Neulich las ich in einem Interview mit Steffen Mau den schönen Begriff „Wutkonkurrenz“. Er bezog sich auf den Wahlwettstreit zwischen BSW, AfD und CDU im Osten. Dabei hatte vor ein paar Wochen noch – gefühlt – jeder politische Kolumnist und sogenannte Experte, bewaffnet mit eilig durchgeführten Umfragen, prophezeit, dass das BSW vor allem die Linke und die AfD im Osten plätten würde.

Aber weil die Sahra ihm sogar an der Traditionslinie flickt, wenn sie sich hinstellt und behauptet, dass sie und ihre Partei das wahre Erbe von Ludwig Ehrhardt hochhielte und sehr bewusst eine krasse Früh-BRD-Nostalgie betreibt, für die sich die Union selbst zu fein gewesen wäre, sitzt die Fritze Truppe jetzt so richtig zwischen den Stühlen.

Aber Herr Merz, dem sein innerer Kreis ja regelmäßig bescheinigt, dass er eigentlich eine zu dünne Haut für den Kanzlerjob hätte, hat’s ja nicht nur mit der Start-Up-Konkurrenz der Saarland-Connection und den Rechtsradikalen zu tun, sondern auch mit einer recht tiefgreifenden Spaltung seiner eigenen Truppe.

Während die nordwestlichen Unions-Landesherren einen gemäßigten Kurs gegenüber Migration und grüner Klimapolitik anmahnen und damit bei ihren Wählern permanent erfolgreich sind, mucken die Ministerpräsidenten aus dem Osten auf und fahren eine arg populistische „Anti-Ukrainekriegs“, „Wir wollen unser Gas zurück“ und „bald geht die Welt unter“ -Politiknummer, die im Westen, Norden und bei der kleinen Schwester in Bayern nur extrem bedingt ankommt.

Cover des ePapers der LZ Nr. 126.
Cover des ePapers der LZ Nr. 126.

Die neoliberalen turbokapitalistischen 90er-Jahre-Lösungen, die der Fritze im Unions-Programm durchgesetzt hat, erweisen sich schon lange vor der Bundestagswahl als zu flach, um die gespaltene Republik nach der Zeitenwende befrieden zu können. Und alle, vom Wähler bis zum Ministerpräsidenten, fühlen sich gerade irgendwie entweder missachtet, verhöhnt, ungehört oder schlichtweg fehl am Platze.

Statt einem Ruck, so hat man das Gefühl, geht eine Wutwelle durchs Land, die sich an keinerlei gewohnte parteipolitischen Trennlinien hält, sondern ungebremst weiterschwappt und sich dabei aufzuschaukeln droht. Wut ist ein Zustand von hilfloser Maßlosigkeit, der entweder auf eine abrupte Entladung abzielt oder einem Erschöpfungszustand entgegenstrebt, an dessen Ende statt Wut tatenlose Enttäuschung und/oder Verwunderung zurückbleibt.

Was wir gerade sehen ist ein merkwürdiger Verharrungszustand, bei dem sich keine der etablierten Parteien traut, irgendeinen Move zu machen, der zu einer Entladung der allenthalben spürbaren Wut führen würde. Dabei gäbe es Mittel, die herbeizuführen, ohne dabei allzu viel politisches und ökonomisches Porzellan zu zerschlagen.

Die Union könnte sich zum Beispiel schon jetzt dazu entschließen, ihren Widerstand gegenüber der Aufweichung der Schuldenbremse aufzugeben und die Wähler mithilfe eines dringend nötigen Investitionsboosters zu besänftigen. Es ist ja das offenste Geheimnis überhaupt, dass die Aufweichung der Schuldenbremse sowieso nicht aufrechtzuerhalten ist.

Aber natürlich setzt die Union darauf, dies erst nach der nächsten Bundestagswahl tun zu können. Dann, wenn man – hoffentlich – in einer von Merz geführten großen Koalition fest im Sattel sitzt. Nur ist das so eine Sache mit dem Pokerface in Zeiten der Krise. Da kann das schon mal verrutschen und die Unsicherheiten und durchaus moralisch hässlichen Strategiespielchen sichtbar machen, die man dahinter so grimmig zu verbergen versuchte.

Falls ich den Fritze noch mal von staatsmännischer Verantwortung reden höre, werde ich jedenfalls lachen. Und zwar verdammt laut. Und – zornig.

„Haltungsnote: Wutkonkurrenz“ erschien erstmals im am 28.06.2024 fertiggestellten ePaper LZ 126 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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