Gleich am 9. Oktober, nachdem Aktivisten der Letzten Generation das Universitรคtsgebรคude am Augustusplatz mit Farbe besprรผht hatten, meldete sich der Dรผsseldorfer Autor Peter Jamin zu Wort und schrieb einen Offenen Brief an Oberbรผrgermeister Burkhard Jung, die Farbe an der Universitรคt nicht zu entfernen, sondern dranzulassen โ€“ als Kunstwerk und zur Mahnung. Nur ist Leipzigs OBM halt nicht fรผr die Uni zustรคndig.

Die Universitรคtsleitung lieรŸ die aufgesprรผhte Farbe noch am selben Morgen entfernen. Die Nachricht war trotzdem in der Welt. Und sie warf eine Frage auf, die auch Peter Jamin in seinem Offenen Brief formulierte.

Der Offene Brief an OBM Burkhard Jung

Sehr geehrter Herr Oberbรผrgermeister Jung.

Die Letzte Generation hat das zentrale Uni-Gebรคude in der Leipziger City mit Farbe beschmiert.

Es liegt mir fern, mich in die Angelegenheiten Ihrer Stadt einzumischen. Aber ich habe eine Idee, die vielleicht unserer gesamten Gesellschaft hilft und die Mitglieder der Letzten Generation auf einen fรผr alle Bรผrger zumutbaren Weg bringen kรถnnte.

Warum belassen Sie das Gebรคude nicht so, wie es ist?! Und machen daraus ein Mahnmal an die drohende Klimakatastrophe, mit der sich alle Bรผrger Deutschlands in den kommenden Jahrzehnten auseinandersetzen mรผssen.

Ich persรถnlich halte den โ€žFarbanstrichโ€œ unter stilistischer Perspektive fรผr einen Gewinn. Mit der Farbe ist es fast zu einem โ€žGesamtkunstwerkโ€œ geworden.

Noch mehr aber wรผrde dieses Gebรคude gewinnen, wenn Stadt und Uni einen Schritt der gesellschaftlichen Versรถhnung (mit der Letzten Generation) gehen wรผrden.

Sicherlich muss eine Strafverfolgung und Verurteilung der Tat stattfinden.

Aber dieses Klimakatastrophen-Mahnmal kรถnnte der Beginn eines groรŸen gesellschaftlichen Dialogs รผber die Klimakatastrophe werden.

Das bedeutet auch, dass die Leipziger Stadtgesellschaft etwa wรคhrend einer โ€žEinweihungโ€œ dieses Denkmals in einen permanenten Dialog (hinter der Fassade) mit der Bรผrgerschaft, aber auch mit den Mitgliedern der Letzten Generation treten sollte. Die Stadt Hannover hat ja diesbezรผglich einen Anfang gemacht.

Ich wรผrde mich freuen, wenn Sie und vor allem der Rat der Stadt und die Universitรคt Leipzig zumindest รผber meinen Vorschlag nachdenken wรผrden.

Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Klimakatastrophe hat jeden nur mรถglichen neuen Ansatz verdient. In diesem Zusammenhang mรถchte ich darauf hinweisen, dass weitaus grรถรŸere Katastrophen als eine Gebรคudebeschmierung in Denkmรคlern โ€žweiterlebenโ€œ: Der Bau der Mauer der DDR gehรถrt dazu.

Ich freue mich auf eine positive Nachricht.

Herzliche GrรผรŸe
Peter Jamin

Augen zu und so tun als ob

Und damit benennt er auch ein Phรคnomen, mit dem die Letzte Generation eigentlich ringt: Nirgendwo im รถffentlichen Raum ist tatsรคchlich fรผr alle sichtbar, wie gravierend jetzt schon die Erhitzung der Erdatmosphรคre ist und wie drรคngend die Probleme, die wir lรถsen mรผssen, wenn wir die nicht mehr zu bewรคltigende HeiรŸzeit verhindern wollen.

