Darf man das zeigen? „Soll man das so schreiben?“ „Muss man das so sagen?“ Wo sind die Grenzen der Kunstfreiheit oder auch allgemein der Meinungsfreiheit? Das Thema bewegt viele Menschen in Deutschland, es wird oft von cancel culture oder sogar von Zensur gesprochen. Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig widmete, im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2024, diesem Thema den Abend des 21. Oktober 2024.

In Kooperation mit der Leipziger Lachmesse fand eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Kupfersaal statt.

Bildende Kunst mit antisemitischen Codes

Der Cliffhanger für das erste Panel war das Banner des indonesischen Künstlerkollektivs „ruangrupa“, welches aufgrund der enthaltenen antisemitischen Codes während der Documenta fifteen für einen Skandal sorgte. Es wurde schließlich verhängt.

Prof. Dr. Frank Zöllner, der Kunstgeschichte an der Universität Leipzig lehrt, war leider krankheitsbedingt abwesend. In seinem Videobeitrag bezeichnete er die Entscheidung zur Verhüllung des Bildes als nicht alternativlos. Er sagte, man hätte schon im Vorfeld hinschauen müssen.

„Es ist ja nicht nur dieses große Banner, über das alle geredet haben, mit zwei antisemitischen Darstellungen, sondern es sind eine ganze Reihe von anderen Werken, die im Abschlussbericht alle eindeutig als antisemitisch benannt werden und auch sehr genau beschrieben werden. Ein Punkt ist auch die Gesamtorganisation, auch das sagt der Abschlussbericht. Die ganze Organisation in diesen Verantwortlichkeiten, die diffudieren, hätte genauer hinschauen müssen, was man dort macht.

Das heißt nicht, dass man es da nicht zeigt, aber das heißt eben, dass man sich das etwas genauer anguckt und das würde ich von solchen Kollektiven umso mehr erwarten. Am Ende kann man niemanden verantwortlich machen, wenn sich das im Kollektiv versteckt. Ich wäre dafür, keine Zensur zu üben, aber sich im Vorweg bei solchen Dingen tatsächlich die Sachen genauer anzuschauen und dann zu sagen: Halt, das geht hier nicht, das wollen wir nicht zeigen, oder wenn doch, dann müssen wir es in einen Kontext setzen.“

Frank Zöllner. Foto: Thomas Köhler
Frank Zöllner. Foto: Thomas Köhler

Katrin Köppert, Junior-Professorin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst für Kunstgeschichte und populäre Kulturen, kritisierte die Entscheidung, besonders die politische Einflussnahme.

„Sie mögen sich vielleicht daran erinnern, dass es innerhalb von kürzester Zeit verhangen worden ist, im Einverständnis mit den Künstler/-innen und der künstlerischen Leitung. Das war sozusagen jetzt, denke ich, keine staatlich angeordnete Zensur, also staatlich angeordnet, weil im Aufsichtsrat sitzt natürlich auch die Stadt Kassel und das Land Hessen, also auch politische Akteur/-innen. Es ist nicht angeordnet worden, sondern es war im Einverständnis mit den Künstler/-innen und den Kurator/-innen.

Nichtsdestotrotz und das denke ich, ist interessant jetzt zu diskutieren, wäre die Frage, ob dieses Abhängen künstlerische Freiheit einschränkt. Das sage ich vor dem Hintergrund, dass im Anschluss an die Documenta die Staatsanwaltschaft Kassel in dem Bild keine strafrechtsrelevanten antisemitischen Übergriffe festgestellt hat. Es ist kein Ermittlungsverfahren eröffnet worden, aufgrund dessen, dass selbst wenn wir über Antisemitismus im Bild aus einer moralischen Perspektive diskutieren, kein strafrechtsrelevanter Antisemitismus zu sehen ist, also keiner der zu Gewalt aufruft oder Volksverhetzung betreibt. Dann wäre jetzt die Frage: Darf man das abhängen, ist das eine richtige Reaktion oder tangiert das schon die Kunstfreiheit?“

Das Publikum war danach gefragt. Die Diskussion war kontrovers, von „So etwas darf nicht gezeigt werden!“ bis „Auf jeden Fall zeigen, aber mit Kontextualisierung“ waren alle Meinungen vertreten. Die Moderatorin der Veranstaltung, Stephanie Rohde, musste immer wieder daran erinnern, dass es nicht um das Bild, sondern um dessen Verhüllung ging.

Ist Zuspitzung ein legitimes Stilmittel in der Literatur?

In Panel 2 „Soll man das?“ wurde diskutiert, ob Zuspitzung als Stilmittel in der Literatur zulässig – vielleicht sogar gut – oder abzulehnen ist. Wie zu erwarten diente das Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ von Prof. Dr. Dirk Oschmann, Universitätsprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Leipzig und Publizist, als Diskussionsgrundlage und er hielt ein Plädoyer für die Zuspitzung.

„Ich sage im Buch selber, dass ich nichts Neues sage. Ich habe nur versucht, es neu zu sagen, in einem anderen, schärferen Ton. Ich spitze zu, damit man mal den Wald vor lauter Bäume wieder sieht. Mit Adorno könnte ich sagen: Erst in der Übertreibung bekommt man überhaupt etwas zu sehen. Dabei ist meine zugespitzte Darstellung lediglich eine Reaktion auf die zahlreichen Verunglimpfungen, denen Ostdeutsche seit Jahrzehnten ausgesetzt sind.

Wie sehen die Kritiker das Buch? In der einfachsten und dümmsten Form wird schlichtweg alles geleugnet, was ich sage. Andere geben mir in der Sache Recht, stören sich aber gewaltig an meinem Ton, sie halten ihn für unangemessen, ungehörig und womöglich für gefährlich. Dabei wird ignoriert, dass der Ton scharf ist, weil die Sache mich auch als Person unmittelbar angeht, mit dem freilich kategorialen Unterschied, dass ich niemanden beleidige oder diffamiere.

