Intern wurde wohl schon länger auf einen Deal hingearbeitet, für Außenstehende kam es unerwartet: Nach einem knappen Geständnis Gil Ofarims wurde der Verleumdungsprozess gegen ihn am Dienstag unter Auflagen eingestellt. Doch der Fall lässt viele Fragen zurück, auch jenseits der rechtlichen Aspekte. Ein Kommentar.

War es nun Wut über vermeintliche Benachteiligung, Skrupellosigkeit, übertriebener Geltungsdrang? Was genau den jüdischen Musiker und Schauspieler Gil Ofarim dazu brachte, einem unschuldigen Hotelmitarbeiter eine Entgleisung anzudichten, die seine Existenz zerstören kann, bleibt auch nach dem überraschenden Geständnis vor dem Landgericht spekulativ.

Mit der vorläufigen Einstellung des Verfahrens unter Auflagen ist die Strafkammer in Übereinstimmung mit den Beteiligten einen Weg gegangen, der wohl allen entgegenkommt: Ofarim selbst, der nach Angaben seiner Verteidigung keine Kraft mehr hatte, dem Geschädigten, der für alle sichtbar nach über zwei Jahren Albtraum endlich rehabilitiert ist, und dem Gericht, dem eine mühsame Beweisaufnahme erspart bleibt – mindestens bis 7. Dezember wäre das zähe Verfahren weitergegangen, Verlängerung nicht unwahrscheinlich.

Was Gesellschaft und Medien mitnehmen könnten

Doch der Fall Ofarim, der Anfang Oktober 2021 für einen Aufschrei weit über Leipzig hinaus sorgte, sollte auch jenseits des Gerichtssaals zum Nachdenken anregen. Der Raum für Vorverurteilung und Hass öffnet sich in der heutigen Zeit blitzschnell, vor allem in den sogenannten Social Media, wo gefühlsgeleitete Dynamik die Besonnenheit schnell aussticht. Da hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Holger Mann aus Leipzig mit seiner Analyse einfach recht.

Die Gesellschaft, jeder und jede von uns eingeschlossen, sollte den Sachverhalt als Lehrstück nehmen, dass man sich immer in Ruhe beide Seiten anschaut, bevor man zu einem Urteil kommt.

Das gilt nicht weniger auch für uns, die mediale Zunft, wo man, bei aller Konkurrenz und Hektik des Tagesgeschäfts, mehr Mut beweisen könnte: Mut, eine Geschichte von solcher Sprengkraft auch mal etwas später als andere zu bringen, wenn sie dafür ausgewogener daherkommt, ohne nur auf Klicks und Schlagzeilen-Kampf zu schielen. Wenn hier für die Zukunft etwas gelernt wird, wäre schon viel gewonnen.

Ofarims Verhalten hat massiv geschadet

Dem Geschädigten des Vorfalls ist zu wünschen, dass er, nachdem ihm die Falschbeschuldigung den Boden unter den Füßen weggerissen und sein Leben auf den Kopf gestellt hatte, wieder zu einem normalen Alltag finden kann. Der vereinbarte Ausgleich, über dessen Details Stillschweigen herrscht, kann keine absolute Gerechtigkeit schaffen, aber vielleicht ein kleines Trostpflaster sein.

Und für Ofarim bleibt zu hoffen, dass ihm die Tragweite seines Handelns, was immer ihn antrieb, mit aller Klarheit bewusst ist. Formal gilt er, da er nicht verurteilt wurde, weiter als unschuldig. De facto aber wird er künftig anders wahrgenommen und dürfte noch lange die Folgen seines Tuns zu spüren bekommen. Nicht zuletzt der jüdischen Gemeinde im Land und den tatsächlichen Antisemitismus-Opfern hat sein Verhalten massiv geschadet.

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Es gibt 4 Kommentare

Auch hätte ihm die aktuelle Diskussion zu Israel im Zusammenhang mit dem Hamasüberfall zu denken geben müssen, ob er an seiner eitlen Lüge tatsächlich noch festhalten will. Nein er hat kurz vor Prozessbeginn gehofft, dass mit dem Prozess die Wahrheit ans Licht kommt. Er hat immer weiter gemacht. Der, der sich selbst als säkularer Juden bezeichnet, hat den grössten antisemitischen Schaden bei dem Vorfall verursacht. Damit muss er klar kommen privat als auch beruflich. Die 10000 Euro Strafe und das Schmerzensgeld sind langfristig für ihn der geringere Schaden. Mit 41 muss man schon wissen was man tut.

