„Kostenlos und mit fachkundigem Rat“ sollen Studierende in Leipzig in drei Selbsthilfewerkstätten an ihren Fahrrädern herumschrauben können. Allerdings berichten Studierende, dass sie im „Radschlag“ und im „Radgeber“ bevormundet und heruntergemacht würden: für den Zustand ihres Fahrrads oder ihr (fehlendes) Fachwissen über Werkzeuge und Reparaturen.
Vor allem Frauen beziehungsweise weibliche gelesene Studierende äußern gegenüber der Leipziger Zeitung (LZ), dass sie in der Konsequenz nicht mehr allein oder gar nicht mehr in die Werkstätten gehen: „lieber zahle ich mehr Geld, als dass ich mich nur ärgere und das da mache“ oder „hab keinen Bock mehr, mich dem auszusetzen“ oder „zumindest weiß ich jetzt, wie es geht und muss nicht mehr dorthin“.
Vor allem Männer arbeiten in diesen Werkstätten, berichten die Studierenden: „(…) der Ton dieser Leute ist so oft so, als wärst du die dümmste Person auf der ganzen Welt, die deren Zeit verschwendet und sie können sich nur schwer herablassen, dir diese banalen Sachen überhaupt zu erklären“, so einer von sechs Erfahrungsberichten, die der LZ auf eine offene Anfrage hin zugesendet wurden.
In einem anderen heißt es: „Ich habe da als weiblich gelesene Person immer bewusst sehr viel Selbstbewusstsein verkörpert, um ernst genommen zu werden und Dinge wirklich erklärt zu bekommen. Mir ein bisschen ‚Respekt erkämpft‘ – so sollte es nicht sein müssen.“
Sexistische Kommentare und respektloser Umgang?
„Immer wenn ich reinkomme, habe ich direkt das Gefühl zu stören“, heißt es von einer dritten Person. „Dabei gehe ich hin, weil ich es allein nicht hinbekomme und Hilfe will. Beim letzten Mal hat der Mitarbeiter mega viel vorausgesetzt, ich musste die ganze Zeit nachfragen, dann hat er mich angeschaut, als ob ich komplett bescheuert wäre.
Und zwei Minuten später kommt ein anderer Mitarbeiter, nimmt mir mega respektlos einfach den Sechskant aus der Hand und fängt an meinem Rad rumzuschrauben. Wenn man es selber macht, ist es also auch nicht richtig.“
Auch von offensiv sexistischen Kommentaren berichtet eine Person. „Ich so: ‚Ja lol, hast du dir das Fahrrad angeschaut, diese Klapperkiste ist auch nicht mehr so elegant‘, er so: ‚Ja, aber du sitzt ja drauf und du bist ja sehr elegant‘ (…) Sau unangenehm. (…) Danach entsteht (…) ein eher neckendes, zynisches Gespräch über Sexismus in Fahrradwerkstätten (…), was darin gipfelt, dass er das alles abstreitet („war doch nicht so gemeint“).
„Und dann (kann es immer noch nicht fassen) einen anderen Typ, der neben mir schraubt, fragt, was der denn von der Situation denkt. (…) ich weiß noch, dass ich richtig stolz war, das überhaupt thematisiert zu haben, und scheißwütend aus diesem Laden raus bin, weil ich mir erst einen Spruch drücken lassen muss und mich dann auch noch so einem Männerbund konfrontiert sehe.“
Stura: Im Zweifelsfall die Verträge kündigen
Die Werkstätten „Radgeber“und„ Radschlag“ finanzieren sich aus Mitteln des Studentenwerks. Auch die Werkstatt in der Villa Leipzig, zu der es nur positive Erfahrungsberichte gab, kann von Studis kostenfrei genutzt werden. Weder an das Studentenwerk noch an den Studierendenrat (Stura) wurde bisher Kritik herangetragen, heißt es von beiden Institutionen auf Anfrage gegenüber der LZ. Das Studentenwerk sieht sich nicht in der Lage, allein aufgrund der Erfahrungsberichte Handlungen zu ergreifen, die Betroffenen müssten sich selbst melden.