Soll man etwa auf das freimütige Sagen der Wahrheit verzichten, weil die falsche Seite zustimmen könnte? Damit würde einem die Redefreiheit genommen, paradoxerweise, die Stärke der Meinungsfreiheit. Darum sei an das alte Bibelwort erinnert: Die Wahrheit wird euch frei machen. Also muss man sie auch sagen, frei und ungeschminkt, folglich so, dass sie auch gehört wird. Das ist demokratische Praxis, nichts weiter.“

Nach dem Schlagabtausch: Dirk Oschmann und Daniel Fulda. Foto: Thomas Köhler
Nach dem Schlagabtausch: Dirk Oschmann und Daniel Fulda. Foto: Thomas Köhler

Der Widerpart Prof. Dr. Daniel Fulda, Professur für Neuere Literaturwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle, lehnte die Überspitzung als Stilmittel nicht ab, gab aber einiges zu bedenken.

„Ich würde die Frage, darf man so zuspitzen, soll man so zuspitzen, zum Teil mit einem Ja beantworten, man muss es sogar, zum Teil aber doch mit einem Nein. Zuzuspitzen ist die richtige Strategie, besonders für Leute, die sich in einer Debatte neu zu Wort melden. Denn so gewinnen sie Aufmerksamkeit und man kann auch hinzufügen, so bekommt eine schon geführte Debatte neuen Schwung, wird sie für mehr Leute dann auch zugänglich.

Zuspitzung ist legitim, wenn die Faktengrundlage stimmt. Das heißt, wenn die Zuspitzung in der Deutung der Situation, um die es geht, ihre Grundlage hat, in einer Beschreibung, die Konsenschancen hat. Polemische und aggressive Zuspitzung erschwert es, diejenigen zu erreichen, die nicht ohnehin schon der eigenen Meinung sind.

Keinesfalls möchte ich damit sagen, dass über Missstände nicht gesprochen werden sollte. Wenn das Wasser auf die Mühlen der falschen Leute sein könnte, dass dann darüber nicht gesprochen werden sollte. Das möchte ich auf keinen Fall sagen. Die offene Ansprache gesellschaftlicher Probleme ist unabdingbar. Zuspitzung kann gleichwohl, meine ich, kontraproduktiv sein. Nicht nur allgemein, weil Zuspitzung polarisiert und die Wahrnehmung der Realität verzerrt, weil das ausgeblendet wird, was nicht ins zugespitzte Bild passt.“

In der nachfolgenden Diskussion ging es nicht nur um das Stilmittel, es kamen auch Themen wie „Hätte ein wiedervereinigtes Deutschland eine neue Verfassung gebraucht?“ auf, auch andere grundsätzliche Fragen wurden aufgeworfen. Die beiden Protagonisten führten zeitweilig einen heftigen Schlagabtausch durch.

Bis zur Pause hatten das Publikum und die beiden Diskutanten keinen gemeinsamen Nenner gefunden. Zuspitzung als Stilmittel ist legitim, fanden wohl alle, aber es gibt für einen Teil auch Grenzen. In der Pause wurde in Gruppen und Grüppchen weiter diskutiert, dann kam das Kabarett-Duo „Weltkritik de luxe“ mit seiner „Abschiebeshow“.

Darf man so Satire machen?

In dieser satirischen Show muss Abdullah (Maxim Hofmann) live vor Publikum Originalfragen aus dem Einbürgerungstest zum Erhalt der deutschen Staatsbürgerschaft beantworten. Schafft er das, darf er bleiben. Er schafft es natürlich nicht und muss mit dem Preis „Abdullah gewinnt eine Reise, eine Ausreise“ gehen.
Im Showdown wirft die Moderatorin (Bettina Prokert) „Abdullah“ vor, einen Asylanten gespielt zu haben, ohne zu wissen, wie sich so ein Asylant fühlt.

Weltkritik deluxe. Foto: Thomas Köhler
Weltkritik deluxe. Foto: Thomas Köhler

Moderatorin: Also Mensch, das geht überhaupt nicht, dass Sie hier den Abdullah so diskreditieren. Haben Sie den Abdullah gefragt?

Hofmann: Ich habe den Abdullah gefragt und der fand’s lustig.

Moderatorin: Ach, guck mal. Und warum ist der Abdullah dann heute nicht im Publikum?

Hofmann: Er ist beim Racial Profiling nicht durch die Tür gekommen. Außerdem wollte er sein Messer nicht abgeben.

Darf man das? Darf man rassistische Klischees als Stilmittel in der Satire einsetzen? Darf Satire auch Ausländer aufs Korn nehmen? Darf ein weißer Deutscher einen Ausländer auf der Bühne darstellen? Was sind Minderheiten oder vulnerable Gruppen? Muss man Religionen vor Satire schützen? Ist ein Witz und Satire das gleiche?

Die Diskussion, die folgte, war heftig. Teilweise uferte sie in Grundsatzdiskussionen über Witze, Satire, Stereotype und andere Begriffe aus. Am Ende gab es für die meisten im Publikum wohl mehr offene Fragen als zufriedenstellende Antworten. Damit muss man leben. Wir können darüber aber diskutieren und auch verschiedener Meinung sein. Das brachte Maxim Hofmann vom Kabarett Weltkritik deluxe zum Ausdruck.

„Es ist ein Luxus, dass man in einem demokratischen Land über so etwas diskutieren kann, denn die Komiker und Schriftsteller sind in anderen demokratieferneren Staatsformen als erstes weg und solche Diskussionen sind dort gar nicht mehr möglich.“

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