Gestern Vormittag verstarb eine 33-jährige Radfahrerin am Wilhelm-Leuschner-Platz. Eine LKW-Fahrerin hatte die Frau offenbar beim Spurwechsel auf der Fahrbahn übersehen und überrollt, das Opfer verstarb noch vor Ort. Während die Polizei nach Zeugen zum genauen Unfallhergang sucht, erinnert seit gestern ein weißes Fahrrad an die getötete 33-Jährige. Die Trauer und Bestürzung sind groß, Konsequenzen werden gefordert.
Am Tag nach dem schrecklichen Unfall scheint auf den ersten Blick alles normal am Peterssteinweg: Autos, Straßenbahnen und Passanten durchqueren die Strecke im Bereich Wilhelm-Leuschner-Platz Richtung Stadtzentrum. Doch ein weißes Fahrrad, ein sogenanntes Ghost Bike oder Geisterrad am Fahrbahnrand, erinnert seit gestern Abend an das, was am Vormittag gegen 10:30 Uhr geschah.
Nach jetzigem Kenntnisstand war eine 33-jährige Radlerin auf dem Radfahrstreifen stadteinwärts unterwegs, als eine Lastwagenfahrerin (25) sie beim Wechsel auf die Spur für Rechtsabbieger übersah. Die 33-Jährige wurde vom LKW überrollt und erlag noch an der Unfallstelle ihren schweren Verletzungen.
„Man darf sich nicht verdrängen lassen aus Angst“
Das sogenannte Geisterrad soll Aufmerksamkeit schaffen und zugleich an das Unfallopfer erinnern. Immer wieder bleiben an diesem Freitagvormittag Passanten stehen, halten inne, viele haben Blumen und Kerzen im Gedenken an die 33-jährige Radfahrerin abgelegt.
So auch ein jüngerer Mann, der selbst regelmäßig per Rad unterwegs ist. „Ich dachte mir: Soll ich jetzt bewusst vorbeifahren oder die Stelle meiden?“, erzählt er. Letztlich entschied er sich aber dazu, hinzufahren und eine Kerze abzustellen, als Zeichen der Anteilnahme.
Nach seiner Meinung gefragt, was sich an der Unfallstelle ändern müsse, wird er deutlich: „Ich bin hier selbst schon oft geschnitten worden“, berichtet er. Neben einer deutlichen Farbmarkierung der verblassten Radfahrspur bringt der Mann einen Vorrang für Radfahrer, mehr Verkehrsüberwachung und eine bessere technische Ausrüstung für Fahrzeuge ins Spiel, wie etwa Abbiegeassistenten. Die sind für neue Bus- und LKW-Typen seit zwei Jahren europaweite Pflicht, was sich ab 7. Juli 2024 auch auf Neuzulassungen erweitern soll.
Und für den Befragten ist eines klar: Radfahrer gehören zum Straßenbild und Straßenverkehr dazu. „Man darf sich nicht verdrängen lassen aus Angst.“
Radfahrstreifen als Gefahrenpunkt
Damit steht der Passant nicht allein. Auch der ADFC Leipzig zeigte sich in einem gestrigen Statement, wie viele Social-Media-User, zutiefst erschüttert von dem tödlichen Unfall: „Jede*r Verkehrstote ist eine*r zu viel in unserer Stadt! Unser tiefes Beileid und Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen. Wir fordern weiterhin, dass sich Planung, Bau und Verkehrsrecht an der #VisionZero, d. h. dem Ziel von 0 Verkehrstoten und Schwerverletzten, orientieren muss“, heißt es.
Der Unfall ereignete sich an einem sogenannten „Radfahrstreifen in Mittellage“ (RiM), auch als Fahrradweiche bezeichnet. Die soll dazu dienen, Konflikte zwischen Radfahrern auf dem Weg geradeaus und rechtsabbiegendem KfZ-Verkehr vorab zu vermeiden: Indem der Radverkehr im Sichtfeld der Autofahrer sei, könne das Risiko von Rechtsabbiege-Unfällen gesenkt werden, wie sie in den vergangenen Jahren traurigerweise immer wieder in Leipzig auftraten.
Forderungen des ADFC
„Fakt ist: Diese Form der Radverkehrsführung ist in der Forschung bislang nicht negativ aufgefallen. Heute zeigt sich aber auch, dass sich die Unfälle durch diese Art der Radverkehrsführung von der Kreuzungsfläche in den Verflechtungsbereich am RiM verlagern können“, teilt der ADFC mit. Gerade ein Wechsel des motorisierten Verkehrs auf die Abbiegespur führt zwangsläufig dazu, dass der Streifen für die Radler überquert werden muss und höchst gefährliche Situationen entstehen können. Das hat schon oft Kritik hervorgerufen.
Der ADFC fordert daher unter anderem eine Grünfärbung des betroffenen Radfahrstreifens, die Begrenzung des KfZ-Spurwechsels auf einen engen, rot gefassten Bereich, Tempo 30 sowie die konsequente Kontrolle und Ahndung von Verstößen gegen die Abbiege-Geschwindigkeit von LKW, die nur im Schritttempo erfolgen soll.
Darüber hinaus seien auch Gesetzgeber, Fahrzeugindustrie und Gewerbetreibende in der Pflicht, etwa durch „stadtverträglich“ konstruierte LKW sowie eine zwingende Ausstattung aller Fahrzeuge, die in die Stadt wollen, mit Kameras, Notbrems- und Sicherheitsassistenten. Obendrein müssten Unternehmen im Zweifel Beifahrer zur Unterstützung einsetzen, heißt es.
„Wie viele müssen noch sterben?“
Für viele steht wohl fest, dass Änderungen überfällig sind. „Wie viele müssen noch sterben im Leipziger Straßenverkehr?“, heißt es auf einem handschriftlichen Zettel, den jemand an der Unfallstelle hinterlassen hat.
Währenddessen untersucht der Verkehrsunfalldienst den genauen Hergang des Geschehens, hierzu gibt es einen Zeugenaufruf. Gegen die 25-jährige LKW-Fahrerin wird zudem wegen fahrlässiger Tötung ermittelt.
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