Die Mobilitäts-Referentin des Stura antwortet hingegen: „Wir nehmen das sehr ernst. Ich werde mit den Fahrradwerkstätten das Gespräch suchen und deutlich machen, dass solches Verhalten inakzeptabel ist. Sollte sich am Verhalten nichts ändern, kann auch darüber nachgedacht werden, ob die Verträge im Herbst verlängert werden oder nicht.“
FLINTA*-Tag und diversere Mitarbeitende: Was könnte helfen?
Sowohl für den „Radgeber“ als auch den „Radschlag“ ist das Thema nicht neu. „Nutzende der Fahrradselbsthilfe Werkstatt äußern häufiger, dass sie es begrüßen würden, von Frauen beraten zu werden. Leider ist dieser Berufszweig noch sehr männlich dominiert“, heißt es auf Anfrage der LZ aus dem „Radschlag“. Man dulde keine Diskriminierungen in der Werkstatt.
„Im Alltag kam es auch vor, dass Mitarbeitende nicht den richtigen Ton getroffen haben. Allerdings gab es keine mir bekannten, sexistischen oder herablassenden Äußerungen gegen Personen.“
Der „Radgeber“ antwortet auf LZ-Anfrage, dass man sehr viel positives Feedback von den Kund*innen bekomme. „Das Problem ist mir sehr wohl bekannt und ich habe mich sogar dafür eingesetzt, diese berechtigten Vorwürfe endlich umzukehren und sich wieder ganz normal als Fahrradladen um Fahrräder und nicht die Personen dahinter zu kümmern“, so Gründer Heyne.
Geklappt hat das in beiden Werkstätten möglicherweise nicht, wie die Menge der Beschwerden gegenüber der LZ zeigt. Was würde den betroffenen Personen helfen? Ein sogenannter „FLINTA*-Tag“ (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans, Agender) wird mehrfach als Option angeführt, ein Tag, an dem keine cis Männer (also Männer, die im Geburtsgeschlecht leben), die Werkstatt nutzen dürfen.
Auch mehr nicht-männliche Angestellte, sowie die grundsätzliche Erkennung von Machtdynamiken anhand des Geschlechts, wird sich gewünscht. „Begegnungen auf Augenhöhe zwischen den Leuten, die da arbeiten und denen, die schrauben“ oder „einfach mal netter sein“ fassen zwei der Befragten zielgenau zusammen.
Das Studentenwerk und der Studierendenrat der Universität Leipzig sind ansprechbar für Feedback oder Beschwerden zu den Fahrrad-Selbsthilfewerkstätten:
Studentenwerk Leipzig: info@studentenwerk-leipzig.de
Referat für Nachhaltige Mobilität des Stura: mobilitaet@stura.uni-leipzig.de
Es gibt 4 Kommentare
Erklärbären und Schlaumeier*innen gibt es überall, ich kann das schon verstehen wenn jemand sich in so einer Situation überfahren fühlt.
Natürlich ist das eine individuelle Erfahrung, mit der immer gerechnet werden muss.
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Als Konsequenz dort eben nicht mehr hinzugehen ist aber eben auch keine Lösung, wenn man die Konfrontation scheut (was ich in der Tat dann oft so mache). Schliesslich soll in diesem Fall zB das Fahrrad ja wieder ganz werden.
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Ob man einen Erklärbär-freien Tag nun FLINTA Tag nennen muss, mein Gott. Aus dem Alter bin ich raus.
FLINTA-Tag! Das hat mich heute sehr erheitert!
Denn man hat große Angst vor den bösen CIS-Männer. Die benehmen sich immer so anders.
