Was ist, wenn wir als globale Gemeinschaft mit unseren Bemรผhungen zur Eindรคmmung der Klimakatastrophe scheitern? Die Zukunft wird dรผsterer als wir glauben. Ein humanistischer Appell fรผr eine ehrlichere und dadurch auch stรคrkere Gemeinschaft. Wir werden sie brauchen. Wie lange lรคsst sich diese Welt noch biegen, bis sie letztendlich bricht? Die Klimakatastrophe hรคngt wie ein Damoklesschwert รผber unser aller Zukunft.

Seit mehr als 50 Jahren wissen wir โ€“ und insbesondere Entscheidungstrรคger*innen โ€“ genau Bescheid, was mit unserem Lebensraum passiert. Auch das Artensterben nimmt ebenfalls ein furchteinflรถรŸendes Tempo an.

Zahlreiche Institutionen wie UNO samt IPCC, Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen warnen immer eindringlicher, dass rasch gehandelt werden mรผsste. Die Erkenntnisse รผber die Zusammenhรคnge und die mรถglichen Zukunftsszenarien sind gut bekannt. Die Menschheit reagiert aber kaum auf die grรถรŸte Bedrohung ihrer Existenz. Eher im Gegenteil: Die politischen Fronten verhรคrten sich buchstรคblich, innerhalb wie zwischen รถkonomisch reichen, Schwellen- und armen Lรคndern. Unsere Energiekrise beantworten wir mit Aufrรผstung, Tankrabatt und einer Erhรถhung der Pendlerpauschale statt Rationierung und einer dem Marshallplan รคhnlich organisierten Energiewende. Neue Kriege offenbaren die komplexen Probleme unserer Gesellschaften.

Viele Wege fรผhren zum Club of Rome. Vor uns die Sintflut.

Trotz dieser Vielschichtigkeit lรคsst sich unser Gesamttrend grob in drei Szenarien aufgliedern.

โ€ข Plan A: Business-As-Usual.
Allein die Klimakatastrophe zeigt, dass ein โ€žWeiter so!โ€œ nicht mรถglich ist. Bereits unser Status Quo ist auf โ€žPumpโ€œ gekauft, mit billiger, begrenzter Energie, bei der Natur, dem Klima und den zukรผnftigen Generationen. Wer nimmt uns Gaias รถkologische Kreditkarte weg, bevor wir bankrott sind?

Bild: Carbon Brief Anpassungskurve. Grafik nach Robbie Andrews, aktualisiert durch Carbon Brief, climatecrock.files.wordpress.com
Carbon Brief Anpassungskurve. Grafik nach Robbie Andrews, aktualisiert durch Carbon Brief, climatecrock.files.wordpress.com

Zehn Prozent weniger jedes Jahr? Welcher Wahlkreis macht das Jahrzehnte mit?

โ€ข Plan B: รœbergang hin zu der โ€žklimaneutralenโ€œ Zukunft samt Einhaltung des 1,5ยฐ-Ziels.
Dieser wรผnschenswerte Wandel ist zwar theoretisch vielleicht noch mรถglich, es werden aber hier gleich mehrere Dinge nicht berรผcksichtigt. Wir erreichen gerade, vereinzelt aber immer hรคufiger, bereits die 1,5ยฐ-Grenze. Die offiziellen Schรคtzungen der nรถtigen Anpassungen vernachlรคssigen tatsรคchliche Kipppunkte im Erdklimasystem, wรคhrend noch nicht verfรผgbare Technologien des Geoengineerings groรŸzรผgig in diese Berechnungen einbezogen werden. Ebenfalls ist die Geschwindigkeit der benรถtigten Verรคnderung so enorm, dass unsere Politik, Wirtschaft und Gesellschaften damit nicht umgehen kรถnnen.

Des Weiteren sind Verรคnderungen global und in weit mehr als โ€žnurโ€œ dem Klimasystem vonnรถten, was wiederum fast alles des uns (materiell wie geistig) Gewohnten infrage stellt und uns mehrheitlich dauerhaft viel abverlangt.

Was, wenn wir es nicht schaffen? Ist ein Zusammenbruch รผberhaupt zu vermeiden?

