Es war Anfang der Woche: Ein Techniker tauschte in meiner Wohnung die Messgeräte an den Heizkörpern aus. Bei einem Heizkörper erzähle ich dem Techniker, dass ich den kaum nutze. Die Winter seien ja nicht mehr so kalt. Der Techniker antwortet: Sind Sie froh, das ist doch gut so. Ich erwidere: Na ja, das kommt darauf an, wie man es sieht. Völlig unvermittelt bricht es aus dem Techniker heraus: Ich kann es nicht mehr hören, das Gerede vom Klimawandel.

Hatte ich davon etwas gesagt? Ich frage ihn, was ihn denn daran störe. Darauf er: Ach, den gibt es doch so nicht. Ich erwidere: Dass sich in den letzten Jahren viel am Klima geändert hat, ist doch nicht zu bestreiten. Ich spüre, dass er nicht weiterreden will. Doch nach einer Pause fügt er hinzu: Das ist mir alles zu viel. Ich erwidere: Das kann ich sehr gut verstehen. Es ginge mir auch oft so, wenn ich sehe, was der Klimawandel für Auswirkungen hat – in Griechenland, in Libyen, im Ahrtal. Das sei schon sehr bedrohlich und angstmachend. Darauf wieder Schweigen.

Dann versuche ich noch einmal das Gespräch aufzunehmen: Sie sind doch vom Fach. Sie können doch die Lage richtig einschätzen. Wie deuten Sie denn die zunehmenden Orkane, Dürren, Überschwemmungen? Wieder spüre ich seinen Unwillen, das Gespräch fortzusetzen.

Schließlich sage ich ihm: Wissen Sie, wenn man sich großen Problemen nähert und ganz dicht an sie herankommt, dann mache ich die Erfahrung: Die Probleme werden sehr viel überschaubarer. Vor allem muss ich vor ihnen keine Angst mehr haben. Das hilft.Da haben Sie recht, antwortet der Techniker und befestigt das ausgetauschte Messgerät.

Ich vermute, dass ich mit einem Menschen geredet habe, der eventuell mit dem Gedanken spielt, AfD zu wählen. Gleichzeitig gehört er offensichtlich zu denen, die sich von der Vielzahl der Probleme überfordert fühlen, darüber aber nicht wirklich sprechen will – vor allem nicht mit jemandem, der offensichtlich anders denkt. Dennoch ist es wichtig, dass wir – wo auch immer – solche Gespräche führen und dabei beachten:

Pauschalurteile nicht im Raum stehenlassen. Jemand, der sich so wie der Techniker äußert, fordert (un-)gewollt eine Reaktion heraus. Kommt keine, fühlt er sich bestätigt. Kommt eine, zieht er sich schnell zurück. Darum ist wichtig, einem begonnenen Gespräch eine Fortsetzung zu ermöglichen und gleichzeitig – wo nötig – behutsam eine Gegenposition aufzubauen.

Parolen delegitimieren. Am Montag war bei der Talkshow „Hart aber fair“ der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla zu Gast. Zu Beginn der Diskussion spricht Chrupalla von seiner ostdeutschen Herkunft (ab Minute 7:00). Er habe eine schöne Kindheit in der DDR erlebt, seine Eltern aber hätten unter Repressalien gelitten.

Chrupalla verweist auf fehlende Meinungsfreiheit und Gängelung in der DDR, um dann zu seiner eigentlichen Botschaft zu kommen: „Und das sind Dinge, wo viele Menschen im Osten Déjà-vus erleben – und das kommt eben gerade zurück, gerade in der Politik.“ Reaktion des Moderators Louis Klamroth: keine! Klamroth geht zum nächsten Thema über.

Doch die Journalistin Anne Hähnig ist aufmerksam. Bevor sie auf die Frage von Klamroth eingeht, kommt sie auf das angebliche „Déjà-vu“ der Ostdeutschen zurück. Sie schließt aus der Quasi-Gleichsetzung heutiger Verhältnisse mit der DDR-Diktatur, dass Chrupalla sich wohl zur DDR zurücksehne. So habe er Chrupalla nicht verstanden, reagiert Klamroth abwehrend.

