„Die Bundesregierung belastet mit dem Sparhaushalt vor allem Menschen mit wenig Einkommen. Dabei könnten höhere Steuern für Hochvermögende 100 Milliarden Euro bringen“, stellte Marcel Fratzscher ganz trocken am 22. Dezember in einem Beitrag für „Zeit Online“ fest. Es ist nämlich nicht so, dass es in Deutschland nicht genug Geld gibt. Es ist nur nicht dort, wo es dem Land bei wichtigen Investitionen helfen würde.
Der Termin des Meinungsbeitrags des Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) war nicht zufällig: Im Streit um die Finanzierung des Bundeshaushalts 2024 hatte Bundesregierung gerade eine zäh verhandelte Minimallösung vorgelegt, „die man als faulen Kompromiss bezeichnen kann. Einerseits fährt die Bundesregierung einen Sparkurs, andererseits werden aber vor allem Besserverdienende steuerlich entlastet.
Die Liste der vorgesehenen Kürzungen hat eine soziale Schieflage, Menschen mit wenig Einkommen werden insgesamt stärker belastet. Und Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, Transformation und Bildung werden weiter ausgehöhlt.“
Dabei läge eine gute Lösung auf dem Tisch, wie der Staat notwendige Einnahmen für Zukunftsinvestitionen mobilisieren könnte, so Fratzscher: „Indem er Hochvermögende so besteuert, wie andere Industrieländer dies auch tun. Als Hochvermögende gelten Menschen, die über ein Nettogeldvermögen von mindestens einer Million Euro verfügen.“
Da spielt der Bundesfinanzminister die schwäbische Hausfrau, die sich ständig sorgt darum, dass der Staat ja nicht „über seine Verhältnisse“ lebt.
Aber dass das deutsche Steuersystem ungerecht ist und selbst im Vergleich mit anderen Industrienationen die Lasten völlig unfair verteilt sind, wird einfach negiert.
Besteuerte Arbeit, verschonte Vermögen
„Kaum ein Land in der Welt besteuert Arbeit stärker und Vermögen geringer als Deutschland. Die Behauptung des Bundesfinanzministers, Deutschland sei ein Hochsteuerland, ist zwar teilweise zutreffend: Vor allem Menschen mit mittleren und geringen Einkommen zahlen im internationalen Vergleich mit die höchsten Steuern und Abgaben auf ihr Arbeitseinkommen.
Für Spitzenverdiener/-innen gilt das aber weniger. Viele andere Länder, zum Beispiel auch Frankreich, besteuern Spitzenverdiener stärker. Betrachtet man die steuerliche Belastung von Hochvermögenden, ist Deutschland geradezu ein Niedrigsteuerland“, stellt Fratzscher in seinem Beitrag fest.
„So nimmt der deutsche Staat jedes Jahr nur knapp ein Prozent der Wirtschaftsleistung, oder knapp 40 Milliarden Euro, an vermögensbezogenen Steuern ein. Im Vergleich: Die USA, Frankreich oder Großbritannien haben drei- bis viermal so hohe Steuereinnahmen auf Vermögen. Wenn Deutschland private Vermögen genauso stark besteuern würde wie diese drei Länder, dann hätte der Staat jedes Jahr 100 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen. Die fehlenden 17 Milliarden Euro Bundeshaushalt sind also ein Klacks im Vergleich dazu.“
Und das räume, so Fratzscher, „auch den Einwand aus, eine stärkere Besteuerung von Vermögen verursache einen wirtschaftlichen Schaden oder eine Kapitalflucht aus Deutschland. Deutschland ist nicht Opfer im globalen Unterbietungswettbewerb bei der Besteuerung von Superreichen, sondern eher Täter und Mitverursacher.“
Der Staat spart, die Vermögen wachsen
Die Ursache für die geringen Steuereinnahmen bei Hochvermögenden in Deutschland liege aber nicht daran, dass es wenige Hochvermögende in Deutschland gäbe, „sondern dass sowohl die Steuersätze auf Vermögen gering sind als auch Steuervermeidung oft sehr einfach ist.“
Und dazu kommt, dass gerade Einkommensarme unter Pandemie und Energiekrise besonders gelitten haben, „gehören Hochvermögende eher zu den Gewinnern. Ihr Vermögen wächst, auch wegen der steigenden Aktienmärkte, die durch eine expansive Geldpolitik befeuert werden – der deutsche Aktienindex Dax hat gerade wieder einmal ein neues Rekordhoch erreicht.“
Und während gerade konservative Politiker immer wieder und immer lauter eine Kürzung sozialer Leistungen fordern (wie bei Bürgergeld und Rente) und die Bundesregierung tatsächlich 1,5 Milliarden Euro an Sozialausgaben kürzen will, zeigt Fratzscher im Vergleich, welchen Schaden die Steuervermeidung der Reichen anrichtet: „Denn Schätzungen zeigen, dass dem deutschen Staat jedes Jahr knapp 100 Milliarden Euro an Steuereinnahmen durch Steuervermeidung vor allem von Hochvermögenden entgehen.“
Das simpelste und naheliegendste Mittel, das deutsche Finanzminister aber nicht sehen wollen, weil das ihre eigene Klientel ist, die das beträfe, wären moderate Steuererhöhungen für die Vermögenden.
„Eine auch nur moderat höhere Besteuerung von Vermögen würde dem deutschen Staat deutliche höhere Einnahmen ermöglichen, die für Investitionen in Bildung, Klimaschutz, eine leistungsfähige Infrastruktur und Innovationsfähigkeit zur Verfügung gestellt werden könnten. So könnten die Ausnahmen und Privilegien bei Erbschaften für Hochvermögende reduziert werden.
 300 bis 400 Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr verschenkt oder vererbt, der Staat nimmt jedoch nur knapp zehn Milliarden Euro an Erbschaftssteuern ein. Dabei sind große Erbschaften von Unternehmen häufig ausgenommen und werden überhaupt nicht besteuert“, so Fratzscher.
Fratzschers Fazit: „Die Politik sollte, anstatt die verletzlichsten Gruppen für das Stopfen der Löcher im Bundeshaushalt heranzuziehen, die Hochvermögenden zur Kasse bitten, die sich durch die vielen Steuerprivilegien häufig kaum an der Finanzierung von der staatlichen Daseinsfürsorge, von Infrastruktur und Bildung beteiligen.“
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Vielleicht hätte sich die Ampel mal vor Kompromissfindung beraten lassen können?