Am 9. Oktober wurde in Leipzig mit dem Lichtfest an die Montagsdemonstrationen der Friedlichen Revolution vor 35 Jahren erinnert. Doch das Jubiläum war nicht nur Anlass zum Feiern. Zeitgleich präsentierte der MDR in Kooperation mit der Universität Leipzig ein Datenprojekt, das eine kritische Bestandsaufnahme der medialen Darstellung Ostdeutschlands liefert: „Es ist kompliziert: Der Osten in den Medien“.
Das Projekt untersucht über 311 Millionen Presseerzeugnisse aus den Jahren 1990 bis 2024. Dabei lag der Fokus auf der Frage, welche Begriffe und Themen in Artikeln über Ostdeutschland besonders häufig vorkommen und wie sich das Bild des Ostens im Laufe der Zeit verändert hat. Die Ergebnisse werfen einen besorgniserregenden Blick auf die Berichterstattung und deren Wirkung auf die Menschen in Ostdeutschland.
Ein Drittel der Begriffe gehört zur Kategorie „Rechte Ideologie“
Eine der zentralen Erkenntnisse der Studie ist, dass die Berichterstattung über den Osten stark von negativen Begriffen geprägt ist. In der Analyse von Artikeln aus den Jahren 2020 bis 2024 zeigen sich vor allem Themen wie Fremdenfeindlichkeit, rechte Bewegungen und Arbeitslosigkeit als dominierende Narrative.
Fast ein Drittel der 50 am häufigsten verwendeten Begriffe lassen sich dem Thema „Rechte Ideologie“ zuordnen. Begriffe wie „überfremdet“, „PEGIDA“ und „Lügenpresse“ sind in Artikeln über Ostdeutschland rund zehnmal häufiger vertreten als im bundesweiten Durchschnitt.
Auch Parteinamen wie AfD, NPD und die Linke tauchen überdurchschnittlich oft auf, was laut der Studie darauf hindeutet, dass ostdeutsche Wahlergebnisse besonders aufmerksam verfolgt werden. Diese Konzentration auf rechte Ideologien und politische Parteien prägt das Bild vom Osten als politisch extremer Raum.
Die wirtschaftliche Dimension: Arbeitslosigkeit und Benachteiligung
Neben der rechten Ideologie spielt auch das Thema „Arbeit“ eine zentrale Rolle. Begriffe wie „Altersarmut“, „Arbeitslosigkeit“ und „Frauenerwerbsarbeit“ sind in der Berichterstattung über Ostdeutschland ebenfalls überrepräsentiert. Zudem tauchen Wörter wie „abgehängt“ und „Benachteiligung“ häufig auf, die ein Bild von Machtlosigkeit und struktureller Benachteiligung der Region zeichnen.
Dies führt zu einem überwiegend negativen Gesamtbild: In der Analyse der am häufigsten verwendeten Adjektive in Artikeln über den Osten sind nur 3 der 30 wichtigsten Begriffe positiv konnotiert, 21 dagegen negativ.
Der Wandel im Laufe der Zeit: Vom wirtschaftlichen Umbruch zur politischen Radikalisierung
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie sich das Bild des Ostens in den Medien im Laufe der Zeit verändert hat. In den 1990er Jahren, kurz nach der Wiedervereinigung, standen wirtschaftliche Themen im Vordergrund. Begriffe wie „Strukturwandel“ und „Privatisierung“ dominierten die Berichterstattung. In den 2000er Jahren verschiebt sich der Fokus zunehmend auf Machtlosigkeit und Zukunftssorgen der Ostdeutschen. Proteste gegen den Sozialabbau und das Erstarken der NPD rücken in den Vordergrund.
Ab 2015 überlagern schließlich die Themen Flucht und Migration die Berichterstattung, begleitet von der wachsenden Präsenz rechter Bewegungen wie PEGIDA. Gleichzeitig verstärken sich Begriffe, die Machtverlust und kollektive Unterrepräsentation ausdrücken.
Wie die Ostdeutschen sich medial repräsentiert fühlen
Diese oft negativen Darstellungen hinterlassen Spuren in der Wahrnehmung der Ostdeutschen. In einer Befragung durch das Format „MDRfragt“ gaben 77 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie die überregionale Berichterstattung über den Osten als „eher negativ“ empfinden.
Nur 3 Prozent der Befragten aus Mitteldeutschland fühlten sich positiv repräsentiert. Fast 60 Prozent der Ostdeutschen bezeichneten die Berichterstattung als „voreingenommen“ und „oberflächlich“. Begriffe wie „einseitig“ und „manipulativ“ fielen häufig. Nur 7 Prozent empfanden sie als „neutral“.
Was muss sich ändern?
Medienwissenschaftlerinnen wie Mandy Tröger von der Universität Tübingen erkennen in der Berichterstattung über den Osten stereotype und sich wiederholende Muster, die häufig auf Rechtsradikalismus und Arbeitslosigkeit fokussiert sind.
Diese Themen seien zwar wichtig, doch müsse die Berichterstattung differenzierter werden, so Marieke Reimann, Chefredakteurin des SWR. Es sei von zentraler Bedeutung, auch außerhalb von Wahlen und Jubiläen den Dialog mit den Ostdeutschen zu suchen und ihre Perspektiven stärker einzubeziehen.
Der Diskurs über den Osten dürfe nicht nur von westdeutschen Stimmen bestimmt werden, betont Reimann. Ostdeutsche sollten nicht nur Thema, sondern auch aktiv Teil des Diskurses sein. Nur so könne ein ausgewogeneres und gerechteres Bild der Region entstehen.
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