Das Einzige, was mich an der L-IZ an der Stelle gestört hatte war, dass diese ganzen Twittereien der Leute groß in den/die Artikel gespiegelt wurden. Gaaaanz wichtig, was “shame-on-you” Igor Levit gepostet hat oder Frau Kokot, Herr Dulig oder wie sie alle hießen. Ansonsten fand ich die Artikel hier einigermaßen wertungsarm, so aus der Erinnerung heraus.
Ja, der Hintergrund vom Sicherheitsdienst war wahnsinnig wichtig damals. Ja, die Demo von Frau Kokot vor dem Hotel (später: “irgendetwas muss dort passiert sein, davon sind wir überzeugt“, sagt Rudolph-Kokot. „Was genau, das wird man vielleicht nie erfahren, das müssen die Strafverfolgungsbehörden jetzt ermitteln.“ Niemand drehe ein so emotionales Video einfach so, ohne Anlass. Es sei auch nach wie vor verstörend, wie lange das Hotel gebraucht habe, überhaupt auf die Vorwürfe zu reagieren, „dass es sich so lange gar nicht entschuldigt oder positioniert hat“. Auch auf das Angebot, auf der vom Bündnis organisierten Demonstration zu sprechen, sei das Hotel nicht eingegangen, kritisiert Rudolph-Kokot.” -rp-online.de) der Bringer.
Die Reaktion des Hotels, vor allem im digitalen Raum, kam nicht sofort im Augenblick des Geschehens, sondern STUNDEN SPÄTER; auch das wurde seltsamerweise kommentiert. Die etwas hilflos zusammengeschusterte Motivtapete bei der Eigendemo des Hotels wurde nicht als Versuch eines unerfahrenen Medienteams im Hotel gewürdigt, sondern von der Gemeinde im Twitterraum belustigt aufgenommen, weil man Gleichsetzungen witterte und überhaupt aufgrund “Haltung” dort schon eine Meinung hatte.

Die gleiche Haltung, mit der der DGB und andere im Jahr 2007 Demovolk nach Mittweida importierten, wo einer jungen Frau angeblich ein Hakenkreuz von Neonazis in die Hüfte geritzt worden war, die gleiche Haltung, die bis zum Bundeskanzler Schröder reichte, der im Fall “Schwimmbad Sebnitz” die Familie des ertrunkenen Jungen Joseph im Kanzleramt empfing. Beides erfundene Geschichten, insofern ist es ja nicht so, dass die Öffentlichkeit, bis hin zu den Oberen und den Medien, völlig unerfahren mit sowas sind.
Der Unterschied bei Sebnitz war: Der Bürgermeister hatte offenbar einen Medienberater. Aus einem Artikel der SZ:
“Nachmittags auf der einberufenen Pressekonferenz beherzigt Ruckh die Ratschläge eines Kommunikationsprofis. Vor allem diesen: Die Story von „Bild“ nicht anzweifeln. Als „Wald- und Wiesenbürgermeister“ steht es ihm nicht zu, das Gegenteil von dem zu behaupten, was die Staatsanwaltschaft sagt. Ruckh erklärt, dass die Stadt erschüttert sei, dass sie radikale Gewalttaten nicht dulde, dass wer wegschaue sich mitschuldig mache. Er sagt aber nicht, dass Bürger seiner Stadt schuldig sind. Er sagt nur, dass er auf zügige Aufklärung durch die Ermittlungsbehörden hofft. Es sind gestanzte Sätze, die er spricht. Zum Teil hat er sie vorher aufgeschrieben, um sich daran festzuhalten, um auf der Bühne des Medienzirkus nicht zu straucheln.”
Das scheint das Wichtigste zu sein. Nicht straucheln. Der Gemeinde das Futter geben, was sie möchte.

Genau wie bei Vergewaltigungsvorwürfen, bei denen es auch genug gibt, die medial hochgetrieben werden und mitunter dann auch zerplatzen, gibt es aber auch genügend echte Fälle im Rechtsradikalen Milieu. Ich habe in Mittweida selber Glatzen gesehen damals, und in Sebnitz gab es sie ebenfalls. “Mügeln” dürfte Manchen noch ein Begriff sein. NPD-Apfel hat später im Landtag gesagt, dass Mügeln “gesebnitzt” wurde. Jetzt macht “Ofarimisieren” die Runde – schönen Dank auch von denen, die bei aller kritikwürdigen Siedlungspolitik den jüngsten Überfall auf Israel verurteilen und bei pro-Hamas-Demos auf unserem Staatsgebiet ein fahles Gefühl im Magen bekommen. Es brauchte einen Staatsanwalt mit Ermittlungseifer, digitale Forensik, und einen mutigen Mitarbeiter (mit einem Chef, der hinter ihm stand), um diese Scheiße ins richtige Licht zu rücken. Ohne diesen Druck hätte es das Geständnis der Lüge wohl nie gegeben.

Ist mir zu wenig selbstkritisch.
Von Ofraim und von L-IZ.
Hier wurde damals sofort vom rechten Sicherheitsdienst berichtet, der aufgrund der Demonstration beauftragt wurde. Das stützte nämlich direkt die Vorwürfe des Herrn Ofraim gegen das Hotel.
Ich hoffe, dass er keine Engagements mehr bekommt, sondern sein Leben als Normalo bestreiten muss.

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