Die Menschheit befindet sich in einer Vielfachkrise und bewegt sich mit weit offenen Augen Richtung Katastrophe. Zig Milliarden werden für eine sich ausweitende Spirale der Zerstörung und des Tötens ausgegeben und fehlen woanders, um Leben zu retten und zu schützen und die eskalierende Klimakatastrophe einzudämmen.
Wissenschaftler sprechen längst von Alarmstufe Rot, vom „Klima-Endspiel“, einem beispiellosen Artensterben, einem globalen Notstand, vom vielfachen Überschreiten planetarer Grenzen, von drohenden Kippprozessen und fordern einen sofortigen Kurswechsel, um die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens und des Artenschutzabkommens einzuhalten und eine weitere Eskalation der globalen Katastrophe zu verhindern.
Doch die zukunftsbedrohende Vielfachkrise der Menschheit verschwindet hinter einem Schleier von symbolischer Politik und wird übertönt vom üblichen Klappern der „Megamaschine“ mit seinem Mantra von unendlichem Wachstum und Fortschritt.
Die Klimaschreckensmeldungen aus aller Welt und die immer ernsteren Mahnungen und Warnungen der Wissenschaft und der Klimaberichte erreichen immer nur kurz die mediale Oberfläche, um sofort wieder in einem Meer von populistischer Manipulierung, Tagespolitik, Kriegsberichterstattung und kunterbunter Abstumpfung zu versinken.
Optimismus beruht bekanntlich auf Mangel an Information und auf dem Übermaß an nicht relevanten Informationen. Die Stimmen des fossilen „Weiter so!“ sind noch viel zu laut in der Gesellschaft und die Macht der Fossil-Lobby scheint ungebrochen.
Weder die Gesellschaft, noch die Politik haben scheinbar den wirklichen Ernst der Lage begriffen, siehe die gemeinsame Erklärung von Wissenschaftlern, Klimaaktivisten und Bürgerrechtlern zur Räumung von Lützerath, geschweige denn, dass man zu einem wirklichen Kurswechsel bereit wäre.
Darauf angesprochen, dass die derzeitige Politik die Klimaziele missachte (vor allem im Verkehrssektor) und daher rechtswidrig sei, äußerte Minister Habeck, dass es dann künftig höhere negative Emissionen geben müsse und offenbarte damit eine fahrlässige Unkenntnis der naturwissenschaftlichen und juristischen Faktenlage.
Statt das Klimagesetz einzuhalten, wird es geändert
Die Aktivisten der Letzten Generation, mit denen wir solidarisch sein sollten, weisen mit ihren spektakulären Aktionen vor allem auf die Fortführung einer rechtswidrigen, unverantwortlichen Verkehrspolitik hin, die fortwährend gegen die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes verstößt. Mittlerweile hat der BUND, der größte Umweltverband Deutschlands, wegen Nichteinhaltung des Klimagesetzes Klage gegen die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht.
Es ist höchste Zeit, zu klären, wer hier eigentlich die Gesetzesverletzer sind.
Die Reaktion der Bundesregierung bestand in der Änderung des Klimaschutzgesetzes.
Welch klimapolitischer Offenbarungseid! Bewertungsgrundlage ist jetzt nur noch das CO₂-Gesamtbudget, sodass sich einzelne Bereiche wie der Verkehr nicht mehr verantworten müssen. Das sind offensichtlich Taschenspielertricks. Es gilt unverändert die Taktik: Ausweichen und auf die lange Bank schieben.
Gleichzeitig spekuliert man über massive Subventionen für energieintensive Industrien und die Grünen erweisen sich immer mehr als Lobbyisten für Konzerninteressen und nicht als Klimaschützer – obwohl der Klimawandel längst unübersehbar aus dem Ruder läuft und sich zusehends zu einer lebensbedrohlichen globalen Katastrophe auswächst.
„Unser Haus (Erde) brennt!“, sagte einst Greta Thunberg – doch es wird immer noch nicht gelöscht. Mit der Beibehaltung der derzeitigen klimaschädlichen Strukturen und der Fortsetzung des fossil-mobilen Wachstumskurses wird sogar ständig weiter Öl und Benzin ins Feuer der globalen Klimakatastrophe geschüttet. Welch kriminelle Verblendung!
