Geleistet wurde er schon vor Beginn des Nazi-Terrors in Deutschland auf Regierungsebene am 30. Januar 1933: Widerstand gegen die drohende Diktatur, den militanten Antisemitismus und die Delegitimierung der Demokratie. Doch das Widerstehen vieler Bürgerinnen und Bürger, auch von Organisationen wie das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ erwies sich als zu schwach, um Adolf Hitler und die NSDAP an ihrem mörderischen Wüten zu hindern.

Der Widerstand gegen die Machtübernahme der NSDAP scheiterte vor allem daran, dass eine erdrückende Mehrheit der Menschen aus allen Schichten Deutschlands den Nationalsozialismus auch in seiner gewaltbereiten Entschlossenheit, die Demokratie und Menschenrechte zu beseitigen, unterstützten. Das Wegsperren bis Ermorden von Kommunisten und Sozialdemokraten, die kulturelle Gleichschaltung und erbarmungslose Verfolgung kritischer Intellektueller, die rassistische Ausrottung Menschen jüdischen Glaubens wurden im besten Fall als Kollateralschäden hingenommen.

Dennoch ist es zwischen 1933 und 1945 immer wieder zu einzelnen, bewundernswerten Widerstandsaktionen gekommen wie durch die studentische Initiative „Weiße Rose“ oder den mutigen Schreiner Georg Elser.

Nach 1945 hat sich in Deutschland eingebürgert, das gescheiterte Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 und den vergeblichen Versuch, die NSDAP zu entmachten, als die Widerstandsaktion gegen das Hitlerregime zu würdigen. Das hatte aber immer einen Makel. Denn dieser Widerstand war teilweise von Kräften getragen, die zunächst durch ihr politisches und militärisches Wirken dafür gesorgt hatten, dass die Nationalsozialisten ihre Terrorherrschaft errichten konnten.

Mit diesem Hinweis soll die Bedeutung der Widerstandsaktion vom 20. Juli 1944 in keiner Weise in Abrede gestellt werden. Auch ist denen, die sich vom Nationalsozialismus losgesagt haben, der Sinneswandel hoch anzurechnen. All das muss uns aber heute zu zwei Dingen veranlassen:

  • den gesellschaftlichen Gruppen und Einzelpersonen mehr Beachtung zu schenken, die schon in der Weimarer Republik frühzeitig, hellsichtig und geistesgegenwärtig vor dem Schrecken der nationalsozialistischen Diktatur gewarnt haben;
  • den gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen deutlich zu widerstehen, die dem Muster der nationalsozialistischen Machtergreifung folgen und die Demokratie zu zerstören drohen.

In diesem Sinn ist es zu begrüßen, dass die „Stiftung 20. Juli 1944“ zum 80. Jahrestag des Hitler-Attentats ein Manifest veröffentlicht hat, das sich gegen die richtet, die sich heute in ihren Aktionen auf den Widerstand gegen das Naziregime (und gegen die SED-Diktatur) berufen und damit suggerieren, ein offener Meinungsstreit und eine demokratische Auseinandersetzung seien nicht mehr möglich.

Gruppen und Parteien wie die AfD, Reichsbürger, Freie Sachsen u.a. und ihre Sprachrohre wie das gerade verbotene Magazin „Compact“ bedienen sich seit Jahren, insbesondere seit dem Aufkommen von PEGIDA 2014, einer widerwärtigen Widerstandsrhetorik. Diese hat sich in der Corona-Zeit noch verstärkt. Da wurde und wird propagandistisch der demokratische Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland zu einem „System“ degradiert, das nur noch vergleichbar sei mit den beiden Diktaturen auf deutschen Boden im 20. Jahrhundert.

Daraus wird dann ein Widerstandsrecht abgeleitet, das bei jeder Demo der Rechtsnationalisten lautstark herausposaunt wird „Widerstand“. Mit der Realität hat dies nur insofern etwas zu tun, als viel zu viele Bürger/-innen der AfD in dieser Rhetorik folgen und damit den gleichen Parolen und Narrativen auf den Leim gehen wie vor 90 bis 100 Jahren.

Wir leben aber heute unter politischen Bedingungen, die die demokratische Auseinandersetzung, den zeitlich begrenzten Machtwechsel zwischen Regierung und Opposition und Vielfalt und Offenheit ermöglichen.

Wir leben darum nicht – wie es inzwischen gängig ist zu behaupten – in einer gespaltenen Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist vor allem eines: vielfältig, divers und seit 75 Jahren demokratisch aufgebaut. Allerdings erleben politische Parteien und Gruppierungen wie die AfD vermehrte Zustimmung, die durch ihren völkischen Nationalismus die Gesellschaft aufspalten, nämlich:

  • in Opfer (dazu gehören alle, die gut und anständig leben, natürlich Deutsche sind und denen nun alles genommen werden, z.B. „ihr Land“) und in eine korrupte Elite, die nur noch für sich selbst sorgt und das Volk vernachlässigt;
  • in Deutsche, die ein Recht haben, sich zum Volk zu zählen, und solche, die eigentlich nicht dazugehören (Ausländer/-innen, Geflüchtete, „Invasoren“ – später dann Minderheiten wie Behinderte);
  • in Alt-Parteien, die Politik gegen das „Volk“ machen, und die eine Partei, die Deutschland von Fremdbestimmung und Umvolkung befreien und wieder groß machen wird.

Diese bewusst herbeigeredete Spaltung zwischen Volk/Opfer/Bewegung und Elite/Täter/Alt-Parteien soll den Boden dafür bereiten, das „System“ der freiheitlichen Demokratie, ihre Vielfalt, Gleichberechtigung und Menschenwürde und den Wechsel von Regierung und Opposition abzuschaffen, um so eine homogene Gesellschaft formen zu können unter Ausschluss all derer, die stören. Dass diese Verballhornung des „Widerstands“ mit einer notwendigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um gerechte Teilhabe an Arbeit, Einkommen, Bildung, Wohnen nichts zu tun hat, kann man nicht oft genug betonen.

Noch nie hat der völkische Nationalismus mit seiner Widerstandsrhetorik der Solidarität in einer Gesellschaft gedient. Dem kann eine Resilienz entgegengesetzt werden, eine Widerstandsfähigkeit des Einzelnen, die beides vermag: die eigenen Interessen im demokratischen Meinungsstreit zu vertreten, den anderen mit seinen eigenen Interessen zu achten, zum Kompromiss fähig zu sein und so die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen.

Eine solche Resilienz benötigt keinen Heldenmut, aber politische, demokratische Wachheit und die Fähigkeit, politische Niederlagen zu ertragen.

Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/

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