Die groรe Mehrheit der Berliner/-innen unterstรผtzt die Demokratie. Gleichwohl zeigt sich eine Zunahme der Befรผrwortung autoritรคrer Einstellungen. Vielfรคltige Krisen in der Welt bereiten den Berliner/-innen Sorgen, treffen auf bereits bestehende Ressentiments und verstรคrken diese. Das hat der โBerlin Monitor 2023โ ergeben, der am Montag, 18. Dezember, von den Studienleitern Prof. Dr. Gert Pickel und Co-Autor Kazim Celik von der Universitรคt Leipzig vorgestellt wurde.
Fรผr die Demokratie in Berlin zeigt sich insgesamt das Bild einer weitgehend demokratisch denkenden Stadt, in der allerdings sichtbare Gruppen existieren, die von Vorurteilen, Abwertung und sozialer Distanz geprรคgt sind. Diese Melange beinhaltet Konfliktpotential, welches sich in den gerade stattfindenden multiplen Krisen stรผckweise zu einer Polarisierung verschรคrfen kann, schรคtzen die Studienautoren ein. Erste Anzeichen fรผr eine solche Entwicklung sind im neu erschienenen โBerlin-Monitor 2023โ zu erkennen.
Mit dem Berlin-Monitor wird die demokratische, politische Kultur in Berlin und die Ausbreitung antidemokratischer und rechtsextremer Einstellungen beforscht. Alle zwei Jahre wird hierfรผr eine fรผr Berlin reprรคsentative Umfrage durchgefรผhrt. Die Befragung fand 2023 zum dritten Mal statt.
Mehr Zustimmung zu rechtsextremen รberzeugungen
Ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild weisen zwar weiterhin nur wenige Berliner/-innen auf. Allerdings ist in Berlin seit 2021 ein deutlicher Anstieg in der Zustimmung zu rechtsautoritรคren Aussagen und zu rechtsextremen รberzeugungen festzustellen. Dem entspricht auch ein starker Anstieg der Zustimmung zu Autoritarismus. Einzelne Elemente des Rechtsextremismus weisen dabei sichtbar hรถhere Zustimmungsgrade auf.
Autoritรคre Aggressionen kรถnnen bei 54 Prozent der Befragten festgestellt werden, die manifeste Verschwรถrungsmentalitรคt ist von 18 Prozent im Jahr 2019 auf 31 Prozent im Befragungsjahr 2023 gestiegen.
Die Ergebnisse zeigen auch einen gestiegenen Antifeminismus und Antisemitismus, aber auch eine bei jeder / jedem fรผnften Berliner/-in bestehende Transfeindlichkeit. Ebenfalls ist der Wunsch nach starker Fรผhrung gestiegen: Etwa 19 Prozent der befragten Berliner/-innen wรผnschen sich einen starken Fรผhrer, 2021 waren es noch 10 Prozent.
Auf die Konsequenzen fรผr die Demokratie weist Prof. Dr. Gert Pickel, einer der Studienleiter von der Universitรคt Leipzig, hin: โEs muss uns bedenklich stimmen, wenn die rechtsextremen รberzeugungen anwachsen โ selbst wenn es sich um Minderheiten handelt.โ
Der Leiter des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts der Universitรคt Leipzig, Prof. Dr. Oliver Decker, ebenfalls Studienleiter, ergรคnzt: โInsgesamt wird deutlich, dass die multiplen Krisen der Gegenwart auch in Berlin Herausforderungen fรผr die Demokratie bereithalten. Und diese Herausforderungen scheinen derzeit hรคrter zu werden.โ
Die Einstellungen zur Demokratie hรคngen stark von der Zufriedenheit mit der allgemeinen wirtschaftlichen Lage in Deutschland ab. Diese Zufriedenheit ist in Berlin seit 2019 um 30 Prozentpunkte gesunken, was sich auch auf die Haltung zur Demokratie โ dort besonders die Zufriedenheit mit der aktuellen Demokratie โ auswirkt. Zum anderen prรคgen die Umfrageergebnisse die vielfรคltigen Krisen, die unter den Berliner/-innen nicht geringe Sorgen hinterlassen.