Aktivisten der Letzten Generation besprรผhten den Seiteneingang der Uni am Augustusplatz am 9. Oktober mit Farbe und die Uni bestelte sofort den Reinigungsdienst. Foto: Ferdinand Uhl
Aktivisten der Letzten Generation besprรผhten den Seiteneingang der Uni am Augustusplatz am 9. Oktober mit Farbe und die Uni bestellte sofort den Reinigungsdienst. Foto: Ferdinand Uhl

Aber nichts im รถffentlichen StraรŸenraum zeigt vor alle Augen und jeden Tag, wie uns die Zeit davonlรคuft.

โ€žEine Erwรคrmung รผber 1,5 Grad wรผrde katastrophale Folgen fรผr uns Menschen bedeuten. Schon heute schmelzen gigantische Eisflรคchen, brennen riesige Waldgebiete und es sterben die schรถnsten Korallenriffe unserer Erdeโ€œ, schreibt die Initiative Leipzig fรผrs Klima auf ihrer Website, auf der sie das Projekt ihrer COโ‚‚-Uhr beschreibt.

โ€žDoch auch direkt vor unserer Haustรผr sterben schon viele Bรคume, z. B. in unserem Leipziger Auwald, aufgrund von anhaltender Trockenheit. Das ist heute schon fรผr alle sichtbar. Von unserem verbleibenden COโ‚‚-Budget wurden bereits jetzt in den ersten 60 Sekunden Lesezeit knapp 80.000 Tonnen COโ‚‚ verbraucht.โ€œ

Doch das Projekt liegt seit zwei Jahren auf Eis, weil das Gebรคude einfach nicht gefunden wird, an dem diese Doomsday Clock angebracht werden kรถnnte.

Und auch das Projekt der Warming Stripes steckt wieder in einem zรคhen Verfahren, nachdem die 2022 erst auf der Sachsenbrรผcke aufgebrachten Streifen nach und nach von der Stadtreinigung abgebรผrstet worden waren.

Doch statt die Farben dauerhaft zu erneuern, versucht die Stadt nun, die Warming Stripes an irgendeinen anderen Ort in Leipzig umzuorganisieren โ€“ der aber bis heute nicht gefunden ist. Das Problem: Auf einmal hat sich der Denkmalschutz eingemischt und meinte, die Sachsenbrรผcke dรผrfe nicht dauerhaft durch so eine Installation verรคndert werden.

Verhinderer und Verstecker

Aber das ungute Gefรผhl ist jetzt da, dass es auch in Leipzig nicht sein soll, dass die Einwohner mit der drรคngenden Aktualitรคt der Klimaaufheizung konfrontiert werden. Nur ja nicht deutlich werden und die Wahrheit zeigen. Reicht ja schon, wenn die Wiesen in den Sommern vertrocknen, die Bรคume massive Dรผrreerscheinungen zeigen, der Auwald sichtlich am Limit ist.

Warum auch noch klarmachen, dass wir uns รคndern mรผssen? Und mit uns die Stadt, deren Stadtrat zwar 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat. Aber warum drรคngen und Tempo machen? Warum die Leute erschrecken?

Denn Tatsache ist: Der Richtungswechsel hin zu einer klimaneutralen und auf die Hitzeextreme vorbereiteten Stadt dauert zu lange, wird vom fehlenden Geld aufgehalten, veralteten Gesetzen, aber auch von Amtsschimmeln und von Bรผrgern, die es gar nicht einsehen, warum sie ihren Lebensstil jetzt รคndern sollten.

Wรผrde ein deutliches Zeichen in der ร–ffentlichkeit helfen, die Brisanz erkennbar zu machen?

Vielleicht. Wahrscheinlich.

Denn dagegen arbeitet alles andere an, was in dieser Gesellschaft Geld und Einfluss hat, sorgt fรผr Ablenkung, Unterhaltung, BespaรŸung und das Leben in einem Wohlstand, dessen รœberlastung fรผr die Welt den meisten nicht einmal bewusst ist.

