In der Debatte um die Auswahl der Moderator*innen beim ARD-Mittagsmagazin wird die Kritik am Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) immer lauter. Nachdem zwei Moderator*innen des Mittagsmagazins bekannt gegeben hatten, dass sie die Neuauflage der Sendung nicht mehr moderieren wรผrden, weil ihnen die ostdeutsche Herkunft fehle, dementierte der MDR zuerst. Recherchen lassen nun aber Zweifel an den Darstellungen des MDR.
MDR-Chefredakteurin bestreitet Darstellung zweier Mittagsmagazin-Moderator*innen
Die Ausgangslage: Am Freitag hatten ARD, ZDF und MDR in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt gegeben, dass das ARD-Mittagsmagazin ab 2024 nicht mehr vom RBB, sondern vom MDR in Leipzig produziert werden soll. Man wolle mit dem Wechsel nach Leipzig โdie bundesweite Sichtbarkeit ostdeutscher Lebenswirklichkeiten stรคrkenโ, erklรคrte MDR-Intendantin Karola Wille.
Kurz darauf verkรผndeten zwei der vier aktuellen Hauptmoderator*innen des Mittagsmagazins, Nadia Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said, dass sie die Sendung ab 2024 โleider nicht mehr moderierenโ wรผrden. Die MDR-Chefredakteurin Julia Krittian habe mitgeteilt, dass die kรผnftige Moderation einen ostdeutschen Hintergrund haben soll. โDas muss ich so akzeptieren und wรผnsche den Kolleg*innen viel Erfolgโ, schrieb sowohl Kailouli als auch Abdulaziz-Sai in einem abgestimmten Statement auf Twitter.
Am Dienstag dann dementierte Krittian im Interview mit dem Tagesspiegel, eine solche Aussage getroffen zu haben. โWir sind fรผr die Moderation im Gesprรคch mit unterschiedlichen Persรถnlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Hintergrรผndenโ, erklรคrte Krittian. Eine โsolche Einseitigkeitโ, die durch ein rein ostdeutsches Moderationsteam entstehen wรผrde, spiegele nicht ihre Haltung wider.
Julia Krittian, 1980 in Karlsruhe geboren, ist seit August letzten Jahres Teil der MDR-Chefredaktion.
Zweifel an Krittians Darstellungen
Recherchen des NDR-Medienmagazins Zapp streuen nun Zweifel an Krittians Schilderungen und zeichnen das Bild eines MDR, der auf Kritik an den geschilderten Auswahlvorgรคngen mit Intransparenz und irritierenden Aussagen antwortet.
Zapp hat nach eigenen Aussagen mit mehreren Personen gesprochen, die an einer Redaktionskonferenz des Mittagsmagazins mit der MDR-Chefredakteurin Julia Krittian teilgenommen haben. Diese Quellen hรคtten Zapp bestรคtigt, dass Krittian in diesem Meeting geรคuรert habe, โdass man sich beim MDR in Ostdeutschland verwurzelte Menschen wรผnscheโ. Laut den Zapp-Recherchen hat bereits ein Casting fรผr die neue Mittagsmagazin-Moderation in Leipzig stattgefunden.
Auf Nachfrage habe der MDR Zapp mitgeteilt, dass sich die beiden aktuellen Moderator*innen Nadia Kailouli und Aimen Abdulaziz-Said nicht darauf beworben hรคtten. Die Recherchen von Zapp hรคtten allerdings ergeben, dass die beiden gar nicht zum Casting eingeladen wurden.
Sollte dieser Vorgang stimmen, wรผrde er die Schilderungen Kailoulis und Abdulaziz-Saids decken, dass der MDR fรผr sein zukรผnftiges Mittagsmagazin nur Moderator*innen mit ostdeutschen Wurzeln haben mรถchte. Die Recherchen von รbermedien und T-Online bekrรคftigen die Annahme, dass MDR-Chefredakteurin Krittian dem Tagesspiegel nicht wahrheitsgemรคร geantwortet hat.
Neben der Tatsache, dass Krittian in der Kommunikation nach auรen eine andere Haltung als redaktionsintern einzunehmen scheint, ist eine Sache daran brisant: Zapp berichtet, dass die beiden anderen aktuellen Mittagsmagazin-Moderator*innen Susann Reichenbach und Sascha Hingst โ beide stammen aus Ostdeutschland โ im Gegensatz zu ihren Kolleg*innen zum Casting eingeladen worden seien.