โ€ข Option C: Zusammenbrรผche gibt es nicht nur im Film.
Unsere erfolgsfixierte Kultur ist ziemlich schlecht darin, Negatives (wie den eigenen Tod, Scheitern und schon Schwรคchen) offen zuzugeben. Daher verwundert es kaum, dass das Thema Kollaps von Zivilisationen hierzulande ein Schattendasein fรผhrt. Dabei existiert hierzu bereits eine Menge Forschung, etwas bekannter wรคren beispielsweise die ernรผchternden Kalkulationen der Grenzen des Wachstums, deren neuere Replizierung schon vor dem Jahr 2040 einen mรถglichen Kollaps beschreibt.

Zu sehen: Systemsimulationen des Club of Rome.(https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Meadows_ltg_page124_fig35_world_model_standard.svg)
Systemsimulationen des Club of Rome (https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Meadows_ltg_page124_fig35_world_model_standard.svg)

Analysen zu bisherigen Zivilisationen (wie z. B. von Luke Kemp, Joseph Tainter, Jared Diamond und Weiteren) machten als Garanten fรผr den Zusammenbruch folgende Faktoren ausfindig: รœbernutzung verfรผgbarer Lebensgrundlagen samt รถkologischer Ressourcen, รผbermรครŸige Komplexitรคt mit steigenden Erhaltungskosten, wachsende soziale Ungleichheit. Dieses typische Muster wird von unserer Zivilisation vorbildlich รผbererfรผllt. Ein Systemkollaps ist immer wahrscheinlicher geworden.

Warum wird nicht offen รผber einen Kollaps gesprochen? Schweigen wir uns ins Verderben?

Zum einen erinnert diese Schweigespirale an die kollektive Ohnmacht der Menschen in der spรคten Sowjetunion. Alle wussten, dass sie versagen wรผrde, niemand konnte sich eine andere Welt vorstellen, alle waren schlieรŸlich รผberrascht, als sie wirklich zusammenbrach. Es fehlt der Modus, kollektiv und auf allen Ebenen unserer Zivilisation effektiv zu handeln.

Zusรคtzlich zum Mantra โ€žFailure is not an optionโ€œ gibt es aber noch einen weiteren Aspekt des รถffentlichen Diskurses, die Klimakommunikation. Die Klimapsychologie sagt uns, Menschen seien durch die katastrophalen Nachrichten รผberfordert. Sie wรผrden sich deshalb distanzieren und in Passivitรคt fallen. Es sei wichtig, im Klimadiskurs darauf zu achten, immer positive und hoffnungsvolle Botschaften zu vermitteln und die Selbstwirksamkeit der Menschen zu stรคrken, anstatt sie in eine Hilflosigkeit und Resignation zu stรผrzen. Die blanke Wahrheit sei der Menschheit nicht zumutbar. Dieser Ansatz fรผr eine โ€žwirksame Klimakommunikationโ€ mag im ersten Blick sinnvoll klingen.

Allerdings ist er hรถchst problematisch, er ist infantilisierend. Wir haben es in der Klimakommunikation nicht mit Kleinkindern zu tun, sondern meist mit erwachsenen Menschen, die es nicht brauchen, vor der Realitรคt geschรผtzt zu werden. Erwachsene Menschen wollen wissen, woran genau sie sind. Nur dann kรถnnen sie Entscheidungen treffen und den Tatsachen entsprechend handeln.

In akuten Katastrophen-Situationen โ€“ wo es um Leben und Tod geht โ€“ wird immer wieder beobachtet, wie sich Menschen fรผr das Gemeinwohl selbstlos engagieren. Sie werden von sich aus aktiv, ohne auf die Beteiligung formeller Verwaltungsstrukturen zu warten. Dieser Mechanismus wird aber gehemmt, wenn immer wieder die Botschaft kommt, wir hรคtten noch Zeit, es sei nicht so schlimm und kรถnne noch irgendwie von abstrakten Institutionen wie der Politik geregelt werden.