Schön, dass man jetzt alle seine Befindlichkeiten auf jemand anders projiziert, damit muss man sein eigenes Verhalten, seine eigene Denke nicht hinterfragen und vorallem nicht ändern. Sollen die Anderen doch machen! Man hat schließlich ein GEFÜHL, das ist alles, was zählt.
Hilfe brauchen und dann meckern, geil.
Die Kultur in Fahrradwerkstätten, oder auch generell in Fahrradläden, ist oft geprägt von seltsamer “Coolness” und demonstrativer Kumpelhaftigkeit. Kunde-Man-Mensch-jemand wird generell gedutzt, “zu viele” Rückfragen werden gern mal mit Augenverdrehen beantwortet, die Antwort auf eine Frage nach einem Termin wird inzwischen eher negativ transportiert, wie man es auch aus Arztpraxen kennt: “Puh, also wir sind da schon vier Monate im Voraus…”
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Abgesehen von der grundlegend eher nicht kooperativ-professionellen Atmosphäre in solchen Läden finde ich die beschriebene Kritik am Verhalten der Männer absolut berechtigt. Komischerweise hat der Laden bei Google eine 4,7 in der Bewertung, was nicht ganz zu “vielen Beschwerden, die uns erreicht haben” passt.
Dem Autor war die geschlechtergerechte Formulierung des Artikels wichtiger als der Inhalt, weswegen es auf den ersten Blick seltsam erscheint, wenn ein (so genannter!) Flinta-Tag aus Nutzersicht ins Spiel gebracht wird, um Konflikte mit den Checkern aus der Personalsicht zu umgehen. Aber ich glaube einfach mal, dass es um was ganz anderes ging: Denn, Fra, am (so genannten) Flinta-Tag gibts wahrscheinlich dann einen queerfeministischen Sit-in, wenn sich der Macker mal wieder trauen sollte sich daneben zu benehmen!
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Spaß beiseite. Flinta-Extra-Lösungen, queere Biergärten als Safe-Space und so weiter sind nur eine schlechte Lösung, ein Herumdoktern am Symptom. Arschlöcher, die mir wie im Artikel beschrieben, den Schraubschlüssel ungefragt aus der Hand nehmen und mich vorführen wollten, gab und gibt es immer wieder. Es fiel mir immer schon sehr schwer, in solchen Momenten den Mund aufzumachen und mich zu behaupten, aber ich kann insbesondere Frauen nur raten, sich nicht damit abzufinden, sondern ganz ruhig zu handeln. Mindestens schon für den eigenen Seelenfrieden. Manchmal fällt einem vor Empörung in dem Moment nichts passendes ein, aber vielleicht kann man daheim das Ganze in Ruhe Revue passieren lassen, und sich für das nächste Mal was überlegen. Den Schlüssel fest halten, und ihm schlicht nicht geben, wäre eine erste Lösung. Die Situation nicht einfach geschehen lassen, sondern versuchen zu lenken. Der Typ, der sich da anstellt, verhält sich falsch, und möchte einen Ansprechpartner auf Augenhöhe haben, der ihm Contra gibt. Solche durchaus auch unsicheren Männer mögen eindeutige Situationen und haben (leider) gelernt sie sich zu schaffen.
Was ganz ungesund ist in dem Moment, ist ein wegducken, sich ärgern und nachher eine Beschwerdemausimail an Twitter oder die Presse schicken. Man muss sich selbst ermächtigen, dann kommt man auf lange Sicht weiter.
“Was würde den betroffenen Personen helfen? Ein sogenannter „FLINTA*-Tag“ (Frauen, Lesben, Inter, Nicht-binär, Trans, Agender) wird mehrfach als Option angeführt, ein Tag, an dem keine cis Männer (also Männer, die im Geburtsgeschlecht leben), die Werkstatt nutzen dürfen.”
Wenn es doch die Mitarbeitende sind, wie soll so was helfen. Außer das man aus einen Reflex heraus wieder den sogenannten cis Männer die Schuld gibt. Einfach erbärmlich.