35 Jahre nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung sind die deutsch-deutschen Beziehungen nach wie vor geprägt von Unterschieden. Wirtschaftliche und soziale Faktoren zeigen, dass Ost- und Westdeutschland trotz politischer Einheit weiterhin auseinanderliegen. Diese Diskrepanzen haben weitreichende Auswirkungen auf den Alltag der Menschen und werfen die Frage auf, wie eine Angleichung erreicht werden kann.
Wirtschaft: Der Osten zieht oft den Kürzeren
Obwohl rund 20 Prozent der Bevölkerung im Osten lebt, haben nur knapp 8 Prozent der umsatzstärksten Unternehmen ihren Sitz dort. Von den 500 größten Unternehmen sind nur 42 im Osten angesiedelt, und lediglich 4 Prozent der Führungspositionen werden von Ostdeutschen besetzt.
Das zeigt deutlich, dass der Osten in wirtschaftlicher Hinsicht weiterhin benachteiligt ist. Das ist aber nicht nur ein Problem der Unternehmensansiedlung, sondern auch der strukturellen Gegebenheiten. Ein Beispiel hierfür ist der Zugang zu schnellem Internet: Während in Westdeutschland 70 Prozent der Haushalte schnelles Internet haben, sind es im Osten nur 44 Prozent.
Auch bei den Bruttogehältern zeigt sich eine deutliche Kluft. Das durchschnittliche Monatsgehalt im Westen liegt bei rund 4.600 Euro, während es im Osten etwa 800 Euro weniger sind. Besonders gravierend ist die Situation in Mecklenburg-Vorpommern, wo das durchschnittliche Einkommen nochmals 300 Euro unter dem ostdeutschen Durchschnitt liegt. Doch sind Ostdeutsche deswegen finanziell immer schlechter gestellt? Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Man muss die geringeren Lebenshaltungskosten im Osten berücksichtigen.
Größter Kostenfaktor in Ost und West gleich: Das Wohnen
Laut Statistischem Bundesamt geben ostdeutsche Haushalte monatlich rund 400 Euro weniger für privaten Konsum aus als westdeutsche. Trotzdem beträgt der Anteil des Gehalts, den Ostdeutsche für Konsum aufwenden, 66 Prozent – drei Prozentpunkte mehr als im Westen. Der größte Posten bei den Ausgaben: Wohnen. Während westdeutsche Haushalte rund 36,4 Prozent ihres Budgets für Mietkosten aufbringen, sind es im Osten 34,2 Prozent.
In den Metropolen zeigt sich dennoch ein deutlicher Unterschied. Ein Vergleich zwischen Leipzig und Düsseldorf, beides Städte mit über 600.000 Einwohnern, verdeutlicht das: In Leipzig zahlen Mieter im Schnitt 6,44 Euro pro Quadratmeter, in Düsseldorf 9,24 Euro. Doch obwohl die Mieten im Osten insgesamt niedriger sind, gibt es gerade in städtischen Gebieten wie Berlin oder Leipzig einen Aufwärtstrend.
Bei Kinderbetreuung und Gleichstellung hat Osten die Nase vorn
Trotz der wirtschaftlichen Disparitäten hat Ostdeutschland soziale Errungenschaften, die selbst im Westen oft als Vorbild dienen. Ein zentrales Thema ist dabei die Gleichberechtigung. Frauen sind im Osten besser in den Arbeitsmarkt integriert. Dies hat historische Gründe: In der DDR wurde von Frauen erwartet, Vollzeit zu arbeiten, und Betreuungsmöglichkeiten für Kinder waren flächendeckend vorhanden. Diese Strukturen wirken bis heute nach. Während in Westdeutschland fast drei Viertel der Haushalte dem traditionellen Familienmodell folgen, also der Mann als Hauptverdiener auftritt, liegt dieser Anteil im Osten nur bei 42,9 Prozent.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen im Osten deutlich kleiner ist. In Brandenburg gibt es nahezu keinen Unterschied, während Frauen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen mehr als 90 Prozent des männlichen Durchschnittseinkommens verdienen. Zum Vergleich: Im Westen liegt Schleswig-Holstein mit 87,2 Prozent an der Spitze, während Baden-Württemberg mit 78,6 Prozent das Schlusslicht bildet.
Auch bei der Kinderbetreuung ist Ostdeutschland weiterhin führend. Die Betreuungsquote von Kindern unter drei Jahren in Kitas liegt beispielsweise in Leipzig bei 54 Prozent, in Düsseldorf hingegen nur bei 36 Prozent. Die frühkindliche Betreuung ist ein wichtiger Faktor für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und bietet gerade Frauen eine bessere Integration in den Arbeitsmarkt.
Auch in der Wirtschaft holt der Osten auf
Trotz der weiterhin bestehenden Unterschiede gibt es auch positive Entwicklungen im Osten. Der Lohnanstieg in Leipzig liegt seit 2014 bei rund 40 Prozent. Im Westen, etwa in Düsseldorf, beträgt der Anstieg im gleichen Zeitraum nur rund 10 Prozent. Diese Zahlen zeigen, dass Ostdeutschland in einigen Bereichen wirtschaftlich aufholt.
Auch der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), fand bei der Vorstellung seines Jahresberichtes Ende September positive Worte: „Beide Landesteile sind längst viel enger miteinander verwoben, als es manchmal scheint.“
Auch wenn viele Menschen von der Ost-West-Debatte genervt sind, dürfen die Unterschiede nicht ignoriert werden. Für eine gemeinsame Zukunft ist es unerlässlich, die Differenzen aufzuarbeiten und Lösungen zu finden.
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