Mehrere tausend Menschen waren dem Aufruf des breiten Bündnisses „Hand in Hand Leipzig“ gefolgt und demonstrierten am Tag vor den Wahlen gegen Demokratiefeinde in Europa. Im Laufe der mehrstündigen Veranstaltung gab es Reden, Musikbeiträge und einen Aufzug über den kompletten Innenstadtring.
Die Auftritte der beiden, nun ja, Stargäste an diesem Nachmittag ließen nicht lange auf sich warten. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung durfte als Erster auf die Bühne. Er äußerte seine „Angst“ vor faschistischen Bestrebungen und stellte klar, dass jenen Kräften „nicht das Feld überlassen“ werde, Menschenrechte unteilbar seien und er „keinen Platz für Rassismus und Antisemitismus“ lassen möchte.
Es lag vielleicht an zeitlichen Beschränkungen, dass es nicht die stärkste Rede gegen Rechts war, die Jung in den vergangenen Jahren gehalten hat. Dafür blieb sie zu allgemein. Und den Satz „Wir haben Legida miteinander aus der Stadt gefegt“ dürften zumindest jene Antifaschist*innen anzweifeln, die immer wieder nicht nur gegen Legida, sondern auch gegen den Widerstand von Polizei und Ordnungsamt kämpfen mussten.
Ein breites Bündnis gegen Rechts
Die in Leipzig lebende Schauspielerin Sandra Hüller folgte direkt nach Jung. Eben sah man beide noch im lockeren Plausch in einem Zelt hinter der Bühne, nun standen sie gemeinsam vor tausenden Menschen, um ein starkes Statement für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu setzen.
„Ich versuche eigentlich, unsichtbar zu bleiben, wenn ich nicht arbeite, aber heute gibt es keine Ausreden“, erklärte Hüller zu Beginn ihrer Rede. Inhaltlich ähnelt diese der Rede von Jung, doch am Ende gab es noch den expliziten Aufruf, die eigenen Großeltern zu kontaktieren. Wenn diese schon nicht für sich selbst wählen gehen wollen, dann doch bitte für die folgenden Generationen. Sie selbst habe das so gemacht.
Tatsächlich standen vor der Bühne auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz viele junge Leute in der prallen Sonne, aber auch Menschen anderer Altersgruppen waren gut vertreten. Die Gewerkschaft Verdi war mit mehreren Zelten vor Ort; auch Linkspartei, SPD, Grüne und FDP zeigten Präsenz.
In dem Bündnis „Hand in Hand Leipzig“, das zu dieser Demonstration aufgerufen hatte, findet sich das, was man wohl als „Mitte der Gesellschaft“ bezeichnen kann. Parteien, Vereine, zivilgesellschaftliche Initiativen, Kirchgemeinden, aber auch Museen oder beispielsweise das europäische Zentrum für Pressefreiheit.
Kritik an dieser Mitte, aus der heraus oft genug selbst Diskriminierung verbreitet und befördert wird, wurde auf der Bühne ebenfalls artikuliert. Die Rapper „Sechser und PTK“ waren mit T-Shirts erschienen, auf denen „Europa tötet“ zu lesen war. Sie positionierten sich gegen Abschottung, Ausbeutung und Abschiebungen, was nicht nur Sache der AfD sei. „Das wollen wir nicht verteidigen, das greifen wir an.“
Veranstalter*innen nennen (zu) hohe Teilnehmendenzahl
Militant war das Geschehen an diesem Samstag aber allenfalls in der Rhetorik. Völlig friedlich liefen später mehrere tausend Menschen im Uhrzeigersinn über den Ring. Die Veranstalter*innen sprachen von 15.000 Personen, die Polizei von 12.500 und eine eigene Zählung der Leipziger Zeitung ergab eine Teilnehmendenzahl zwischen 5.000 und 7.000 Personen.
Dass es deutlich mehr als jene 5.000 bis 7.000 waren, ist unwahrscheinlich und dass es mehr als 10.000 Teilnehmer*innen waren, ist im Prinzip ausgeschlossen. Die Teilnehmenden liefen relativ langsam und mit großen Abständen, sodass sich viele einzeln zählen ließen. Nur einzelne Blöcke mit jeweils mehreren hundert Personen konnten bei der Zählung nur gröber geschätzt werden. Diese Zählung ergab 6.050 Personen. Unvorstellbar, dass mehr als die Hälfte „übersehen“ wurde.
Während des Aufzugs wurden Parolen wie „Refugees are Welcome Here“ und „Alle zusammen gegen den Faschismus“ gerufen. Aus einem Lautsprecherwagen wurde das sächsische Bildungssystem kritisiert, das zu wenig Geschichts- und Gesellschaftsunterricht vorsehe, an einem anderen „Lauti“ wurde zu Technomusik getanzt.
Pro-Palästina-Kundgebung am Rand
Nicht beim Aufzug dabei waren 50 bis 100 Personen, die auf dem kleinen Wilhelm-Leuschner-Platz ihre Solidarität mit Palästinenser*innen ausgedrückt hatten. Auf Schildern gab es dort auch deutliche Kritik an SPD und Grünen, die an Abschiebungen und Militarisierung beteiligt seien. Geplant war ursprünglich aber etwas anderes.
Ein Mitglied des Leipziger Jugendparlaments hatte zu einer Kundgebung aufgerufen, die sich gegen Symbolpolitik und Kapitalismus und vor allem an Migrant*innen richten sollte. Die pro-palästinensische Gruppe Handala rief dann dazu auf, sich an dieser Kundgebung zu beteiligen. Vor Ort dominierten deshalb „Free Palestine“- und „Viva Palästina“-Rufe das Bild. Die Polizei schirmte die kleine Menschengruppe mit einem halben dutzend Fahrzeugen vom großen Demozug ab.
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Die politisch fragewürdige Demo unmittelbar vorm Wahlsonntag war auch nichts anderes als eine mit Steuermitteln finanzierte Wahlwerbung für die Wahlgewinnerin.