Als mir klar wurde, dass ich in meinem alten Job nicht weiterarbeiten wollte, aber ein Gehalt brauchte, um meine beiden Töchter durchzubringen, waren mir einige Kriterien wichtig. Ich wollte einen Job, der den Planeten nicht weiter kaputtmacht und einen Job, mit dem ich mich gesellschaftlich einbringen kann. Kurz: Ich wollte mein Geld nicht mit Scheiß verdienen.

Also bin ich Busfahrerin bei den LVB geworden. Aber die erste Zeit war so schwer, dass ich öfter in Tränen ausbrach, wenn ich nach der Arbeit die Haustür hinter mir zugezogen hatte. Es waren nicht nur die stressigen Arbeitsbedingungen, die Frühschichten, die zwanzig unterschiedlichen Linien, die ich fahren musste. An den Rand meiner Belastbarkeit brachten mich auch die sexistischen und rassistischen Sprüche meiner Kollegen und Vorgesetzten.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 120, VÖ 22.12.2023. Foto: LZ

Auf einer Demo kannst du einen Nazi anschreien und musst ihn meist danach nie wieder sehen. Ob du den Kollegen im Pausenraum anschreist, und dann am nächsten Tag wieder mit ihm, und mit all denen, die geschwiegen haben, neben der Kaffeemaschine sitzt, und auf die nächste Fahrt wartest, musst du dir zweimal überlegen.

Jeden Tag musste ich mich also daran erinnern, warum ich mich für diesen Job entschieden habe. Und dass ich mich auch dafür entscheiden habe, weil es unbequem ist. Weil ich da Platz nehmen wollte, wo sonst die Chauvinisten sind, hinter dem Lenkrad – und zwar vorn und links. Steter Tropfen höhlt das Sein, dachte ich mir.

Die Belohnung kam, als ich „Wir fahren zusammen“ entdeckte.

Von dem Zusammenschluss von Verdi und Fridays For Future, bei dem es darum geht, durch bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV die Verkehrswende voranzutreiben, habe ich Anfang dieses Jahres zum ersten Mal gehört. Sofort habe ich begonnen, mich in der Betriebsgruppe zu engagieren. Bei der Tarifrunde der Länder haben wir so gemeinsam einen Inflationsausgleich erkämpft. Aber es ist viel mehr passiert als das.

Klimaaktivist/-innen besuchten unsere Streikposten. An der Feuertonne trafen unterschiedliche Generationen aufeinander, Menschen mit sehr verschiedenen politischen Einstellungen und Lebenserfahrungen planten gemeinsam die nächsten Schritte im Arbeitskampf.

Deshalb träume ich davon, dass diese Veränderung, die gerade erst begonnen hat, weitergeht.

Ich träume davon, dass wir mit „Wir fahren zusammen“ nicht nur mehr Geld und mehr Wendezeit erkämpfen, sondern dass die Kampagne dazu beiträgt, einen Systemwandel in den Köpfen einzupflanzen. Dass wir, und andere Menschen, die dringend notwendige Arbeit machen, Anerkennung dafür bekommen. Wenn ich auf einer Party erzähle, dass ich Busfahrerin bin, werde ich manchmal einfach stehen gelassen.

Wenn der Typ neben mir erzählt, dass er im BMW-Vorstand ist, dann sagen alle: Wie geil bist du denn! In was für einer Gesellschaft gilt: Wie geil, du bist Ausbeuter? Das muss sich ändern. Eine Gesellschaft voller Vorstände, Aktienanleger und Banker ist nicht überlebensfähig. Die überlebenswichtigen Aufgaben machen wir, machen Pfleger/-innen, machen Erzieher/-innen und viele andere, die meist schlecht bezahlt sind, und wenig Anerkennung kriegen.

Und wenn sich das nicht ändert, dann wird sich weder die Situation in den Krankenhäusern, noch die im ÖPNV verbessern, weil niemand diese Jobs machen will. Letztlich geht es dabei um einen Wertewandel, der weit darüber hinausgeht, was Menschen von meinem Beruf halten.

Ich träume von einer Gesellschaft, in der Menschen etwas Sinnvolles zur Gesellschaft beitragen, und in der alle Menschen sicher versorgt sind. In der niemand, wie ich, damit alleingelassen wird, seine Kinder durchzubringen, Schichtarbeit zu leisten und eine Wohnung zu finden, die man auch bezahlen kann.

Ich träume von einer Gesellschaft, in der wir endlich aufhören, den Planeten zu zerstören. Ich sehe meine Kinder an, und ich weiß, dass ich sie nicht so enttäuschen will, wie meine Eltern mich enttäuscht haben. Sie haben doch seit den Siebzigern, oder seit Anfang der Achtziger gewusst, was los ist. Sie haben gewusst, dass wir gerade unwiderruflich unsere Lebensgrundlage zerstören. Ich will, dass meine Kinder auf diesem Planeten leben können, und ich weiß, dass ich dafür nicht ohnmächtig bleiben darf.

Ich träume von einer demokratischen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der Rechtsextreme keine Wahlsiege einfahren. In der ich nicht immer wieder abwägen muss, ob ich im Pausenraum meine Kollegen anschreie. Und so oft ein dumpfes Gefühl bleibt und der Gedanke, dass ich mit Blick auf die deutsche Geschichte so oft gedacht habe: Wie konnte das passieren? Warum hat niemand etwas gesagt? Und wir es jetzt sind, die zu häufig nichts sagen.

Ich träume also von einer gerechteren, einer solidarischen, einer demokratischeren, einer wärmeren Gesellschaft. Aber bei „Wir fahren zusammen“ habe ich auch gelernt: Träumen allein reicht nicht. Niemand wird unsere Probleme für uns lösen, und deshalb müssen wir uns organisieren. Dafür kann der erste Schritt sein, nicht mehr allein zu träumen, sondern zusammen.

„Wenn Leipziger*innen träumen: Vorn links für Klima und ÖPNV“ erschien erstmals im am 22.12.2023 fertiggestellten ePaper LZ 120 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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