Die zunehmend rabiater werdende politische Diskussion sorgt auch an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ für Besorgnis. Und nicht nur dort. Denn gerade die übergriffige Rhetorik der Rechtspopulisten stellt die Unabhängigkeit der Hochschulen und der Forschung massiv infrage. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz benennt das „doppelte Spiel“ und die HMT Leipzig veröffentlicht eine Erklärung.

Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Deutschland setzen die Demokratie, aber auch die deutschen Hochschulen unter Druck. Die Strategie der extremen Rechten beschreibt jetzt Prof. Dr. Walter Rosenthal, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), im neuen DSW-Journal 1/2024, dem Magazin des Deutschen Studierendenwerks (DSW), als „doppelzüngiges Spiel“.

Während ein vermeintlich politisch motivierter Einfluss auf die Wissenschaft zurückgedrängt werden soll, werden missliebige Wissenschaftler/-innen oder ganze Forschungsansätze diffamiert und attackiert.

„Dies zeigt sich längst nicht nur bei der Forschung zu Gender, zum Klimawandel oder politischem Extremismus“, schreibt Rosenthal. „Unverhohlen werden Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit gefordert und angekündigt. In der Folge einer zunehmen aggressiven Rhetorik und Agitation werden auch wissenschaftliche Institutionen und einzelne Forscher:innen bedroht oder zum Ziel von Hassrede und diffamierenden Kampagnen.“ All dies, so Rosenthal, gefährde die „Grundlagen des deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystems.“

Bei ihrem Ziel, den missliebigen „Mainstream“ der pluralen Demokratie durch eine illiberale Gesellschaftsordnung zu ersetzen, betrachte der Rechtspopulismus insbesondere das Bildungs- und Wissenschaftssystem „als Bereich mit nachhaltiger Hebelwirkung“, analysiert Rosenthal.

„Über Schulen und Hochschulen wird der prägende Durchgriff auf künftige Funktions- und Mandatsträger/-innen in Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Kultur erhofft und angestrebt, um Ideen und Werte gemäß der eigenen nationalistischen, rassistischen und autoritären Ideologie in die Gesellschaft und ihre Institutionen zu tragen und in ihnen zu verankern.“

Rosenthals Analyse im DSW-Journal 1/2024 mündet in dem Appell, „jedes einzelne Mitglied unserer Hochschulen“ müsse für die Grundwerte unserer Demokratie einstehen, gerade auch für die Wissenschaftsfreiheit. Der Beitrag „Doppelzüngiges Spiel“ von Walter Rosenthal kann im aktuellen DSW-Journals 1–2024 nachgelesen werden.

Aber auch an Musikhochschulen wird die aggressive Rhetorik immer spürbarer. Weswegen der Senat der Hochschule und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ am 26. März eine eigene Erklärung zu dieser Entwicklung formulierte, die er nun veröffentlichte.

Die Erklärung:

Erklärung des Senats der HMT Leipzig

Unsere Zeit, reich an Chancen für gelingendes Gestalten, ist gekennzeichnet von immer kompromissloser ausgetragenen Machtkämpfen um Einfluss und Ressourcen. Die jeweiligen Standpunkte werden zunehmend rücksichtslos vorgetragen, dadurch wird bereits die Akzeptanz von Meinungsfreiheit und Diversität im Grundansatz stark gefährdet.

Die HMT Leipzig registriert immer stärker um sich greifende Radikalisierungsprozesse und verfassungsfeindliche Bestrebungen in allen Gesellschaftsschichten mit großer Sorge. Extremisten bemühen Feindbilder, aus deren Bekämpfung sie ihre Daseinsberechtigung ableiten. Dringend benötigter Fortschritt in Denken und Handeln wird auf diese Weise mit Füßen getreten, gleichzeitig geraten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit als Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in Gefahr.

Wir sind die geistigen Erben unserer großen Vorfahren, von denen Felix Mendelssohn Bartholdy einer der gebildetsten und vielseitigsten war. Musik und Theater verkörpern Kunstrichtungen, deren Sicht- und Hörbarmachung vom Miteinander leben. Im ständigen Prozess um Aktualisierung unseres Traditionsverständnisses verbinden wir Innovation und Wertevermittlung in humanistischer Art und Weise. Machtmissbrauch, Gewalt und Verachtung haben in unseren Köpfen und Räumen keinen Platz.

Wir stehen für Gleichberechtigung in Bezug auf Entwicklungsmöglichkeiten, Bildungschancen und Lebensplanungen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Wir leben Vielfalt nicht nur in der Exzellenz, sondern auch im Alltag. Wir lehnen politisch motivierten Extremismus und demokratiefeindliche Bestrebungen entschieden ab. Wir achten auf Fairness und Respekt im Umgang miteinander und sehen die demokratischen Leitlinien für alle Mitglieder der Gesellschaft als unverhandelbar und verbindlich an.

Kunst und Kultur sehen wir als systemrelevante Stützpfeiler der menschlichen Zivilisation. Wir sind den durch sie geschaffenen Werten verpflichtet. Die nachfolgenden Generationen werden dieses notwendige Engagement zu schätzen wissen.

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