Jungs, stand der Egon fest auf der Seite des „Real existierenden Sozialismus in der DDR“.
„75 Jahre DDR. Was bleibt?“
Am 5. Oktober 2024, 35 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR, gab die „junge Welt“, die seine Rede im Volltext abdruckte, diesem Mann ein Podium. Auf diesem erklärte er seine Sicht auf den untergegangenen Staat und die Gegenwart. Ehemalige und auch neue Fans bejubelten ihn.
Fast am Ende seiner Rede sagt Krenz: „Die DDR ist im Kampf der Systeme zerbrochen“. Er sagt nicht eindeutig, dass die Bevölkerung der DDR diesen Staat, unter der SED-Führung, nicht mehr wollte.
„Unser Traum vom sich entwickelnden Sozialismus zerschellte auch an unseren eigenen Schwächen: an unzureichender Informationspolitik, mangelnder Nutzung der verfassungsmäßig garantierten demokratischen Rechte, an Versorgungslücken sowie Bürokratie und oftmals auch an Engstirnigkeit. Die Wirklichkeit entfernte sich stärker von den Idealen, was große Teile der Bevölkerung 1989/90 nicht mehr hinnehmen wollten.“
Liest man die Begründung, dann könnte man meinen, dass es so kleine Ungereimtheiten im DDR-Staat gab, die sich mit etwas Mühe und gutem Willen hätten beheben lassen. Ansonsten war alles gut.
Sein Fazit ist: „es gibt viele Gründe, die DDR zu mögen. Und auch manche, ihre Unzulänglichkeiten scharf zu kritisieren.“
Lassen wir das im Raum stehen und kommen auf den wichtigsten Punkt: Der Frieden.
Friedensstaat DDR
Krenz sagt: „Die DDR hat niemals Krieg geführt. Sie war der deutsche Friedensstaat.“ Das kann man so stehen lassen, aber soll man das?
Die DDR unterstützte zum Beispiel, gemeinsam mit der „friedliebenden Sowjetunion“, die arabischen Staaten, nicht nur im Jom-Kippur-Krieg 1973, im bewaffneten Kampf gegen Israel. Auch sonst war die militärische Ausbildung von Soldaten, Offizieren, auch Terroristen und auch Waffenlieferungen ein Bestandteil der DDR-Doktrin zur Unterstützung genehmer politischer Systeme. Man muss keinen Krieg führen um unfriedlich zu sein.
Im Inland ging es nicht so friedlich zu. 1953 wurde der Aufstand am 17. Juni mit Waffengewalt niedergeschlagen. Die Mauertoten sprechen auch nicht für friedliche Lösungen. Die Bemerkung von Krenz, in China sei mit der Zerschlagung der Studentenproteste 1989 „etwas getan worden, um die Ordnung wiederherzustellen“, spricht ebenfalls nicht für eine friedliche Grundhaltung.
Krenz und der Russe
Fast könnte man es der Altersverwirrung eines 87jährige zurechnen, wenn er über die Sowjetunion, Russland und „Die Völker der Sowjetunion“ spricht.
„Innerhalb historisch kurzer Zeit zerstörten bundesdeutsche Regierungen, was sich in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR an Vertrauen zwischen den Deutschen und den Völkern der Sowjetunion aufgebaut hatte.“
Wenn er vom alten Feindbild, dem gefährlichen Russland, welches geschürt wird, spricht, scheint er zu vergessen, dass die Ukraine auch zu den befreundeten (ehemaligen) Völkern der Sowjetunion gehörte. Über den Fakt, dass die Ukraine von Russland überfallen wurde und somit das Vertrauen in den Putin-Staat endgültig verloren ging, verliert er kein Wort. Das passt nicht in sein Weltbild.
Dazu passt aber, dass er die Ergebnisse der Landtagswahlen im Osten als „Signal an alle etablierten Parteien: Hört uns endlich zu! Wir wollen keine neuen Waffenlieferungen in die Ukraine und nach Israel“ sieht und dass „der Russe“ natürlich nicht schuld am Krieg in der Ukraine ist.
Was will Krenz?
Im Interview mit dem Tagesspiegel verteilt Krenz sein Lob an Kretschmer, Woidke und Voigt für das Einknicken gegenüber dem BSW: „Und ich beglückwünsche sie dazu, dass sie so mutig sind.“ Er hebt auch Gerhard Schröder, seinen alten Freund, für seine russlandfreundliche Politik hervor.
Natürlich findet er Sahra Wagenknecht gut, bei vielen wird das einen schalen Geschmack hinterlassen, steht sie doch angeblich nicht für Retro-Politik.
Kurz gesagt: Krenz will die SED-Politik nachträglich rechtfertigen und ganz nebenbei die Ukraine und Israel unter die Räder kommen lassen.
Fazit: Soll man einen alten Mann, vor seinen verbliebenen Fans, unwidersprochen reden lassen?
Wenn es nur die alten Fans von Krenz wären, würde ich sagen: „Ja, lass ihn reden.“ Es gibt aber auch junge Menschen, die dieser Rhetorik etwas abgewinnen können. Deshalb muss man widersprechen.
Krenz war nicht nur die traurige Gestalt, die der Auflösung der DDR tatenlos zusehen musste. Er war ab 1961 im Zentralrat der FDJ für die FDJ-Arbeit an den Hochschulen und für Agitation und Propaganda an den Schulen tätig. Es lohnt sich für die „Nachgeborenen“ zu fragen, wie liberal er sich da gebärdete.
Eine Anmerkung noch für die pazifistischen Friedensbewegten: Die SED nahm den Pazifismus erst Ende 1989, mit der Neugründung als SED-PDS, in ihr Programm auf. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde dieser mit allen Mitteln bekämpft.
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