Hier zeigt sich die grรถรŸte Gefahr dieses Ansatzes, nรคmlich dessen Effekt, die Verleugnung als kollektiven Abwehrmechanismus zu stรคrken und zu normalisieren, uns dadurch alle kollektiv zu lรคhmen. Neben einigen weiteren Faktoren, wie z. B. der kollektiven geistigen Gewรถhnungstendenz an die sich stรคndig verschlechternden Gesamtlage, der individuellen Zeitknappheit, Komplexitรคt aller Probleme und professionellen Ablenkungsindustrie, verwundert es kaum, dass wir als Gesellschaften selbst nach den eindringlichsten Berichten, Warnungen und Aussagen der Wissenschaft wieder zur Tagesordnung รผbergehen oder diese Meldungen kaum noch wahrnehmen.

So bleiben selbst die wichtigsten Publikationen hรถchstens eine Randnotiz, sei es der neueste, immer dรผstere IPCC-Bericht oder Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums (WEF), Erhebungen von Klimaforschenden, die mehrheitlich von mehr als 3ยฐC Erwรคrmung bis Ende dieses Jahrhunderts ausgehen, teils massives รœberschreiten von sechs der neun planetaren Grenzen etc.

Das รœberschreiten planetarer Grenzen. Aus: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/ Downloads (summary) S. 32,
Der letzte Strohhalm des IPCC. Stabile Szenarien Mangelware. Aus: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/Downloads (summary) S. 32,

Das Ende muss nicht das Ende von allem sein. Change is coming, whether you like it or not. Das Konzept des Kollapses wird sehr unterschiedlich definiert. Anders als in Weltuntergangsfilmen wird akademisch eher von einem langwierigem Rรผckgang an Komplexitรคt ausgegangen, welcher zwar auch krisenhaft und leidvoll ablรคuft, aber kein kollektives Todesurteil bedeuten muss. Einzelne gesellschaftliche Zusammenbrรผche haben in den letzten Jahrzehnten stattgefunden, zuletzt z. B. im Libanon, davor in Teilen auch in Griechenland, Anfang der 1990er Jahre auch auf Kuba.

ร„hnlich der Emissions-Anpassungskurve kรถnnen somit auch geplante Strukturwandel, wie recht bekannte Konzepte wie Postwachstum, Degrowth, Suffizienz und Subsistenz-Wirtschaft eine Art Kollaps der bisherigen Wirtschafts- und Verbrauchslogik darstellen. Je frรผher wir einen solchen รœbergang anstoรŸen, desto eher ist diese unvermeidliche Wende noch gestaltbar und damit viel Leid fรผr vulnerable Gruppen und den globalen Sรผden verhinderbar.

Ende 2020 erschien ein offener Brief hunderter Wissenschaftler*innen, die vor einem potenziellen Zusammenbruch der Gesellschaften warnen. Sein Titel lautete รผbersetzt โ€žNur wenn wir รผber den Kollaps diskutieren, kรถnnen wir uns vorbereitenโ€œ. Warum also die Mรถglichkeit eines Kollapses leugnen, wie andere die Klimakatastrophe leugnen? Es gibt gute Grรผnde hier eine ehrlichere gesellschaftliche Diskussion und Vorbereitung zu fรผhren, ohne Dogmen und Denkverbote:

Anders als bereits erwรคhnte Positionen der Klimakommunikation kam eine Metaanalyse (also zusammengefasste Studie mehrerer Studien) zu dem Ergebnis, dass Angstappelle sich zuverlรคssig positiv auf Einstellungen, Intentionen und Verhalten auswirken.

โ€“ Wissen bedeutet auch Verantwortung. Beispielsweise sind ร„rzte verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Sie machen sich sogar strafbar, wenn sie Diagnoseergebnisse verschweigen. Warum sollen in der Klimakommunikation andere Regeln gelten?

โ€“ Da unsere Staaten nicht gut gegen grรถรŸere Krisenereignisse (wie z. B. lรคngerfristige Stromausfรคlle, sog. Blackouts) vorbereitet sind, gilt dies wohl erst recht fรผr deren eigenen Zusammenbruch. Daher wรคre die verpasste Chance eines offenen Diskurses samt adรคquater Vorbereitung gleich doppelt fatal.

