Träume-24 klingt wie ein besonders günstiger Versandhandel für Waren, die man wirklich nicht benötigt. Sind wir wirklich nötig? Batiar Gang 24? Gibt es nichts Besseres zu tun, als Musik? Es gibt so viele Kulturmuffel, welche Bands, Musik und Kunst als obsolet betrachten und eher darüber meckern. Und wer kennt es nicht, dass Eltern ihren Kindern sagen: „Mach‘ keine Musik, lern‘ was Richtiges.“

Warum Musik machen und bei jedem Wetter mittwochs zum Proberaum fahren, wenn Familien, Konten, soziale Engagements, Bildung etc. doch noch viel mehr Aufmerksamkeit bräuchten – die wirklich wichtigen Dinge.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 120, VÖ 22.12.2023. Foto: LZ

Doch scheinbar flüchten wir und machen simple Unterhaltung für unser Publikum, das ebenfalls zu flüchten scheint: Abends weggehen, ein Getränk in der Hand und hüpfend Alltag und Sorgen für ein bis zwei Stunden vergessen. Freunde treffen und nicht über die Grausamkeiten in den Nachrichten oder im Büro nachdenken.

Unser Projekt ist aber auch mehr als ein Ausgleich für die Alltage von uns und dem Publikum. Die Band ist nach über neun Jahren wie eine Familie geworden, die gemeinschaftlichen Erlebnisse sind zahlreich und wir kennen uns alle in- und auswendig, wir stützen uns, sind füreinander da. Dazu kommt die Bedeutung der Musik für uns. Und alles, was damit noch zusammenhängt: Die Musik ist eine Kunst, die erinnert, anregt, Fragen stellt, aufmerksam macht.

Manchmal scheint sie nicht nötig, aber sie hat keine Zeit, kein Ablaufdatum, und irgendwann taucht eine Erinnerung auf und verändert ein kleines, manchmal wichtiges Zahnrad im Sein und Denken. Sie gibt Halt wie ein Seil in den Bergen. Ein Lied auf unserer neuen Platte, welche wir im Februar aufnehmen, hat sieben Jahre gebraucht, bis es jetzt fertig wurde. Die Idee damals hatte unsere Trompeterin Josi in Rumänien, heute ist es ein wahnsinnig toller Song geworden.

Die Gedanken in unserer Musik liegen nur zum Teil in unseren Texten. Noch vielmehr betrachten wir die Musik als eine Art Kulturvermittlung. Die vielen Reisen als Band mit unseren Instrumenten in Zügen und Bussen quer durch (Süd-)Osteuropa haben uns aufgeladen mit Eindrücken, wundervollen Menschen und Begegnungen, Situationen, die sonst so niemand erleben kann.

Das Zusammentreffen und miteinander Musizieren, mit den Roma, mit Menschen in den Bergen Rumäniens und Bulgariens, mit den wundervollen, aber auch leidgeplagten Menschen in der Ukraine. Diese Reisen prägen und sensibilisieren, sie öffnen Türen. Dabei sehen, hören, fühlen, schmecken wir Dinge, von denen kaum jemand etwas weiß.

Und das taucht alles bei uns wieder auf. Jeder Song ist voll mit hunderten, kleinen, kaum merkbaren Indizieren für das, was war. Das macht unsere Musik aus. Die Menschen draußen merken das und es überträgt sich.

Diese Sensibilisierung macht wiederum die Träume unserer Band aus. Sie sind also etwas, das man sich nicht online oder anderswo kaufen kann. Wie wichtig ist ein Frieden in der Ukraine – dass die hässlichen Panzer wieder verschwinden. Wahrscheinlich ist das der größte Wunsch der Band momentan überhaupt.

Aber auch träumen wir von einem fairen und wohlwollenden Leben der Menschen im Balkan, dort, wo wir so oft waren. Ohne die massiven Diskriminierungen von Frauen, Andersdenkenden oder anders fühlenden Menschen. Ohne Korruption, ohne Gewalt und hässliche Worte durch Alkohol. Durch Armut und ungerecht verteilte Chancen.