Als „Beweis“ für seine Behauptung führt Chrupalla dann an, dass sein Konto bei der Postbank gekündigt worden sei, mit der Begründung, er sei AfD-Mitglied. Klamroth zeigt sich überrascht, vermeidet aber die an sich naheliegende Bemerkung: Das prüfen wir im sog. Faktencheck.

Als dann Katrin Göring-Eckardt erklärt, wie die DDR-Diktatur funktioniert hat, erwidert Chrupalla triumphierend: „Ist doch heute wieder so“. Göring-Eckardt verweist darauf, dass heute jeder seine Meinung frei äußern kann. Reaktion Chrupallas: „Sie vielleicht, aber nur einmal“. Spätestens an dieser Stelle hätte die offensichtliche Strategie Chrupallas durchkreuzt werden müssen. So gut es war, dass Anne Hähnig und Katrin Göring-Eckardt AfD-Chrupalla gestellt haben, so bedenklich die Blauäugigkeit des verantwortlichen Moderators.

Was deutlich wird: Die AfD nutzt jede Gelegenheit in den von ihr verachteten „Mainstream-Medien“, um ihre Themen (Geschichtsrevisionismus, heutige Verhältnisse wie DDR, es herrscht keine Meinungsfreiheit, Migranten sind nach Alice Weidel „Kopftuchmädchen“ oder „Messermänner“) zu setzen – und hat damit durchaus Erfolg. Viel zu selten und viel zu schwach wird dem direkt und unmittelbar widersprochen. Mehr noch: Nach wie vor bedienen vor allem Politiker/-innen demokratischer Parteien die Narrative der AfD – wie zuletzt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz.*

Für ihn wie für viele andere ist nicht das Grundproblem, dass Menschen flüchten müssen vor Unrechtssystemen, wegen rassistischer, völkischer Verfolgung, vor Krieg und Umweltkatastrophen. Sie sehen in den Geflüchteten eine Gefahr für Deutschland und nicht in denen, die aus nationalistischen Motiven Migranten ausgrenzen wollen.

Dass eine klare Reaktion und Haltung möglich und erfolgreich ist, haben die Bürger/-innen von Nordhausen gezeigt – und das zu einem Zeitpunkt, da ein Thema, nämlich die Zuwanderung durch Geflüchtete, und die zumeist beschämende Debatte das Geschehen bestimmt und den Rechtsnationalisten der AfD in die Hände zu spielen scheint.

Doch die Bürger/-innen von Nordhausen haben erreicht, dass es nicht zur Wahl eines Mitglieds der rechtsextremistischen Höcke-AfD zum Oberbürgermeister von Nordhausen gekommen ist. Sie haben die Rhetorik der AfD nicht gelten lassen.

Sie haben sich nicht mit der in vielen Medien kolportierten Meinung abgefunden, als sei es ausgemacht, dass die AfD in Ostdeutschland von einem Wahlerfolg zum anderen getragen wird. Sie haben der AfD und ihrem OBM-Kandidaten Jörg Prophet nichts durchgehen lassen. Sie haben sich uneingeschränkt zur demokratischen, vielfältigen Gesellschaft bekannt.

Sie haben gezeigt, dass es überhaupt nicht ausgemacht ist, dass sich die rechtsnationalistische AfD auf einem unaufhaltsamen Siegeszug befindet. Allein dadurch haben sie viele Menschen darin ermutigt und gestärkt: #AfDnee und niemals!

***

*Seit vielen Jahren unterstütze ich einen syrischen Geflüchteten. Als dieser vor einigen Jahren dringend eine Zahnbehandlung benötigte, wurde ihm in einer Leipziger Praxis ein privater Behandlungsvertrag zur Unterschrift vorgelegt, der zu einer Rechnung von einigen Tausend Euro führte. Diese zahlt er noch heute ab. So viel also zum Merz-Märchen von den Geflüchteten, die „sich die Zähne neu machen (lassen)“ und „die vollen Leistungen bekommen“.

Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/

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“flüchten müssen vor Unrechtssystemen, wegen rassistischer, völkischer Verfolgung, vor Krieg und Umweltkatastrophen” –
Zum nicht geringen Teil haben wir in 500 Jahren Ausbeutung diese Zustaende mitverursacht – dafuer werden wir einen hohen Preis zahlen muessen. Und das ist nur gerecht!

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