Die Kriege in der Ukraine und seit vergangenem Herbst zusรคtzlich in Nahost dominieren schon lรคngst die hiesigen Nachrichtenkanรคle und persรถnlichen Gesprรคche, zumal auch Deutschland und Europa die Kriegsfolgen direkt zu spรผren bekommen. Dies hat zu einer bedenklichen Rationalisierung von Krieg und Verbrechen gefรผhrt, meint unser Autor, der ehemalige Thomaspfarrer Christian Wolff, in seinem Gastkommentar.

Seit รผber zwei Jahren vergeht kaum ein Tag, an dem nicht der Krieg das Hauptthema aller Nachrichtensendungen und vieler persรถnlicher Gesprรคche ist. Zwei Kriege stehen dabei im Mittelpunkt:

  • der Angriffskrieg des Putin-Russland gegen die Ukraine, ausgelรถst durch die gewaltsame Besetzung der Krim und der Gebiete im Donbas durch russische Truppen seit 2014 und den รœberfall Russlands auf die Ukraine am 24.02.2022, mit dem Ziel, diese zu vernichten;
  • der Krieg in Gaza zwischen Israel und Palรคstina nach dem Terrorakt der Hamas am 7. Oktober 2023.

In beide Kriege sind Deutschland und die Europรคische Union direkt involviert, weil Deutschland und die EU die Ukraine in ihrem Kampf um nationale Integritรคt und Souverรคnitรคt militรคrisch, wirtschaftlich und zivilgesellschaftlich unterstรผtzen, und weil Deutschland das Ziel der Regierung Israels teilt, Gaza-Palรคstina von der Terrorherrschaft der Hamas zu befreien.

Diese Kriegsbeteiligung hat dazu gefรผhrt, dass in den vergangenen Monaten das Kriegfรผhrenkรถnnen in der รถffentlichen Debatte als Erfordernis gesellschaftspolitischer Bestrebungen Zug um Zug Oberhand gewonnen hat. Das zeigt sich

  • an der Verengung der รถffentlichen Debatte um die Unterstรผtzung der Ukraine auf die Lieferung von bestimmten Waffensystemen โ€“ immer mit dem Unterton, wenn bestimmte Waffen nicht geliefert wรผrden, sei das kriegsentscheidend;
  • an der Forderung von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass die Deutschen โ€žkriegstรผchtigโ€œ werden mรผssten;
  • an dem Vorschlag von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), deutsche Schรผler/-innen besser auf einen Kriegsfall vorzubereiten: โ€žDie Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten โ€“ von einer Pandemie รผber Naturkatastrophen bis zum Kriegโ€œ. Es gehe darum, โ€žunsere Widerstandsfรคhigkeit zu stรคrkenโ€œ.
  • an der Diskussion um einen Satz aus der Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mรผtzenich im Bundestag am vergangenen Donnerstag (14.03.2024). Fragend fรผhrte Mรผtzenich aus: โ€žIst es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darรผber reden, wie man einen Krieg fรผhrt, sondern auch darรผber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und spรคter auch beenden kann?โ€œ Wie grotesk die Diskussion um diese Frage inzwischen geworden ist, konnte man am letzten Sonntagabend bei Caren Miosga beobachten. Mit einem verรคchtlich-triumphierenden Grinsen ging Miosga minutenlang ihren Gast, den SPD-Co-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil, an โ€“ immer unterstellend, Mรผtzenich habe gefordert (so auch die stรคndige Formulierung im Deutschlandfunk*), den Ukrainekrieg einzufrieren. Dabei hat Mรผtzenich keinen Zweifel an der Notwendigkeit der militรคrischen Unterstรผtzung der Ukraine gelassen und betont, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dรผrfe. Allerdings hat er die friedenspolitische ร–ffnung der Diskussion angemahnt.

Diese Beobachtungen zeigen, wie weit die politische Rationalisierung des Verbrechens Krieg schon gediehen ist. Dabei geht es nicht darum, alle am Krieg Beteiligten zu Verbrechern zu erklรคren. Es muss natรผrlich unterschieden werden zwischen Tรคtern und Opfern, zwischen Angreifern und Angegriffenen. Letztere haben das Recht, sich zu wehren.