Stefan und ich hatten in Skopje ein Gespräch mit einer jungen Frau aus dem Kosovo, die noch nachts auf einem Markt arbeitet. Sie hat uns in zehn Minuten vielleicht mehr über das Leben im Balkan erzählt, als wir in den Jahren davor zusammen gehört haben. Sie würde gern studieren, gern etwas Besseres machen, als nachts günstige Plastik zu verkaufen, aber sie darf nicht bzw. kann nicht.

Woher soll sie Geld und Aufenthaltsgenehmigung nehmen? Warum darf so ein schöner Geist nicht den Raum bekommen, den er braucht? Für die meisten ist es einfach unmöglich, aus ihrem Sumpf herauszukommen. Zuletzt auch, weil das Wissen darüber fehlt, über Schlupflöcher und Umwege. Aber das soll nicht die Realität sein. Uns hier geht es verdammt gut, aber bei den meisten Menschen anderswo scheitert es bereits an kleinen Dingen.

An Behindertenparkplätzen für unseren Freund King Naat aus Nordmazedonien, der sein Auto mitten im städtischen Park zwischen den flanierenden Leuten abstellte, um an eine Pizza zu kommen. Es fehlt massiv, selbst an kleinen, realistischen Perspektiven.

Wir wünschen uns, dass der Hass und Neid aufeinander endlich aufhören, egal wo. Menschen wollen im Prinzip so etwas wie Sicherheit, eine Familie und ein nettes Leben. Aber die Kluften zwischen Arm und Reich sind inzwischen gigantisch und es ist kein Ende dieser Spaltung abzusehen. Und stattdessen zuzumachen, hässliche Parteien zu wählen und Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, halte ich für rückständig wie in der Steinzeit. Meins-Deins-Keins. Es ist genug Platz für alle da.

Bildung ist etwas, wozu jede*r jederzeit und überall Zugang haben sollte.

Es gibt genug bezahlte Arbeit für jede*n, wenn man sich die Mengen an Geld und Gold auf der Welt auf der einen Seite anschaut, auf der anderen Seite die zu lösenden Probleme, vor denen wir stehen – allem voran die Erderwärmung, den Absprung aus einem vom Mittelalter geprägten Denken über gut und schlecht, dem Funktionieren des Menschen wie eine Maschine im Industriezeitalter, aber auch hinsichtlich der Transformation von einem Denken weg von „ich ich ich“ hin zu „wir gemeinsam“.

Religions- und kulturübergreifend. Dadurch entstehen Vielfalt, Wohlwollen, Austausch. Dadurch entwickelt sich die Menschheit, dadurch wird sie schön und wirklich erst reich.

Wir in unserer Band arbeiten alle zusammen auf ein Ziel hin. Einen neuen Song, einen Auftritt, ein Album. Was entstehen dabei für wunderschöne Dinge! Warum – oder besser wann –- geht das auch im Großen? Stell dir vor, du bist auf einer Erde und die Menschen schotten sich nicht ab, haben keine Ängste und machen nicht ihr Gehirn dicht – sondern gehen zusammen nach vorn. Und wachsen, aneinander und miteinander.

‘24 wird das leider alles so noch nicht klappen, ‘25 auch nicht. Aber wir zumindest wünschen uns solche schönen Momente wie in den vergangenen Jahren, die dann wieder die Menschen überall vor den Bühnen, auf den Straßen, zu Hause oder im Auto mit einem Lied im Ohr inspirieren: Ohne Grenzen zu denken, miteinander zu sein. Und dass die Menschen diese Gedanken für sich in ihren Alltag mitnehmen.

Wenn seine Eltern zu Putin gesagt hätten:

Du wirst Musiker! Das ist das Richtige für dich! – Vielleicht gäbe es jetzt diesen Krieg nicht.

Sebastian Brauer // Drums & Percussion bei Batiar Gang

www.batiargang.org

Telegram: t.me/batiargang

Instagram: @batiargang

„Wenn Leipziger*innen träumen: Batiar-Träume 24“ erschien erstmals im am 22.12.2023 fertiggestellten ePaper LZ 120 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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