Die Wildvogelhilfe Leipzig hat zum wiederholten Mal einen verendeten Jungstorch in Bad Dürrenberg (Saalekreis, Sachsen-Anhalt) entdeckt, der an Gummibändern im Magen gestorben ist. Karsten Peterlein, der ehrenamtlich für die Wildvogelhilfe Leipzig arbeitet, hat das tote Jungtier am Montag im Bad Dürrenberger Ortsteil Balditz vom Horst geholt.
Somit sind in diesem Jahr bereits zwei der drei Jungen des Balditzer Weißstorchenpaars aufgrund von Müll im Magen verendet. Das erste in diesem Jahr qualvoll gestorbene Balditzer Jungtier hatte zum Zeitpunkt seines Todes 145 Gummiteile im Magen, wie eine Obduktion in der Vogelklinik der veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig ergab. Es verstarb am 7. Juli – einen Tag, bevor seine beiden Geschwister flügge wurden und den Horst für erste Ausflüge verließen.
Nach dem dritten und letzten Jungtier sucht die Wildvogelhilfe Leipzig nun mit allen Kräften. 2021 war es der Wildvogelhilfe gelungen, Gummis mit Abführmitteln aus dem Magen eines Storches zu bekommen, der somit vorerst gerettet werden konnte.
Nach Angaben der Wildvogelhilfe wurden die Balditzer Jungtiere auch nach dem ersten Verlassen des Horstes für kurze Ausflüge noch von den Altvögeln gefüttert – unter anderem mit Gummibändern, weshalb sich auch der letzte verbliebene Jungstorch noch in Lebensgefahr befindet.
„Wir konnten beobachten, dass die Jungen von den Altvögeln weiter mit Gummi gefüttert wurden“, schrieb die Wildvogelhilfe gestern in einem Beitrag auf Social Media. Unter dem Storchenhorst seien Gewölle mit Gummi zu finden gewesen. Dabei handele es sich um Speiballen mit unverdaulichen Nahrungsresten.
Problematik seit Jahren bekannt
Seit Jahren weisen der Naturschutzbund NABU und die Wildvogelhilfe Leipzig auf die Problematik der Gummibänder hin, die von den Störchen fälschlicherweise für Futter gehalten werden. Die Vögel finden die Gummis etwa auf abgeernteten Feldern und verwechseln sie offenbar mit Würmern.
Nicht nur in Bad Dürrenberg, sondern deutschlandweit wurden bereits mehrere Fälle dokumentiert, in denen Gummibänder im Magen die Ursache für das Sterben von Störchen waren.
Laut NABU und Wildvogelhilfe wird die Menge zur Gefahr: Sobald sich die Masse an Gummis zu einem Klumpen im Magen verdichtet, blockiert dieser den Zugang zum Darm und neue Nahrungsaufnahme wird unmöglich. Die Störche verhungern dann mit vollem Magen.
„Die gesund wirkenden Jungtiere können sehr plötzlich zusammenbrechen“, schreibt die Wildvogelhilfe auf Social Media. „Offenbar sichern kleine Nahrungsmengen verdaulicher Kost für einen gewissen Zeitraum das Überleben der jungen Störche, bis die Menge unverwertbarer Nahrung überwiegt oder zum Verschluss des Verdauungssystems führt.“
Auf diese Weise sind bereits im vergangenen Jahr mehrere Jungtiere in Balditz zu Tode gekommen, berichtet Karsten Peterlein auf Anfrage gegenüber der LZ. Vermutlich gab es auch in den Jahren zuvor an Müll verendete Störche in der Region, doch damals hatte Peterlein keine Zeit für eine Dokumentation. Er ist Arbeitskreisleiter für Ornithologie und Vogelschutz beim NABU Leipzig und ehrenamtlich für die Wildvogelhilfe tätig.
Menschengemachte Todesfalle
„Wir suchen seit drei Jahren nach der Quelle, wo diese ganzen Gummibänder herkommen könnten“, berichtet Peterlein verzweifelt. Er vermutet, dass die Störche die Gummibänder unter anderem auf gewerblichen Kompostieranlagen in der Umgebung aufsammeln, oder dass die Gummis zumindest über diese Anlagen in die Natur gelangen.
