Ich saß neulich an einer Bar. Rechts neben mir trank eine französische Filmproducerin mit ihrem ecuadorianischen Freund. Links saß ein Kollege und hinter uns an den Tischen tummelten sich allerhand Nachtschwärmer der Plagwitzer Sorte: ein bisschen shabby Chic und eher Cocktailfans als Biertrinker. Von irgendwoher im Haus tönte mäßig beschissener Techno.
Ein gewöhnlicher Freitagabend im Weltnest. Der Kollege links neben mir arbeitet an einem Jugendprojekt über die deportierten Juden Jenas. Unser Gespräch drehte sich um Exilliteratur und diejenigen, die damals geblieben sind: Kästner zum Beispiel oder Ernst Jünger, dem die SS-Vorturner im „Stürmer“ bereits recht früh nach der Machtübernahme angekündigt hatten, dass er sich allmählich der „Zone der Kopfschüsse“ nähere, während Kästner einen seiner Romane wohl selbst noch brennen sah im Mai 33.
Wir erinnerten uns an Oskar Maria Graf, der aus dem Exil heraus in einem Text darauf hinwies, dass man seine Bücher doch – Pronto! und Gefälligst! – auch auf die Scheiterhaufen werfen solle, weil er die „Unehre“ dort eben nicht vertreten zu sein nicht verdient habe.
Der Freund neben mir zählte all die kleineren und größeren Einbrüche in der „Brandmauer gegen rechts“ auf, die mir in ihrer Falldichte nicht bewusst gewesen waren. In den Gazetten liest man ja halt auch nur von den größeren Rissen und Bröckeleien. Aber nichts von Vorderposemuckel, wo die Blaubraunen mit den Schwarzen und den übrigen ewig schon kumpanieren, zuweilen ja auch gezwungenermaßen, weil’s die Lokalregierungszwänge einfach erforderten. Zuweilen aber auch nur, weil sie es können und keiner den Mahnzeigefinger hebt.
Wir stritten darüber, ob all die Vergleiche zwischen den anderen Zwanzigern und heute, realistisch seien. Ich dachte wieder an Remarque, der, so geht die Legende, in einer ganz ähnlichen Bar saß, als er seine Frau anrief, um ihr mitzuteilen, dass er fliehen werde. Jetzt. Noch in dieser Nacht. Dann fragte ich mich, was ihm durch den Kopf ging, während er in seinem Luxuswagen auf die Grenze zufuhr.
„Jetzt können wir noch was tun, Dave!“, beteuerte der Freund neben mir und dann sang er einen alten Punksong vor sich hin. „Schade, dass Beton nicht brennt“. Leise, leise stand in mir der Gedanke auf, dass ich mir in meiner Schreiberei nur etwas vorgemacht habe. Dass ich zu alt, zu träge und geistig zu fettgefressen bin in meinem Unterkellerstand des Kulturbetriebs, um die Gefahr noch wittern zu können.
Vielleicht sollte man statt der Worte wieder die Hanteln schwingen, um zumindest noch aus der Armkasse verteilen zu können, sowie die neuen Nazis ihre Haftbefehle vollstrecken. Wenn sie es tun, fiel mir ein, dann werden zumindest einige von denen unterzeichnet sein von Leuten, mit denen ich einst Juraseminare besucht habe. Wahrscheinlich haben ein paar von denen sogar meine Bücher gelesen.
„Schade, dass Beton nicht brennt, schade, dass ihr das Wort Hass nicht kennt“, geht der alte Punksong weiter. Du hast dir dein Schicksal selbst gewählt, dachte ich, hast dich bewusst vors große Gesellschaftszelt sortiert, um mit deinen Texten hineinpissen zu können. Hass verkürzt zuweilen den Weg. Aber verstellt auch den Blick.
Vielleicht stehe ich auch gar nicht vorm Zelt. Sondern an einer Weggabelung und pisse meine Worte gemeinsam mit Zehntausenden anderer auf das Feuer, das dort brennt. Ich bin sicher, dass es Beispiele dafür gibt, dass man Brände mit Worten auspissen konnte. Zu Hause wartet die Hantel. Ich staube sie ab. Die Armkasse aufzufüllen könnte ja trotzdem nicht schaden.
„Haltungsnote: Brandmauerbingo“ erschien erstmals in der September-Ausgabe, ePaper LZ 117, der LEIPZIGER ZEITUNG.
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