In meinem Blog-Beitrag „Leute, wacht auf!“ bin ich auf einen Vorfall in den hessischen Städten Seligenstadt und Klein-Krotzenburg eingegangen. Dort wurden Banner mit der Aufschrift „Wir packen das Übel an der Wurzel“ aufgehängt. Dargestellt sind ausgerissene, verblühte Sonnenblumen, die mit dem Foto von Regierungspolitiker/-innen versehen sind, die die Partei Bündnis 90/Die Grünen darstellen.
Aufgrund der merkwürdigen Berichterstattung in den örtlichen Medien und der Nicht-Reaktion der Bürgermeister dieser Ortschaften habe ich mich in einem Offenen Brief an diese gewandt. Nachfolgend dokumentiere ich meinen Offenen Brief und die Reaktion darauf.
Offener Brief (Mail) an Bürgermeister Dr. Daniell Bastian und Bürgermeister Alexander Böhn vom 22. August 2023
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Bastian,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Böhn,
seit einiger Zeit hängen in Seligenstadt und Klein-Krotzenburg Banner (siehe Anlage) mit strafrechtlich relevantem Inhalt. Mit diesen wird dazu aufgerufen, die auf dem Plakat abgebildeten Bundes- und Landespolitiker:innen der Partei Bündnis 90/Die Grünen wie Unkraut gewaltsam zu vernichten. In der Nacht zum Freitag, 18. August 2023, hat ein couragierter Bürger eines dieser Banner in Seligenstadt entfernt. Eine Art Bürgerwehr um den Initiator des Banners, Karl Wolf, lauerte ihm auf und bedrohte ihn. Durch einen hinzugekommenen Bürger konnte ein gewalttätiger Übergriff der mit Holzlatten bewaffneten Männer verhindert werden. So weit der mir bekannte Sachverhalt.
Leider ist mir bis heute nicht bekannt, ob und wie Sie als Bürgermeister auf die zur Gewalt gegen Politiker:innen aufrufenden Banner reagiert haben. In Klein-Krotzenburg soll das Banner an einem Gebäude direkt neben dem Rathaus hängen. Ihr offensichtliches Schweigen ist sehr bedauerlich und in höchstem Maße bedenklich, übrigens genauso bedenklich wie die Berichterstattung in der Offenbach Post (https://www.op-online.de/region/seligenstadt/polizist-beteiligt-anti-gruenen-plakat-angeblich-seligenstaedter-92468281.html) – wird doch deutlich, woran derzeit unsere Demokratie krankt: an mangelnder Klarheit zu vieler Führungspersönlichkeiten vor Ort gegen den aufstrebenden Rechtsnationalismus.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat diesen in seiner Rede in Herrenchiemsee am 11. August 2023 genauso eingeklagt wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum („Leute, wacht auf!“): „Wir alle haben es in der Hand, die Verächter unserer Demokratie in die Schranken zu weisen. Und wir alle, jede Politikerin und jeder Politiker, aber eben auch jede Bürgerin und jeder Bürger, wir alle haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie. Wir müssen sie schützen! Kein mündiger Wähler kann sich auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen.”
So möchte ich Ihnen mit Gerhart Baum zurufen: Wachen Sie auf! Sie haben es in der Hand, die Verächter der Demokratie in die Schranken zu weisen. Tun Sie alles, damit die Banner aus Ihren Ortschaften verschwinden. Nehmen Sie auch zu dem nächtlichen Vorfall Stellung und lassen Sie demjenigen, der mutig und entschlossen eines der Banner entfernt hat und der von einem weiteren Bürger vor einem gewaltsamen Übergriff geschützt wurde, alle Unterstützung zukommen. Stellen Sie sich vor allem dieser Bürgerwehr in den Weg. Schweigen kommt in diesem Fall einer Rechtfertigung des Inhalts des Banners und einer Demütigung eines mutigen Bürgers gleich.
Auch wenn Sie vielleicht denken: Was mischt sich ein Bürger aus Leipzig in die Angelegenheiten hessischer Ortschaften ein, was geht den das an? – ich erwarte Ihre baldige Antwort, nicht durch ein Schreiben an mich, sondern durch ein klares Zeichen gegen den Rechtsnationalismus und für die Demokratie in Seligenstadt, in Klein-Krotzenburg und damit ein Zeichen für jeden anderen Ort in Deutschland! Denken Sie an den 1. Juni 2019! Ein solcher Tag darf sich nie wiederholen!