Antisemitische und antimuslimische Einstellungen
Begleitet die Klimakrise der Wunsch, ihr stรคrker zu begegnen, sehen viele Berliner/-innen mit Sorge auf den Krieg in der Ukraine und die Gefahr einer Eskalation der russischen Angriffspolitik. So fรผrchten drei von vier Berliner/-innen zumindest etwas eine Eskalation des Krieges. โEs schlieรt sich keineswegs aus, der Ukraine helfen zu wollen und eine Eskalation des Krieges zu fรผrchtenโ, so Gert Pickel.
Hinzu kommt der Konflikt im Nahen Osten, der auch in Deutschland zu Auseinandersetzungen fรผhrt. Bereits vor dem 7. Oktober 2023 hatten die Studienleiter eine hohe offene Zustimmung zu antisemitischen Aussagen in Berlin festgestellt: So sei gut jeder Siebte der Auffassung, dass der โEinfluss der Juden zu groรโ sei. Gerade in Krisenzeiten wรผrden Ressentiments aktiviert.
โWir kรถnnen also davon ausgehen, dass wir den Zustimmungswert sogar noch unterschรคtzenโ, sagt Oliver Decker.
Am stรคrksten sind allerdings antimuslimische Einstellungen ausgeprรคgt, wie eine Schwerpunktuntersuchung des Berlin-Monitors belegt.
Brรผckenideologien zur extremen Rechten
In solchen Positionen bilden sich Spannungen in Berlin ab, die im ungรผnstigsten Fall Anknรผpfungspunkte fรผr die extreme Rechte und Verschwรถrungserzรคhlungen bieten. Solche Anknรผpfungspunkte zeigen sich auch bei den zwei zentralen Schwerpunkten des Berlin-Monitors 2023: antimuslimische Einstellungen und die Ablehnung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt. Beide Bereiche erweisen sich als zentrale Brรผckenideologien, die Berliner/-innen mit der extremen Rechten in Verbindung bringen. Beide Einstellungsbรผndel sind in Berlin รผber die Kreise der extremen Rechten hinaus verbreitet.
Der an der Studie beteiligte Wissenschaftler vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut der Universitรคt Leipzig, Kazim Celik, erklรคrt: โSie sind gleichzeitig fรผr Akteure der extremen Rechten anschlussfรคhig und erรถffnen diesen die Mรถglichkeit, Wรคhler/-innen oder Unterstรผtzer/-innen zu mobilisieren.โ So wรผrden speziell abwertende Debatten รผber Transpersonen oder Muslim:innen schnell politisch aufgeladen und in Kampagnen integriert.
Der Berlin-Monitor 2023
Der Berlin-Monitor wurde zwischen Mai und Ende Juli 2023 zum dritten Mal durchgefรผhrt. Hierfรผr werden im Zweijahresrhythmus etwa 2.000 reprรคsentativ ausgewรคhlte Berliner/-innen befragt. Erhoben wird ihre Einstellung zu Demokratie, Politik und verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, hierzu gehรถren gruppenbezogene Aggressionen, rechtsextreme Einstellungen und der demokratische Zusammenhalt. Der Berlin-Monitor wird von einem Verbund der Universitรคt Leipzig und der Hochschule Magdeburg-Stendal umgesetzt, Projektleiter/-innen sind Prof. Dr. Oliver Decker (Sigmund Freud Privatuniversitรคt Berlin/Universitรคt Leipzig), Prof. Dr. Gert Pickel (Universitรคt Leipzig) sowie Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya (Hochschule Magdeburg-Stendal). Die Studie wird in Zusammenarbeit mit der Landesstelle fรผr Gleichbehandlung und dem Berliner Senat durchgefรผhrt.
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