โ€“ Des Weiteren zeigen diverse Erhebungen der letzten Jahre, dass unterschiedlichste Gruppen negative Vorstellungen von der Zukunft haben. Nicht nur Kinder und Jugendliche haben weltweit Klimaangst, sind mehrheitlich sehr bis extrem besorgt, beรคngstigt und emotional belastet. ร„hnliche Ergebnisse lieferte auch die Zukunftsstudie des Kรถlner rheingold instituts, aber auch der Global Risk Report 2023 des Weltwirtschaftsforums (WEF). Vor den unbestreitbar enormen Herausforderungen der Zukunft wรคre es viel konstruktiver, alle willigen gesellschaftlichen Gruppen fรผr eine maximale Schadensbegrenzung zu informieren und zu mobilisieren. Die meisten der mit Klimaangst belasteten Menschen kรถnnten so merken, dass sie damit nicht alleine sind.

Als soziale Wesen finden wir Menschen gerade in Gemeinschaften den nรถtigen Sinn, welcher uns in Krisenzeiten zusammenschweiรŸt. Hier steckt also das grรถรŸte Potenzial, welches ungenutzt bliebe, wenn das AusmaรŸ der Gesamtsituation und der Pfad des Wandels nicht offen besprochen werden wรผrden. Was nicht besprechbar ist, ist auch nicht gestaltbar.

Wรคhrend es in anderen Lรคndern bereits Ansรคtze fรผr solche Netzwerke gibt (z. B. Deep Adaptation v. a. im Vereinigten Kรถnigreich, Kollapsologie in Frankreich, Just Collapse v. a. in Australien und Ozeanien), gibt es im deutschsprachigen Raum wenig Mรถglichkeiten der Partizipation. Durch die Tabuisierung ist gerade einmal das Thema Prepping (also v. a. materielles, individuelles Vorbereiten auf Katastrophen) etwas bekannter und nicht selten politisch rechtsideologisch besetzt. Es brรคuchte daher einer zivilgesellschaftlichen Gegenbewegung mit klar solidarischen Narrativen, die รผber kleinere Gruppen wie bestehende Online-Treffen (z. B. vom Klima-Kollaps Cafรฉ Leipzig) und Initiativen hinausgehen und sich offen mit der Transition-Town-, Degrowth- und weiteren Bewegungen vernetzen.

Was ist wirklich fatalistisch? Wie viel Erwachsen-Sein trauen wir uns zu?

Wรคhrend die Krisen um Klima, Artensterben, Energie etc. zunehmen, steht auch die Klimabewegung vor einer internen Krise. Deren Ziele werden nach und nach verfehlt (z. B. ist das 1,5ยฐ-Klimabudget der USA bereits รผberschritten) und deren Mitglieder laufen Gefahr, frustriert, desinformiert und enttรคuscht zurรผckgelassen zu werden, wรคhrend es nie nรถtiger war, um jedes Zehntel Grad zu kรคmpfen.

Was wir alle brauchen, ist zu wissen, woran wir sind. Erst dann kรถnnen wir zusammen kommen und das tun, was wir als Menschen in akuten Katastrophensituationen immer tun: uns fรผr das Gemeinwohl engagieren. Nicht zu handeln, nicht ehrlich zu sein, nicht offen und auf Augenhรถhe miteinander zu kommunizieren ist fatalistischer, als sich sehr negativen Zukunftsszenarien und unausweichlichen, unangenehmen Entwicklungen zu stellen.

Wir mรผssen lernen, offen mit unserem Scheitern umzugehen. Die Klimakommunikation der letzten Jahrzehnte ist gescheitert. Der Kapitalismus ist gescheitert. Unsere globale Zivilisation ist gescheitert. Wenn wir noch lรคnger so weitermachen wie bisher, uns dazu noch infantilisieren und bevormunden lassen, sind wir gescheitert.

Wir Menschen sind aufeinander angewiesen. Nutzen wir die Chance.

Bilden wir widerstandsfรคhige, solidarische und offene Gemeinschaften und Netzwerke, oder widmen wir uns leugnend und passiv unserem Untergang?

