Ich träume nicht mehr. Ich mag keine Menschen. Ich glaube an nichts. Dennoch wurde ich eingeladen, einige Zeilen für die Träumer*innen-Reihe zu verfassen. Wenn ich schreibe, schreibe ich über Zorn und Wut und Angst und Verzweiflung und darüber, dass ohnehin alles verloren ist. Ich. Du. Jedes Lebewesen auf diesem Planeten.
Und doch bin ich jetzt hier, atme, rauche, trinke zu viel, suche ebenso nach Worten wie nach Zuversicht. Denke darüber nach, ob ich mir etwas wünschen kann, an das ich selbst nicht glaube. Ich kann. Zumindest in dieser Hinsicht habe ich mir ein kleines bisschen Menschlichkeit bewahrt – wie auch immer ich das finde. Aber, und eben das teilen alle Menschen miteinander, mein Geist ist frei. Wir verfügen über die fantastisch quälende Gabe, Dinge zu imaginieren, die nicht sein können.
Wie so oft liegen Schmerz und Glück zu nahe beieinander, um diese Gabe für eine allzu lange Weile ertragen zu können. Aber ich will es dennoch tun, für ein paar Zeilen, für diese Reihe, weil ich es kann, weil es nichts mehr zu verlieren gibt. Und auch weil wir alle es könnten, und täten wir es, käme vielleicht etwas Wundervolles dabei heraus. Glück und Schmerz und ein einziger gemeinsamer Atemzug.
Und das wünsche ich mir. Nicht nur für das nächste Jahr, sondern für irgendwann in meinem Leben. Mag es auch zu spät sein. Ich wünsche mir, dass wir atmen. Einmal. Alle gemeinsam, jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze. Ein einziger Atemzug und die Erkenntnis, dass wir alle gar nichts sind.
Dass wir – als Individuen – nichts, absolut gar nichts sind (ja, in der Tat, hier kommen wir dann doch recht schnell an die Grenzen des menschlichen Geistes).
Aber gemeinsam, jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, wir alle zusammen sind etwas Einzigartiges. Und nur wenn wir jedes einzelne Teil sehen, achten und behüten, nur dann, können wir – sogar als Individuum – etwas sein. Etwas, das größer ist als eine Ansammlung von Atomen, die nur danach strebt, zu überleben. Fressen, ficken, schlafen (und natürlich konsumieren).
Alles, was ich mir also wünsche, ist ein Atemzug. Ein einziger Augenblick der Einsicht, der jede*n von uns verändert. Der uns für einen Lidschlag lang sehen lässt, was wir sein könnten, was wir hätten sein können.
Und wenn auch nur eine*r daran denkt, wenn nur eine*r die nächste Entscheidung daran misst, und sich mit einem Lächeln für uns alle, jeden Menschen, jedes Tier, jede Pflanze, entscheidet, nicht im nächsten Jahr, aber irgendwann, dann werde ich mich ins Gras legen, nach unten sehen, all die kleinen Dinge bewundern und atmen. Mit dir. Gemeinsam.
Ada Rabenstern ist 38 Jahre alt, schreibt, raucht, trinkt und atmet.
„Wenn Leipziger*innen träumen: Ein Augenblick“ erschien erstmals im am 22.12.2023 fertiggestellten ePaper LZ 120 der LEIPZIGER ZEITUNG.
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