In der Hoffnung, dass Sie Ihrer gesellschaftspolitischen Verantwortung nachkommen, grüße ich Sie herzlich,
Christian Wolff
P.S. Gerne verweise ich auf meinen Blog-Beitrag zur Sache: https://wolff-christian.de/leute-wacht-auf/ .
______________________________________________________________
Antwortmail von Bürgermeister Dr. Daniell Bastian vom 25. August 2023
Sehr geehrter Herr Wolff,
Ihre Mail vom vergangenen Dienstag hinterlässt bei mir doch einige offene Fragen.
So verwundert es nicht, dass „ein Bürger aus Leipzig“ sich „in die Angelegenheiten hessischer Ortschaften einmisst“. Damit habe ich überhaupt kein Problem. Allerdings verwundert es schon, dass ein Bürger aus Leipzig über die Einzelheiten dieser Vorgänge offensichtlich deutlich mehr weiß, als öffentlich zu erfahren war.
Was uns sicherlich eint, ist politische und inhaltliche Abneigung gegen diese Plakate. Diese sind geschmack- und stillos. Wie sie allerdings zu der Aussage kommen, dass die Plakate einen „strafrechtliche relevanten Inhalt“ hätten, hinterlässt bei mir auch als Jurist die nächste offene Frage. Wie kommen sie bereits jetzt zu einer solchen Bewertung? Nicht alles, was politisch kontrovers oder sogar abstoßend ist, ist auch gesichert strafrechtlich relevant. So irritiert mich auch ihre Aussage sehr, dass „ein couragierter Bürger eines dieser Banner entfernt“ hat. Ist Selbstjustiz für sie in Ordnung, so lange es ihren politischen Überzeugungen entspricht? Ich hoffe doch sehr, dass dies nicht der Fall ist. Politisch einseitige Aktionen gegen (vermeintlich) rechte Umtriebe nützen nie der Demokratie. Insoweit haben sie die Herren Steinmeier und Baum auch falsch verstanden.
Wir werden in Seligenstadt sicherlich gemeinsam die geeigneten Antworten auf diese unappetitliche Aktion finden. Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Erfolg für Ihre Arbeit in Leipzig. Dort gibt es wahrlich noch viel, viel zu tun!
Mit freundlichen Grüßen aus dem Seligenstädter Rathaus
Dr. Daniell Bastian
Bürgermeister der Einhardstadt Seligenstadt
______________________________________________________________
Meine Mail vom 26. August 2023
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Bastian,
zunächst danke ich Ihnen sehr für Ihre Antwort auf meinen Offenen Brief vom 22.08.2023. Damit habe ich kaum gerechnet. Es ist gut, dass über das unsägliche Banner eine öffentliche Diskussion stattfindet. Allerdings bestärkt mich Ihre Antwort-Mail in meiner Vermutung, dass es sich bei den Vorgängen in Seligenstadt und Klein-Krotzenburg um mehr handelt als um eine „unappetitliche Aktion“. Mehr noch: Ihre Mail hinterlässt bei mir weniger „offene Fragen“ als vielmehr den Eindruck, dass sie und Sie selbst Teil des Problems sind.
- Wenn ich es richtig sehe, ist für die Herstellung und Aufhängung des Banners ein Karl Wolf verantwortlich. Herr Wolf ist nicht irgendwer. Er ist u.a. Geschäftsführer eines Immobilienunternehmens und des Hanauer Unternehmens „Peak of Switzerland“. Er gehört dem Präsidium der für Seligenstadt bedeutenden Einhard-Stiftung an. Leider gehen Sie mit keinem Wort auf das Wirken von Karl Wolf ein, der zudem angekündigt hat, Dutzende weitere Banner mit besagtem Inhalt in Hessen aufzuhängen.
- Sie schreiben, dass uns „die politische und inhaltliche Abneigung gegen diese Plakate“ einen würde. Nein, sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Bastian, dieses eint uns nicht. Denn wenn ich es richtig sehe, haben Sie bis auf diese Mail nirgendwo dieses Banner inhaltlich und vor allem öffentlich kritisiert. Offensichtlich sind Sie immer noch nicht fündig geworden bei der Suche nach „gemeinsamen Antworten auf diese unappetitliche Aktion“. Das wird Ihnen auch schwerfallen. Denn bei Auseinandersetzung um dieses Banner geht es nicht um Geschmacksfragen, sondern um die Verteidigung der Demokratie und demokratischer Grundwerte. Erst wenn Sie das erkennen, werden Sie auch die Freiheit gewinnen, sich sowohl von einem Karl Wolf politisch zu distanzieren wie auch seine Aktion öffentlich zu verurteilen und rechtlich prüfen zu lassen.