Vorliegender Text ist ein Gastbeitrag vom Klima-Kollaps-Cafรฉ, allen voran den Mitgliedern Zeynep Gรผรงbilmez (Klinische Psychologin), Lilly Panholzer (Lehrerin, Teachers For Future), Roland Busch (Psychologe), Norbert Prinz (Gestalttherapeut, kollapspsychologie.de), Thomas Reis (PV4.eu,meer.org) Christian Zauner (Parents For Future).

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Ein sehr guter Beitrag, den ich unbedingt weiterempfehle. Man kann ihn de facto als Teil 4, meines Artikels โ€žVollbremsung oder Klimacrashโ€œ betrachten.
https://www.l-iz.de/leben/gesellschaft/2023/09/vollbremsung-klimacrash-klimaschutz-systemrelevant-teil-3-552609
In der Debatte zu meinem Artikel wird die Darstellung der derzeitigen und zu erwartenden Entwicklungen dreimal als โ€žapokalyptischโ€œ diskreditiert, also als unwissenschaftlich, รผbertrieben und nicht zielfรผhrend.
Allerdings sind ja die weitere Verleugnung der Tatsachen und die weitere Verharmlosung der Entwicklungen, der direkte Weg in eine irreversible apokalyptische Endzeit.
Ich unterstรผtze die Intention des Artikels โ€žDer blinde Fleckโ€ฆโ€œ vollkommen.
Nur das Anerkennen der vollen Wahrheit und dementsprechendes Handeln bieten noch die Mรถglichkeit, das Allerschlimmste vielleicht doch noch zu verhindern. Ich versuche seit 10 Jahren dementsprechend aufzuklรคren und der weitverbreiteten Verblendung und Problemverdrรคngung
die โ€žunbequeme Wahrheitโ€œ entgegenzusetzen.
Im Anschluss einige Auszรผge aus einem Artikel von 2018/2019:

Die Wahrheit stirbt zuerst
Die Wahrheit รผber unseren heiรŸen Krieg mit der Natur war schon immer unbequem und ist inzwischen so erschreckend, dass sie den Menschen nicht mehr zumutbar ist, meinen die Mรคchtigen. Die Wahrheit stirbt zuerst, wie in jedem Krieg,- wenn wir es nicht verhindern.
Die Wahrheit ist inzwischen Verhandlungssache, scheint es. Sie verkommt zusehends zum kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich die Mรคchtigen dieser Welt noch verstรคndigen kรถnnen und der dann von dienstbaren Geistern in Wissenschaft und Medien verkรผndet, verstรคrkt und vermittelt wird und sie darf keinesfalls den Fortgang der Geschรคfte stรถren. Das sag- und denkbare, auch รผber die Klimakatastrophe, ist ein machtmรครŸig festgelegter, abgesteckter Bereich, das sogenannte Overton-Fenster. Das definiert, was gemรครŸ der รถffentlichen Moral/Meinung eine akzeptable ร„uรŸerung ist und was als unsagbar oder radikal gilt (Klimarebellen, So plant โ€˜Extinction Rebellionโ€™ den Aufstand fรผrs Klima โ€“ klimareporter, 26.04.2019).
Die kanonisierte Wahrheit wird massenmedial multipliziert und infiltriert, wodurch die eigentliche Wahrheit tabuisiert wird und die Anhรคnger der Wahrheit zu AuรŸenseitern, Panikmachern, Apokalyptikern gemacht werden. ร–kologische Modernisierung und grรผnes Wachstum sind denkbar, eine schnelle, drastische Reduzierung der Energie- und Stoffstrรถme z.B. nicht.