Auf gewerblichen Kompostieranlagen lassen Blumengeschäfte, Gärtnereien und Wochenmärkte ihre Ware entsorgen – Peterlein denkt da beispielsweise an zusammengebundene Radieschen, die auch in Privathaushalten vermutlich oft direkt mit Gummi im Biomüll landen.
Die NABU-Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bemühen sich daher seit Längerem um Aufklärung und appellieren an die Öffentlichkeit: Gummibänder, die handelsüblich etwa Radieschen, Mairübchen und Gartenkräuter zusammenhalten, dürfen nicht in den Biomüll!
„Da sich hier ein größeres Umweltproblem, nämlich die Flut von Kunststoffmüll in unserer Natur, sehr konkret widerspiegelt, rufen die NABU-Landesverbände alle Menschen dazu auf, die Umwelt sauber zu halten, Abfälle einzusammeln und fachgerecht zu entsorgen, damit Tiere und Natur nicht gefährdet werden“, heißt es auf der Website des NABU Leipzig.
Der NABU fordert außerdem dringend Maßnahmen, um die Ursachen der Umweltverschmutzung zu beseitigen. Beispielsweise schlägt er vor, auf naturverträgliche Alternativen zu Gummi zurückzugreifen. Karsten Peterlein wünscht sich zudem mehr Mithilfe aus der Bevölkerung. Zwar seien die Leute besonders in Bad Dürrenberg alarmiert, doch allein die Sensibilität reiche nicht, um den Vögeln zu helfen.
„Wenn wir online von der Problematik berichten, gibt es zwar 20 Kommentare unter dem Facebook-Beitrag, aber generell kommt zu wenig aus der Bevölkerung“, bedauert Peterlein. Es habe in der Vergangenheit zwar von Bürger*innen initiierte Müllsammelaktionen gegeben, doch nicht speziell wegen Gummibändern.
Ehrenamtliche Hilfe dringend benötigt
Peterlein versorgt täglich hunderte stationär aufgenommene Vögel, doch allein ist die Arbeit kaum zu schaffen. Die Wildvogelhilfe starte vor Kurzem deshalb einen Aufruf auf der Suche nach weiteren ehrenamtlichen Helfer*innen.
Das Retten, Füttern und medizinische Versorgen der Vögel – dazu kommen der Telefondienst und die Öffentlichkeitsarbeit – macht so viel Mühe, dass sie eine Vollzeitstelle füllen würde, doch die Wildvogelhilfe ist eine nicht-staatliche, ehrenamtliche Organisation, die allein von Spenden lebt. Die Wildvogelhilfe hat deshalb die Öffentlichkeit auch um Ideen gebeten, wie Geld für Personalstellen aufgetrieben werden könnte.
„Die Wildvogelhilfe Leipzig ist zurzeit wegen vieler Notfälle sehr ausgelastet“, heißt es auf der Website. „Aktuell betreuen wir beispielsweise 35 Mauersegler gleichzeitig. Aufgrund der Belastung sind wir nur eingeschränkt telefonisch erreichbar und schaffen nicht, alle Hilfesuchenden zurückzurufen. Wir bitten um Verständnis.“
Update 5. August: Wie die Wildvogelhilfe Leipzig mitteilt, konnte nach Anwohnerhinweisen und gezielter Beobachtung am Wochenende die wahrscheinliche Quelle der Gummibänder ausfindig gemacht werden. Diese liegt weiter weg, als es der erste Suchradius vermuten ließ. Die oberflächlich sichtbaren Gummibänder wurden eingesammelt, die Fundstelle dokumentiert und der Naturschutzbehörde übermittelt.
Aktuelles Statement der Wildvogelhilfe auf Instagram
Dieser Artikel wurde am 31. Juli erstmals veröffentlicht und heute um das Update ergänzt.
Wer sich ehrenamtlich bei der Wildvogelhilfe engagieren möchte, soll sich per Mail an info@wildvogelhilfe-leipzig.de wenden.
Spenden nimmt die Wildvogelhilfe über die Konten des NABU per Direktüberweisung oder per Paypal entgegen.
Die in den letzten Jahren zusammengetragenen Informationen über die tödlichen Gummibänder hat der NABU Leipzig auf seiner Website zusammengefasst.
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Keine Kommentare bisher
Vielleicht auch einfach mal die Praxis, Radischen mit Gummibändern zu verpacken, verbieten. Ging mit Stohhalmen ja auch. Man kann einfach Baumwollgarn oder Bast nehmen, was recht schnell verrottet.