In seinem Blog beschäftigte sich Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, mit einer Frage, die aktuell die Politik nicht nur in Deutschland umtreibt. Denn bei Wahlen gewinnen genau jene Parteien immer mehr Zustimmung, welche die Angst der Menschen befeuern und instrumentalisieren. Und das ist ganz und gar nicht neu, stellt Fratzscher fest. Das ist schon seit 500 Jahren die Strategie der Populisten.

Manche Ängste sind durchaus berechtigt, stellt Fratschzer in seinem Blog fest. Sie haben reale Grundlagen wie die Klimakrise, die Energiekrise, die Inflation.

Aber andere sind völlig überzogen und übertrieben.

„Der Pessimismus heute ist weiter verbreitet als in den Nullerjahren, als Deutschland mit über fünf Millionen Arbeitslosen als der sogenannte kranke Mann Europas galt, und ähnlich groß wie in der globalen Finanzkrise 2008/09. Deutschland hatte nie mehr Menschen in Arbeit als heute“, stellt Fratzscher fest.

„Die deutsche Wirtschaft hat in den Jahren nach 2010 ein goldenes Jahrzehnt erlebt – nicht trotz, sondern auch wegen einer starken Zuwanderung vieler junger Europäerinnen und Europäer –, viele Industriekonzerne konnten ihre globalen Marktanteile erhöhen und die Löhne sind zum Teil deutlich gestiegen. Auch 2022 und 2023 fahren viele Unternehmen ordentliche Gewinne ein, eine Deindustrialisierung ist trotz vieler Unkenrufe bisher keine Realität.“

Wenn Wirtschaftslobbys Panik verbreiten

Und trotzdem gehen die Unkenrufe munter weiter. Und zwar nicht nur von den Populisten von rechts, die damit Punkte machen und die verängstigten Parteien der Mitte vor sich hertreiben.

Die großen alten Konzerne mit ihren oft noch immer fossilen Geschäftsmodellen sind eine ganz wesentliche Quelle für Angstmacherei, so Fratzscher: „Auch mächtige Industriekonzerne schüren Ängste eines Niedergangs der deutschen Wirtschaft, auch mit dem Ziel, der Politik weitere riesige Subventionen oder Steuererleichterungen aus den Rippen zu leiern. Dies wird jedoch langfristig weder Arbeitsplätze noch Wohlstand sichern, sondern die notwendige Transformation bei Digitalisierung und Umweltschutz verschleppen und den Wirtschaftsstandort schwächen.

Zudem ist das Schüren von Ängsten zunehmend das Geschäftsmodell mancher Medien, die verstanden haben, dass Angst zu Aufmerksamkeit und damit zu Gewinnen und Macht führt.“

Und genau wird die Funktionsweise des Angstmachens deutlich. Denn Menschen, die in Angst erstarrt sind, treffen keine logischen Entscheidungen mehr.

„Dabei funktionierte die Strategie der Populisten, Ängste zu schüren und zu instrumentalisieren, vor 500 Jahren ähnlich wie heute: Es werden Verallgemeinerungen verbreitet, bei denen Einzelfälle als die Norm dargestellt werden. Durch Verbrechen einzelner Ausländer werden alle Menschen mit Migrationshintergrund unter Generalverdacht gestellt und Zuwanderung generell abgelehnt.

Durch den einzelnen Missbrauch bei Sozialleistungen werden alle Beziehenden in Kollektivhaftung genommen und Forderungen nach Leistungskürzungen und harte Sanktionen für alle werden salonfähig“, beschreibt Fratzscher die Folgen der Angstmacherei.

„Die Verbreitung alternativer Fakten ist ein weiteres Instrument der Populisten. Es ist bemerkenswert, wie das Narrativ zum Schutz von Klima und Umwelt in Teilen der Bevölkerung und Teilen des politischen Mainstreams ins Gegenteil verkehrt wurde: Klimaschutz wird von vielen mit dem Verlust von Wohlstand, Lebensstandard und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt – nicht mit dessen Schutz.

