„Jedes Mal, wenn Projekte wie die E109, das Japanische Haus oder das Ery ihre Türen für immer schließen müssen, stirbt ein Stück Subkultur.“ Theatralisch? Vielleicht könnte man es so sehen. Doch die Entwicklung im Viertel rund um die Eisenbahnstraße nimmt tatsächlich immer dramatischere Züge an – für diejenigen, die hier seit Jahren soziokulturelle Räume betreiben, Orte der Begegnung in der Nachbarschaft schaffen und für jene, die diese Räume täglich nutz(t)en.
Während einige Projekte, wie das soziokulturelle Zentrum „Erytrosin“ und das Café „Ding Dong“ bereits vor Wochen ihre Türen schließen mussten, kämpfen das Haus- und Ladenprojekt „E97“ mit dem Begegnungsraum „Con Han Hop“ und der Kiezkneipe „Goldhorn“ noch ums Überleben. Die Betreiber*innen der beliebten Bar in der „Eisi“ 97 haben bereits die Kündigung durch den neuen Eigentümer erhalten.
Kurzzeitig hatte es so ausgesehen, dass die E97 in Genossenschaftsbesitz übergehen könnte, doch es kam anders. Nun musste bereits der Freisitz des „Goldhorn“ weichen – eine Frage der Zeit, bis sich hier die Pforten für immer schließen?
Große Veränderungen im Kiez
Was tun gegen den langsamen „Tod“ des Kiezes und die Verdrängung der Ladenprojekte? Was kann und muss passieren, um solche Szenarien künftig zu verhindern? Im Zuge der momentan laufenden „Housing Action Days“ hatten die E97 und der Stadtbezirksverband der Partei Die Linke im Leipziger Osten und Nordosten am Donnerstagabend zum Podium „Subkultur braucht Schutz“ eingeladen, um über diese Fragen zu diskutieren.
Es ist ein Thema, dass nicht nur die Betreiber*innen der Ladenprojekte umtreibt, sondern auch die Anwohnenden beschäftigt, die der Veränderung ihres Kiezes mit Sorge begegnen. Um dem großen Interesse nachzukommen, wurden kurz vor Veranstaltungsbeginn zahlreiche zusätzliche Stühle in jede noch freie Ecke des vollbesetzten Saals im Ost-Passage Theater geschoben.
Auf dem Podium hatten neben der Stadtforscherin und Moderatorin des Abends, Elisa Gerbsch, die sowohl für Die Linke tätig ist als auch für die AG Recht auf Wohnen, Vertreter*innen des „Con Han Hop“, des „Erytrosins“, des Japanischen Hauses sowie der Leipziger Netzwerkinitiative für Gestaltungsräume „Lauter Laeden“ und der Berliner Beratungsstelle für von Verdrängung bedrohte Gewerbemieter:innen „Kiezgewerbe UG“ (Kige) Platz genommen.
Alle, bis auf letzteren, können Geschichten erzählen von einem Leipziger Osten in den Jahren 2010 bis 2012, in welchem Hauseigentümer*innen froh darüber waren, wenn engagierte Menschen leerstehenden Ladenflächen neues Leben einhauchten – mit ihren Ideen von Orten, an welchen Menschen aus dem Viertel sich treffen und austauschen können.
Von Orten, die für alle Personen frei zugänglich sind, an denen kein Konsum-Druck besteht. Die Räume bieten für ausstellende Künstler*innen, für Workshops, Veranstaltungen oder einfach zum Abhängen. Von Orten, die unkompliziert sind. „Noch vor zehn Jahren waren etwa 20 Prozent der Ladenflächen ungenutzt“, erinnert sich Johannes vom ehemaligen „Ery“. „Es ist an jeder Ecke etwas Neues entstanden. Man hatte das Gefühl, man lebte in einer Art Freiraum. Es waren die Zeiten von symbolischen Mieten, von Handlungsfreiheit.“
Diese Zeiten sind heute vorbei. Schon vor fünf Jahren war das auf einmal spürbar, als das Viertel attraktiver wurde und immer Menschen an die „Eisi“ zogen. Plötzlich interessierten sich das Ordnungsamt, die Polizei, die Stadtverwaltung für die Ladenprojekte. Auflagen wurden erteilt. Es ging um Genehmigungen, den Eintrag ins Vereinsregister, um Sicherheit.
Plötzlich mussten ganz andere Aufgaben erfüllt werden – wer übernimmt die Kommunikation mit Behörden? Wer spricht mit der Presse? Es entstanden Ängste und Sorgen. Für all das brauchte es auf einmal Kapazitäten, die die ehrenamtlichen Betreiber*innen lieber ihrem Laden widmen würden.
Jetzt geht es allerdings ums Überleben. Wie durch einen Domino-Effekt scheint es ein Projekt nach dem anderen zu treffen. „Was für ein Kahlschlag innerhalb eines Jahres stattfinden kann, ist schon wahnsinnig“, drückt Nathalie vom „Con Han Hop“ ihre Bestürzung aus. Das „Hop“ befindet sich noch mitten „im Kampf“. Die Mitglieder der E97, in welcher das Ladenprojekt angesiedelt ist, legen zurzeit all ihre Kraft darein, ihren Mietvertrag zu verteidigen.