Die Erderhitzung beschleunigt sich
Dabei beschleunigen sich die Erderhitzung und der Klimawandel immer weiter. Die neuesten Entwicklungen sind erschreckend. So gibt es einen erneuten Negativrekord beim Schwund des Antarktischen Meereises und das Tempo des Meeresspiegelanstiegs hat sich seit 1993 verdoppelt. Voriges Jahr erreichte die Erhöhung der globalen Mitteltemperatur bereits 1,26 Grad und nimmt mittlerweile bereits um über 0,2 Grad pro Jahrzehnt zu.
Asien ächzt dieses Jahr unter einer schweren Hitzewelle (bis 50 Grad Celsius in Indien, im Iran und anderswo) und leidet unter zunehmendem Wassermangel. Die Gletscher des Himalaya schmelzen rasant. Auch Südeuropa, Nordafrika und die südlichen USA (etwa 110 Millionen Menschen) waren von extremer Hitze betroffen, die teilweise wochenlang anhielt.
Das führte zu verheerenden, unkontrollierbaren und lebensbedrohlichen Waldbränden, wie in Griechenland und jüngst auf Hawaii und schon seit Monaten in Kanada. Letztere nebelten nicht nur New York und die Ostküste der USA ein, sondern haben auch Europa und höhere Luftschichten erreicht, wo der Rauch die Wolkenbildung verändert und die Ozonschicht schädigt. Die zunehmenden Waldbrände im Norden – auch Sibirien und arktische Gebiete sind betroffen – sind eine zusätzliche Bedrohung für das Klima, stellte das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig fest.
Es wird vielfach eine extrem ungewöhnliche Erwärmung der Meere und Ozeane beobachtet. Zudem wird inzwischen mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit mit einer El Niño-Phase gerechnet, einer periodisch wiederkehrenden Wetteranomalie, welche die Temperaturen zusätzlich nach oben treibt und für zusätzliche Wetterextreme sorgt. Während sich Deutschland in diesem Frühjahr und Sommer oft unter dem Einfluss kalter Luft aus dem Norden befand und es häufigere Niederschläge gab, ist Südeuropa von Hitze, Dürre und Waldbränden extrem betroffen. Eine massive Beeinträchtigung der Wasserversorgung und der Landwirtschaft stellen für viele heute schon die Existenzfrage.
Gleichzeitig gab es immer wieder verheerende Überflutungen, wie in den Alpen, im Adriaraum und sogar in Skandinavien.
Längst ist das Wetter zum „Un“-Wetter geworden
Wir haben die atmosphärische Zirkulation über Europa grundlegend verändert, wie das absonderliche Jo-Jo-Wetter zeigt, das uns im Wechsel arktische Polarluft oder subtropische Warmluft beschert und die Niederschläge verschoben hat und Extremwetter extrem verstärkt. In Europa hat sich ja zwischen 1991 und 2021 die Oberflächentemperatur um unglaubliche 0,5 Grad pro Jahrzehnt erhöht. Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt und Deutschland ist keine Insel der Seligen.
Wir haben jetzt „erst“ eine um etwa 1,2 Grad Celsius erhöhte globale Mitteltemperatur erreicht. Was passiert dann erst bei den zu erwartenden globalen 2,7 oder 3,2 Grad, oder gar bei 4 oder 5 Grad globaler Temperaturerhöhung?
Dazu mehr im nächsten Teil: „Wenn wir global bei 3 Grad landen, drohen Deutschland etwa 6 Grad“
Zum Autor dieses Gastbeitrags: Jürgen Tallig war 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig. Weitere Informationen findet man hier.
Der Artikel ist in Kurzfassung in der Berliner Umweltzeitung „Der Rabe Ralf“ August/September 2023
(S. 12–13) erschienen.
Hier geht es zu den nächsten Teilen des Beitrags:
Vollbremsung oder Klimacrash? Klimaschutz ist nicht „systemrelevant“ (Teil 3)
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