Die wissenschaftliche Wahrheit wird offenbar dem realpolitischen Interesse unterworfen und dienstbar gemacht. Es ist eine Tatsache, dass viele Aussagen des IPCC bisher eher konservativ und verharmlosend waren und von der Realitรคt immer schnellstens revidiert wurden, sei es bei Eisschmelze oder auch beim Meeresspiegelanstieg. Es wurde immer die optimistischste Mรถglichkeit und nicht die gefรคhrlichste gewรคhlt. Unbequeme Forschungsergebnisse und Entwicklungsmรถglichkeiten werden oft ausgeblendet oder vorlรคufig ausgeklammert (wegen unsicherer Datenlage bspw.). Viele Wissenschaftler stellen deshalb die Situation besser dar als sie ist, um nicht alarmistisch zu klingen. Den gefรคhrlichsten Entwicklungen wird laut Prof. Schellnhuber zu wenig Beachtung geschenkt(siehe โ€žStirbt die Menschheit aus, Klimareporter, 09.06.2016).
โ€žโ€ฆ Es ist lรคngst zu erkennen, dass wir selbst bei Erfรผllung des Pariser Klimavertrages auf eine Erderwรคrmung um 3 bis 4 Grad zusteuernโ€œ, meint Klaus Wiegandt, Vorstand der Stiftung โ€žForum fรผr Verantwortungโ€œ. Dass diese โ€žhalbherzige Klimapolitik weiterhin ungestraftโ€œ mรถglich ist, โ€žliegt vor allem an der Unkenntnis breiter Bevรถlkerungsschichten รผber die bedrohlichste Folge eines ungebremsten Klimawandels, โ€ฆgroรŸflรคchige Ernteausfรคlle auf allen Kontinenten. Der Kampf um Nahrung und Wasser wird bald zum Alltag gehรถren- auch in Europa.โ€œ (Die Zeit ist reif, Anzeige in DIE ZEIT 17, 17.04.2019).