Same, same but different
Stefan von der Kige kennt solche Situationen aus Berlin. Bekanntermaßen kommen die Entwicklungen der Hauptstadt etwa mit zehn Jahre Verzug auch in „Little Berlin“, in Leipzig, an. Er erzählt die Geschichte von der kleinen Bäckerei, die aus dem Berliner Viertel verdrängt werden sollte, weil sie nicht in das Konzept für das Viertel passte, welches den neuen Londoner Eigentümern des Hauskomplexes vorschwebte. „Seitdem kämpfen wir für den Erhalt solcher Gewerberäume in unserem Kiez.“
Stefan plädiert vor dem Leipziger Podium für die Ausweitung der Solidarität für alle Gewerbetreibenden. „Ob Ladenprojekte oder kleine Kioske, Cafés, Bars – sie teilen das gleiche Schicksal. Auch wenn die Apotheke, die Kita und der kleine Späti wegfallen, ist das ein schlimmer Verlust für die Anwohnenden.“ Zumal alle Gewerbetreibenden den gleichen Gesetzen unterliegen. Jeder Gewerbetrieb mit unbefristetem Mietvertrag kann beispielsweise ohne Begründung in sechs bis neun Monaten bzw. zum übernächsten Quartal gekündigt werden.
Dennoch gibt es für die anderen Gäste auf der Bühne einen Unterschied: „Es ist wichtig, die Besonderheit der Ladenprojekte hervorzuheben. Diese Utopie-Werkstätten haben ein anderes Miteinander und sind nicht personenbezogen“, erklärt Anna von „Lauter Laeden“. „Die Menschen tragen den Raum gemeinsam, es wird keine Verantwortung abgenommen. Die Offenheit und der Respekt, mit welchem man sich begegnet, spielen eine große Rolle.“
Trotzdem sind sich alle Podiumsgäste einig: Den Kampf gewinnt man nur in der Gemeinschaft. Genau dafür setzen sich Netzwerkinitiativen wie „Lauter Laeden“ ein. Es geht um Aufklärung, um das Gesehen werden in der Öffentlichkeit und auch um die Dokumentation der Ereignisse.
„Jetzt ist es an der Zeit – um nicht gänzlich pessimistisch zu sein – den Mehrwert dieser Ladenprojekte sichtbar zu machen. Gerade, wenn es darum geht, Demokratie zu fördern, sind das die Räume, die aktiv dazu beitragen.“ Die Sorge um die Demokratie treibt auch die Zuschauer*innen um an diesem Abend, von welchem viele ihren Wunsch ausdrücken, dass weitergekämpft wird.
Wo ist das Vertrauen?
Warum wird Initiativen, die „an der Basis“ demokratische Prozesse und den nachbarschaftlichen Zusammenhalt fördern, der Hahn abgedreht? Sollte der Politik nicht daran gelegen sein, eben solche selbstorganisierten Projekte zu unterstützen? Stefan hat dies vor Jahren, noch zu GroKo-Zeiten, versucht, als er in seiner Funktion als Mitarbeiter für eine Grüne-Bundestagsabgeordnete einen Gesetzesentwurf zur Veränderung des Gewerbemietrechts erarbeitete.
Unter anderem war vorgesehen, Mieter*innen Anspruch auf eine Verlängerung des Mietvertrags auf bis zu zehn Jahre zu gewährleisten sowie die Mieterhöhungen für Gewerberäume zu begrenzen. „Diese Initiative wurde kurz vor Ende der Legislatur sang- und klanglos abgebügelt.“ Unter anderen hatte der Immobilienverband Deutschland erwartungsgemäß seinen Unmut über den Entwurf bekundet, aber auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) wiegelte den Vorstoß ab, mit der Begründung, sowohl Vertretung für Gewerbetreibende als auch deren Vermieter*innen zu sein.
„Viele dieser Läden haben mehr als zehn Jahre lang existiert, das schafft so manche Institution nicht. Lange Zeit brauchte es den ganzen Verwaltungsaufwand schlichtweg nicht. Die Projekte sind in der Lage, Menschen zusammenzubringen, Vernetzung zu ermuntern und Lebendigkeit im Viertel zu schaffen. Wo ist das Vertrauen für diese Projekte?“, wirft in den Raum. Sie wünscht sich mehr Unterstützung von der Stadt und vor allem den Abbau bürokratischer Hürden.
„Die Menschen, die sich in Ladenprojekten engagieren, können alles – vom Putzen über Renovierungsarbeiten hin zum Veranstaltungsmanagement. Warum wir das nicht genutzt?“ Sie plädiert außerdem für die Einrichtung sogenannter Kulturschutzzonen.
„Es sollte einen Schlüssel geben, der bei der städtebaulichen Nutzungsplanung mitgedacht wird.“ Auch Hausprojekte sollten Ladenprojekte mitdenken. So konnte beispielsweise auch das Japanische Haus weiterbestehen, welches jetzt in der „Eisi“ 150 in der Ladenfläche der „Gleiserei“ sitzt. Der Nachteil: Auch hier gibt es einen gehörigen Verwaltungsaufwand, welcher in dem Fall von den Bewohner*innen des jeweiligen Hauses übernommen werden muss.
Eine Lösung aller Probleme wurde an diesem Abend im Ost-Passage Theater nicht gefunden, vielleicht aber neue Kraft und Hoffnung. Und wieder ein Raum zum Zusammenkommen, diskutieren und vernetzen. Wer das auch weiterhin tun möchte, kann am Freitag, dem 5. April, um 19 Uhr zum Vernetzungstresen im „Wasserschaden“ (Wurzner Straße 2) kommen.
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