Die Konsequenz ist, dass ein erheblicher Anteil der Menschen den Umstieg auf erneuerbare Energien ablehnt, am Verbrennungsmotor oder der Gasheizung festhalten will und überzeugt ist, dass Klimaschutzmaßnahmen ineffektiv oder unnötig sind.“

Falsche Feindbilder

Auf einmal sind die Klimagruppen das große Feindbild einer Gesellschaft, die viel mehr Angst vor den Veränderungen hat als vor den jetzt schon sichtbaren, dramatischen Folgen des Klimawandels.

Rational ist das schon lange nicht mehr. Vernünftig schon mal gar nicht.

Auch dann nicht, wenn aufgeschreckte konservative Politiker die Angstbilder der Populisten auch noch übernehmen und verstärken. Und das dann als pragmatisch verkaufen, obwohl nichts davon pragmatisch ist. Es ist eher eine Kapitulation vor dem wilden Geschrei aus allen populistischen Kanälen.

„Man kann versuchen, diese politischen Kehrtwenden als Pragmatismus zu verteidigen, oder man kann sie als das sehen, was sie sind: eine Kapitulation der Vernunft und des Humanismus gegenüber dem Populismus“, stellt Marcel Fratzscher fest. „Die Konsequenzen dieser Instrumentalisierung von Ängsten sind katastrophal. Sie führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft, die unüberbrückbare Differenzen aufbaut und somit Kompromisse und Lösungen immer schwieriger macht. Der Populismus verschärft den Verteilungskampf, dessen Gewinner unweigerlich die privilegierten Gruppen sind, die Arbeitgebenden gegenüber Beschäftigten, Menschen mit hohen Einkommen, guter Bildung und Mobilität gegenüber Menschen ohne diese Privilegien.“

Und als weitere Folge nennt er „Protektionismus und Paralyse auch in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Unternehmen klagen zu Recht über die enorme wirtschaftliche Unsicherheit, die dringend notwendige Investitionen kaum ökonomisch sinnvoll erscheinen lässt. Aber gleichzeitig tragen die mächtigen Wirtschaftslobbyisten selbst zu dieser Unsicherheit bei, indem sie Ängste vor Deindustrialisierung und immanenter Krise schüren.

Anstatt eigene Fehler einzuräumen und dafür Verantwortung zu übernehmen, schieben sie die alleinige Verantwortung auf die Politik, die jedoch keines der Probleme allein lösen kann.“

Panik ist ein schlechter Ratgeber

Das ist dann schon eine sehr deutliche Ansage aus einem deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut an die immens einflussreiche Wirtschaftslobby, die ihre Einmischung nur zu gern als rational verkauft. Doch „der Markt“ oder „die Wirtschaft“ waren noch nie rational – außer auf die eigene Profitmaximierung mit allem legalen und halblegalen Mittel hin. Doch wenn es darum geht, in einer Gesellschaft die wichtigen Weichen für die Zukunft zu stellen, ist die Panik der Märkte der allerschlechteste Ratgeber.

Fratzscher mahnt im Grunde eine Politik des Rückgrats an, von Politikern, die sich nicht mehr von den Angstmachern treiben lassen, sondern auch die Wähler wieder einbinden in kluge und zukunftsfähige Entscheidungen.

„Auch wenn viele sich zu Recht sorgen – Deutschland steht an einer wichtigen Wegscheide –, sind das Schüren und die Instrumentalisierung von Ängsten und die damit verbundene Polarisierung der Gesellschaft kontraproduktiv. Sie verhindern notwendige Veränderungen, meist mit dem Ziel des eigenen Machterhalts zulasten künftiger Generationen und der verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft. Es gilt, den Populismus zu entlarven sowie konstruktive Lösungen und soziale Akzeptanz für die dringend benötigte Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu finden.

Dafür tragen die Vertreter von Wirtschaft und Gesellschaft genauso Verantwortung wie die demokratischen Parteien. Aufklärung und Vertrauen zu schaffen sind schwierige Herausforderungen, aber sie sind unsere einzige Chance, die multiplen Krisen unserer Zeit zu bewältigen.“

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