- Das aber setzt voraus, dass Sie nicht weiter die Augen vor der inhaltlichen Absicht des Banners verschließen. Mit diesem Banner wird zur gewaltsamen Vernichtung/Entsorgung der abgebildeten Politiker:innen aufgerufen. Diesen Vorgang nenne ich nach wie vor strafrechtlich relevant. Denn dieser Ausdruck bedeutet nichts anderes, als dass die Aussage des Plakates auf ihre strafwirksame Bedeutung juristisch geprüft werden muss. Das Mindeste, was ich von Ihnen als juristisch ausgebildeten Bürgermeister erwarten kann, ist, dass Sie als Bürgermeister Strafanzeige gegen den bzw. die Verantwortliche(n) für das Banner stellen und die rechtliche Zulässigkeit der Aufhängung dieses Banners in dieser Größe prüfen.
- Dass Sie das couragierte Handeln eines Bürgers einen Akt der „Selbstjustiz“ nennen, unterstreicht noch einmal, dass für Sie wie für einen Teil der Medien nicht das Banner mit seinem Aufruf zur Gewalt das Problem ist, sondern die Entfernung des Plakates. Auch haben Sie offensichtlich kein Problem mit dem Auftreten einer Art Bürgerwehr unter Beteiligung des Karl Wolf, um die Entfernung des Banners zu verhindern. Politisch ist das Handeln des Bürgers nicht hoch genug einzuschätzen, weil er damit auf das Versagen derer hingewiesen hat, die von Amts wegen die Demokratie und den Rechtstaat zu verteidigen haben.
- Ihr Satz „Politisch einseitige Aktionen gegen (vermeintlich) rechte Umtriebe nützen nie der Demokratie.“ unterstreicht noch einmal, wie Sie – ohne es selbst zu merken – die Dinge auf den Kopf stellen. „Politisch einseitig“ soll sein, wenn sich Bürger:innen, die ganz unterschiedliche politische Überzeugungen vertreten, dagegen wehren, dass per Banner zur Gewalt gegen Politiker:innen aufgerufen wird? Das gemeinsame Handeln von Demokrat:innen gegen den gefährlichen Rechtsnationalismus soll der Demokratie nicht nützen? Und: Aktionen wie die von Karl Wolf sollen nur „vermeintlich“ rechte Umtriebe sein? Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Bastian, mit diesem Satz stellen Sie die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und den Aufruf des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum auf den Kopf! Denn diese haben unmissverständlich alle Bürger:innen, aber auch alle Mandatsträger:innen dazu aufgerufen, mit Zivilcourage den Feinden der Demokratie entgegenzutreten und den Anfängen zu wehren (wobei wir leider schon lange nicht mehr am Anfang sind). Was aber ist jemand, der zur Vernichtung von in Regierungsämtern tätigen Politiker:innen auffordert, anderes als ein Verächter demokratischer Grundrechte und Grundwerte?
Ich hoffe, dass deutlich geworden ist: In der Beurteilung der Vorgänge in Seligenstadt und Klein-Krotzenburg geht es nicht um Fragen eines Polit-Knigges. Dass Sie aber die Vorgänge auf diese Ebene schieben wollen und damit die eigentlichen Probleme auszublenden versuchen, zeigt, dass Sie offensichtlich gar nicht begriffen haben, was jetzt notwendig ist: Eine klare Haltung, an der jede:r Bürger:in ablesen kann, wo ihr Bürgermeister steht.
Herzliche Grüße
Christian Wolff
P.S. Die Süffisanz Ihres Wunsches am Schluss der Mail ist mir nicht verborgen geblieben. Ich bin jedenfalls froh und dankbar in einer Stadt zu leben, in der nicht nur der Oberbürgermeister, sondern mit ihm viele Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wie notwendig klare Aktionen und Worte gegen „rechte Umtriebe“ sind und dass man den Rechtsnationalisten keinen Millimeter Raum überlassen darf.
Christian Wolff, geboren 1949 in Düsseldorf, war 1992–2014 Pfarrer der Thomaskirche zu Leipzig. Seit 2014 ist Wolff, langjähriges SPD-Mitglied, als Blogger und Berater für Kirche, Kultur und Politik aktiv. Er engagiert sich in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zum Blog des Autors: https://wolff-christian.de/
Keine Kommentare bisher