Die seit der Pariser Klimakonferenz vielbeschworene Zauberformel, โ€ždie Erderwรคrmung auf deutlich unter 2 Grad, mรถglichst sogar auf 1.5 Grad zu begrenzenโ€œ ist ein massenpsychologisches Placebo, das unbewusst suggeriert: โ€žWenn 1,5 Grad noch mรถglich sind, dann kann es ja noch nicht so schlimm sein, dann kรถnnen wir ja noch etwas weitermachen wie bisherโ€ฆโ€œ. Ihre mantraartige Wiederholung ist eine Beschwรถrung des Unmรถglichen, das ja nur noch unter der Bedingung und Voraussetzung mรถglich ist, dass bei fast sofortigen Null-Emissionen gigantische Mengen CO2 aus der Atmosphรคre zurรผck geholt werden, wie der IPCC selbst sagt.
Es wird eine enorme Verringerung der Klimaschulden in die Kalkulation eingefรผhrt, die noch gar nicht erfolgt ist und die รคuรŸerst schwierig, wenn nicht unmรถglich sein dรผrfte. Das ist รถkonomisch motivierte schwarze Zahlenmagie, die das schon verbrauchte noch einmal verbrauchen will und die Welt in falscher Sicherheit wiegt. Das Ganze erscheint als Versuch, die Uhren wieder auf fรผnf vor zwรถlf zurรผck zu stellen, obwohl es ja schon bald fรผnf ist, also die Realitรคt schรถn zu rechnen und die weit extremere Dringlichkeit der Lage zu verschleiern, die ein viel radikaleres und schnelleres Umsteuern erfordert.
Das Zeitfenster hat sich fast geschlossen
โ€ฆHeute haben wir bereits 410 ppm CO2 erreicht, die als entsprechend erhรถhter Strahlungsantrieb bereits im Klimasystem enthalten sind und sich als weitere Erwรคrmung von etwa 3 Grad realisieren werden. 4 Grad Erderwรคrmung sind also faktisch bereits unvermeidlich. Um die Erderwรคrmung auf 1.5 Grad zu begrenzen, mรผsste der CO2- Gehalt der Atmosphรคre daher sofort wieder auf deutlich unter 350 ppm abgesenkt werden und selbst dann wรคre nicht sicher, ob sich die Erderwรคrmung nicht schon verselbstรคndigt hรคtte.
Doch der CO2- Gehalt der Atmosphรคre steigt sogar unablรคssig weiter, so dass sich die Welt mit einer erdgeschichtlich beispiellosen Geschwindigkeit auf noch hรถhere Temperaturen zubewegt.
Neben den ungebremsten menschlichen Emissionen treiben ja auch die weiter abnehmenden Kapazitรคten der natรผrlichen Kohlenstoffsenken (schwindende Wรคlder und wรคrmer und saurer werdende Ozeane) und die zunehmende Freisetzung von Treibhausgasen durch den auftauenden Permafrost und brennende und verrottende Biomasse den CO2- Gehalt der Atmosphรคre immer weiter in die Hรถhe. Die verรคnderte atmosphรคrische Zirkulation beschleunigt offensichtlich die Austrocknung der Vegetation und die abnehmende Wรคrmerรผckstrahlung (Albedo) aufgrund schwindender Eisflรคchen verstรคrkt die Erderwรคrmung zusรคtzlich. Verbesserte Klimamodelle prognostizieren inzwischen eine Erderwรคrmung von fรผnf Grad und mehr (โ€žRaum fรผr bรถse รœberraschungenโ€œ, DIE ZEIT, 25.04.2019).
Weitere Kippelemente im Klimasystem kรถnnten die Entwicklungen bald unumkehrbar machen und es drรคngt sich die Frage auf, wodurch sie jemals wieder zum Stillstand kommen sollen. Der รœbergang der Erde in den lebensfeindlichen, sich selbst verstรคrkenden Systemzustand einer HeiรŸzeit ist offenbar bereits in vollem Gange.
Wie diese dramatischen Entwicklungen mit einem sogar erhรถhten verbleibenden Emissionsbudget, weiterem Wirtschaftswachstum und einem zeitweisen รœberschreiten (Overshoot) der Temperaturgrenzen vereinbar sein sollen, erschlieรŸt sich nicht (siehe Angelika Zahrnt, Prioritรคt fรผr Wachstum oder Klimaschutz? 15. Februar 2019, Blog Postwachstum). Ob uns รผberhaupt noch ein verantwortbares Recht auf weitere Emissionen zusteht, muss bezweifelt werden. Zumal der Budgetansatz weder die anderen Treibhausgase (z.B. Methan), noch die schwindenden CO2- Senken und die drohenden Kipppunkte berรผcksichtigt. Insofern mรผssen alle bisherigen โ€žSelbstverpflichtungenโ€œ zur Emissionsreduzierung und alle klimapolitischen Planungen als vรถllig unzureichend und auf spekulativen Annahmen beruhend, revidiert und entschieden verschรคrft werden.
Es geht inzwischen eigentlich lรคngst nicht mehr darum, wie viel wir noch emittieren dรผrfen, sondern darum, wie wir das viele CO2 in der der Atmosphรคre schnellstmรถglich wieder auf weit unter 350 ppm verringern kรถnnen, um irreversible Prozesse im Klimasystem noch zu verhindern. Eine heute schon fast unlรถsbare Aufgabe, die man unverantwortlicherweise den kommenden Generationen รผberlassen will, wรคhrend die Gegenwart die Lage durch ungebremst viel zu hohe Emissionen weiter verschlimmert.
Das Risiko der Zerstรถrung der Lebensrรคume von Milliarden Menschen, aus kurz- und mittelfristigen Macht- und Profitinteressen in Kauf zu nehmen und das Klima- und Erdsystem mรถglicherweise irreversibel zu destabilisieren, ist ein Verbrechen an der Zukunft der Menschheit, das Tatsachen schafft, die von den kommenden Generationen nicht wieder korrigiert werden kรถnnen.

Es offenbart sich darin nicht nur Marktversagen, sondern der รผbermรครŸige Einfluss fossiler GroรŸkonzerne auf die Politik, was dazu fรผhrt dass das fossile Weltzerstรถrungsprojekt nachwievor sogar noch subventioniert wird und seine immer verheerenderen Folgen auf die Gesellschaft und vor allem auf die kommenden Generationen abgewรคlzt werden. Ein weiterer Handlungsaufschub ist vรถllig unverantwortlich und Klimaschutz am St. Nimmerleinstag nicht mehr mรถglich.
Die Menschheit hat nur dann noch eine Chance, wenn sie die volle Wahrheit erkennt und anerkennt, ihren Krieg mit der Erde schnellstens beendet und alles versucht, um das System Erde in einem noch lebensfreundlichen Zustand zu stabilisieren.

Jรผrgen Tallig 2018/2019

Die Langfassung des Textes findet sich hier:
https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com/wahrheit/

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