Eigentlich gehรถren die Warming Stripes mitten auf den Augustusplatz (Vorsicht: geschรผtztes Kunstdenkmal!), um einfach mal klarzumachen, wohin die Botschaft gehรถrt. Selbst auf dem hรคsslichen Platz vorm Uni-Gebรคude wรผrden sie noch Sinn ergeben.

Nur so als Anregung, auch wenn wir schon stark vermuten, dass die Stadt ein sehr verstecktes Plรคtzchen dafรผr suchen wird. Man will ja nicht jeden Tag daran erinnert werden, dass unsere Erde kocht und die Zukunft unserer Kinder und Enkel die Hรถlle wird.

Nicht wahr?

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Es gibt 4 Kommentare

Statt eines Kommentars, ein Gedicht von 2017 (gerne auch zur Verรถffentlichung). Hier ist schon alles gesagt.
HeiรŸ
Ich bin heiรŸ, du bist heiรŸ
Wir sind heiรŸ
Es rinnt der SchweiรŸ
Bei unserm heiรŸen Tanz
Auf dรผnnem Eis
Wir bringen die Welt aus der Balance
รœberkommt uns die Hitze
Entflammt die Glut
Wir schmelzen das Eis
Denn der Preis ist heiรŸ
Wir wollen den Drachen reiten
Es kommen heiรŸe Zeiten.
Refrain:
Ich bin heiรŸ, du bist heiรŸ
Wir sind heiรŸ
Es rinnt der SchweiรŸ
Bei unserm heiรŸen Tanz
Auf dรผnnem Eis
Der Preis ist heiรŸ.
Wir leben auf Kredit
Bei unserm heiรŸen Ritt
Geht es um die ganze Welt
Mit geborgtem Geld
Unser Tanz ist mรคchtig laut
Doch es gewinnt nur, wer sich traut
Mal eben Fliegen
Schnell noch was kriegen
Schnell noch mal siegen
Es zรคhlt das hier und jetzt allein
Etwas mehr kannโ€™s schon noch sein.
Wasser und Eis werden knapp
Doch wir machen nicht schlapp
Wir sind heiรŸ auf den Sieg
Wir haben SpaรŸ, gib noch mal Gas
Lass die Motoren heulen
Und verlier nicht die Balance
Bei unserm heiรŸen Tanz
Wir sind so heiรŸ auf den Preis
Deshalb rinnt der SchweiรŸ
Der Preis ist heiรŸ.
Wir drehen uns viel zu schnell
In unserm goldenen Kettenkarussell
Das kommt nie mehr zum stehen
Es muss sich immer weiter drehen
Wir werden uns selbst รผberrunden
Uns ist schon schwindlig und es lรคuft heiรŸ
Doch der Preis ist heiรŸ.
Lasst uns nochmal alles geben
Wir gewinnen mit etwas Glรผck
und starten dann von der Poolposition
zu einmal Hรถlle und zurรผck.
Der Preis fรผr den Sieg
ist nicht nur heiรŸ, er ist auch hoch
denn er kostet das Leben
er wird nur einmal vergeben.
Wir sind so heiรŸ, dass die Welt verbrennt
Wenn wir nach ihr fassen
รœberkommt sie die Hitze
Entflammt die Glut
Sie kann es nicht mehr lassen
Die Erde wird immer heiรŸer
Verbrennt alle Wรคlder, schmilzt alles Eis
Die Erde wird heiรŸ, das ist der Preis!
Wir wollten den Drachen reiten
Nun kommen heiรŸe Zeiten.
Wird uns die Sache endlich zu heiรŸ
Dann zahlen wir schon den vollen Preis
ist die Erde lรคngst auรŸer Rand und Band
Dann haben wir uns ein letztes Mal
die Finger verbrannt.
Lernen kann, wer Schmerzen kennt
Vom Feuer das im Herzen brennt,
wir waren innen kalt wie Eis,
nicht heiรŸ
nun ist es vorbei:
Feuer frei!
Ich bin heiรŸโ€ฆ
Jรผrgen Tallig X- 2017