Nur: Wenn sich der Angegriffene sowie seine Unterstรผtzer immer mehr auf die Ebene ziehen lassen, auf die ihn der Angreifer haben will, nรคmlich die einer ausschlieรŸlich mit kriegerischen Mitteln gefรผhrten Auseinandersetzung, also wenn es nur noch um Sieg oder Niederlage geht, dann droht die groรŸe Gefahr, Teil des Verbrechens des Tรคters zu werden.

Es ist eben ein groรŸer Irrtum, dass der- oder diejenige, welche/-r die friedenspolitischen Erfordernisse in die Debatte einbringt, das Geschรคft des Aggressors betreiben wรผrde โ€“ nein: Es sind vor allem die, die sich vom Aggressor ihre kriegerischen MaรŸnahmen diktieren lassen.

Diesem fatalen Irrtum wird derzeit in der gesellschaftspolitischen Debatte Vorschub geleistet โ€“ insbesondere dadurch, dass โ€žKriegstรผchtigkeitโ€œ die friedenspolitischen Erfordernisse auf allen Ebenen verdrรคngen soll. Gleichzeitig fรผhrt dies dazu, dass jede Differenzierung abhandenkommt โ€“ auch die Bereitschaft, unterschiedliche Optionen fรผr ein Ende der Kriege zu diskutieren. Es ist schon auffallend, dass jede auch noch so zaghafte Initiative, die sich jenseits kriegerischer Handlungsmaximen bewegt, entweder als Verrat an der Ukraine gebrandmarkt oder โ€“ im Fall Israel โ€“ des Antisemitismus bezichtigt wird.

Das ist umso bedenklicher, als die militรคrische Beteiligung am Ukrainekrieg damit begrรผndet wird, die offene, freiheitliche, demokratische Gesellschaft gegen die Gewaltherrschaft des Autokratismus und Terrors zu verteidigen. Darum muss es eigentlich jede/-n mehr als beunruhigen, dass die Normalisierung des Krieges als politische Option einhergeht mit dem Anwachsen rechtsnationalistischer Krรคfte sowie einer innergesellschaftlichen Gewaltbereitschaft.

Ist es nur ein bitterer Zufall, dass parallel zu den Kriegen in Schulen die Gewalttรคtigkeit und -bereitschaft auch durch Selbstbewaffnung in erschreckendem MaรŸe zunimmt?

Von daher gesehen sollte die wegweisende Feststellung vom ehemaligen Bundesprรคsidenten Gustav Heinemann (1899โ€“1976) โ€žNicht der Krieg โ€ฆ sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewรคhren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehrโ€œ jedenfalls fรผr Christen und Sozialdemokraten politische Richtschnur bleiben. Denn keine noch so rationale Begrรผndung รคndert etwas daran, dass Krieg in sich ein Verbrechen bleibt.

Dieses Verbrechen basiert auf Feindschaft, Tod, Zerstรถrung. Merkwรผrdig: Zu einer solchen รœberzeugung gelangen zumeist diejenigen, nachdem sie einen Krieg erlebt und erlitten haben. Warum kรถnnen wir Menschen nicht vorher, also โ€žvorโ€œ dem Frieden zu dieser Einsicht gelangen bzw. uns sie nicht ausreden lassen durch die, die unsere Gesellschaft auf Krieg trimmen wollen?

Wir sollten jetzt die Mรถglichkeit ergreifen, gegen die Rationalisierung des Verbrechens das zu setzen, was nach 1945 die Menschen, die das Verbrechen รผberlebt haben, als โ€žWillenโ€œ des Deutschen Volkes in die Prรคambel des Grundgesetzes geschrieben haben: โ€ždem Frieden der Welt zu dienen.โ€œ

* Im Deutschlandfunk (DLF) fragte am 19.03.2024 die Moderatorin Maria Grundwald den SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hellmich mehrfach โ€žKrieg einfrieren โ€“ Ja oder Neinโ€œ โ€“ so, als ob das die von Mรผtzenich aufgeworfene Entscheidungsfrage sei. Man kรถnnte ja auch danach fragen, wie denn ein mรถgliches Einfrieren oder ein Verhandlungsfrieden aussehen kann, was fรผr Anheizen des Krieges und was fรผr Einfrieren spricht โ€ฆ Aber offensichtlich ist ein solcher Diskurs in vielen Medien gar nicht mehr gefragt. Ein Alarmzeichen!

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Christian Wolff, geboren 1949 in Dรผsseldorf, war 1992โ€“2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjรคhriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater fรผr Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des รถffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/

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