Die Letzte Generation liegt immer richtig! Bei Peter Jamin verdichtet sich allerdings die Mauer nicht allein im Kopf. Nach anfรคnglichen Schwierigkeiten ist Peter Jamin mittlerweile nicht nur zum MASZ Versteher geworden, sondern auch als Rufer der Verbรผrgerung der Aktivisten, welcher auch nebenbei (quasi alternativlos) die Strafverfolgung ebenjener gutheiรŸt.
VergeรŸen scheinen die noch im Egeraatschen Entwurf enthaltenen baulichen klimafreundlichen Techniken, die von den Fundamentalisten gestrichen wurden.
Vorschlag zur Gรผte: In Jamins Lieblingswohnstadt kรถnnte der zweitgrรถรŸte Steuerzahler zur Abwechslung mal nicht Waffen an alle Kriegsparteien verticken, sondern gemรครŸ โ€œSchwerter zu Windrรคdernโ€ mit einer Bombenrendite den Klimaschutz vorantreiben. Nicht wahr? mรถge man rufen, oder direkt zu Jamin: Ab und zu Silentium!

Herr Urs, ich mรถchte ergรคnzen: Warum ziehen die Aktivisten nicht nach Berlin und streichen dort grรผn, bis Frau ALB nicht mehr โ€œat war with Russiaโ€ ist und Herr Habek keine LNG-Terminals mehr fรผr amerikanisches Fracking-Gas oder umgelabeltes russisches Erdgas baut. Der Fisch stinkt vom Kopf her.

In einer endlosen Weise, lieber Autor, ist allรผberall von โ€œZeichen setzenโ€ die Rede. Man mรถchte annehmen, daรŸ Zeichensetzer lรคngst als Lehrberuf mit Zukunft angesehen wird. Es wird aber nichts nรผtzen. Was wรคre gewonnen, die Letzte-Generation-Leute hรคtten, sagen wir, Nitrolack verwendet? DaรŸ dann angesichts orangener Farbflatschen eine Majoritรคt von Leipzigerinnen und Leipzigern nun als Protagonistinnen und Protagonisten, รคhm, ja was eigentlich tut? Die Ernรคhrung umstellt auf Nullkommaeinsdiรคt? Das ganze Jahr Stadtradeln veranstaltet? Ich weiรŸ es nicht und komme nicht drauf. Ist nicht das Problem, daรŸ man aus der Froschperspektive des Individuums fast keinen Ansatzpunkt findet, finden kann, womit etwas zum Besseren zu wenden wรคre? Die S-Bahn-Lokfรผhrer, ohne die es nix werden kann mit der sog. Verkehrswende, fehlen, weil die mies bezahlt werden. Ich bin selbst in einer Gewerkschaft, aber damit bin ich eine gesellschaftliche Minderheit, und Gewerkschaften sind auch nicht das, was sie mal waren. Wenn ich รผber die Sachsenbrรผcke radle, soll ich mich dann angesichts der Streifen entschlieรŸen, meinen Kรผhlschrank zu verschrotten und kรผnftig in ein selbstgebasteltes tiny house ziehen?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der besonders belohnt wird, sich keine BlรถรŸe zu geben. Jede und jeder, die oder der sich beschrรคnkt, kriegt den Hintern schlechter an die Wand, als andere. Lieber Autor, es wรคre an dem, sich die Gesellschaftsordnungen nรคher anzuschauen, als den Menschen mit Aktionskunst eine individuelle Schuld zuzulosen.

Ich etwa mรถchte Schuld weithin von mir weisen, รผbrigens. Ich wรผรŸte nicht, was ich anders machen sollte, ich kรถnnte mich allenfalls in Luft auflรถsen.

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