MDR gibt sich bedeckt
โWir haben dazu viele Fragen an den MDR gestellt โ leider wurden fast alle nicht beantwortetโ, schreibt Zapp am Dienstagabend auf Twitter. Der MDR habe lediglich mit der Information geantwortet, dass das Moderationsteam des Mittagsmagazins beim MDR kรผnftig kleiner sein werde als aktuell beim RBB. Das hatte MDR-Chefredakteurin Krittian auch dem Tagesspiegel gesagt.
Dass der MDR Moderator*innen mit Migrationshintergund zugunsten von Kolleg*innen mit ostdeutscher Herkunft nicht engagieren zu wollen scheint, stรถรt seit dem Wochenende auf Kritik von mehreren Seiten. Und hat auf Twitter und in der Medienwelt eine identitรคtspolitische Debatte ausgelรถst.
Aimen Abdulaziz-Said ist in Hamburg aufgewachsen und Sohn eritreischer Eltern. Nadia Kailoulis Eltern stammen aus Marokko, sie wurde im nordrhein-westfรคlischen Wermelskirchen geboren. In den Sozialwissenschaften wรผrden sie zur โzweiten Generationโ von Menschen mit Migrationshintergrund gezรคhlt.
โEine konkrete Folge der ostdeutschen Identitรคtsdebatteโ
Der MDR will mit dem neuen Mittagsmagazin โostdeutsche Lebenswirklichkeiten stรคrkenโ und โdie Vielfalt unseres Landes von Gรถrlitz bis Aachen, von der Zugspitze bis Rรผgenโ abbilden, gleichzeitig ist es wahrscheinlich, dass Journalist*innen mit Migrationshintergrund ihre Jobs an Kolleg*innen aus Ostdeutschland verlieren. Zwei Gruppen, die in der deutschen Medienlandschaft deutlich unterreprรคsentiert sind.
Dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Jobs an Ostdeutsche zu verlieren drohen, sei โabsurdโ, meint etwa Autorin Anne Rabe. Rabe ist in Mecklenburg-Vorpommern geboren und lebt in Berlin. Auch Journalist Thorsten Mense kritisiert die augenscheinliche Entwicklung.
โDas aktuelle Mittagsmagazin des MDR trรคgt รผbrigens den Untertitel โDer starke Ostenโ. Wo dieser โOstenโ stark ist, ist fรผr nicht-weiรe Deutsche offenbar kein Platzโ, schrieb er am Wochenende auf Twitter. Die mutmaรliche ostidentitรคre Personalpolitik des MDR ist fรผr ihn eine โkonkrete Folge der ostdeutschen Identitรคtsdebatteโ.
Die Hauptkritik: Sollte sich bewahrheiten, dass der MDR die Besetzung seines Moderationsteams fรผrs Mittagsmagazin an die Bedingung โostdeutschโ knรผpft, werden die neuen Moderator*innen mit sehr groรer Wahrscheinlichkeit keinen Migrationshintergrund haben.
Wer die Vielfalt Deutschlands und auch Ostdeutschlands abbilden wolle, mรผsse aber auch People of Colour reprรคsentieren und am besten gezielt fรถrdern, so die Forderung. Und diese gebe es nun mal in Ostdeutschland ebenso wie in Westdeutschland.
Taz-Redakteur Daniel Schulz, aufgewachsen in Brandenburg und studiert in Leipzig, beteiligte sich am Wochenende auf Twitter an der Debatte. Die mutmaรliche Entscheidung des MDR, nur ostdeutsche Moderator*innen zu engagieren, stehe symbolhaft genau fรผr jene Art ostdeutscher Emanzipation, die Schulz โzum Fรผrchtenโ finde: โMan geht zu den Migras/Postmigras und schubst die zum eigenen Vorteil beiseite. Kampf um Platz 2. Man glaubt an eine westdeutsche Hegemonie, lรคsst die aber unangetastet.โ
Doch Schulz setzt noch Hoffnungen in den MDR und hat gleich mal einen Personalvorschlag gemacht: โVielleicht weiร der MDR, dass es auch ostdeutsche Postmigras gibt, und Nhi Le รผbernimmt.โ Nhi Le hat fรผr den MDR bereits Beitrรคge produziert und moderiert. Die Eltern der in Thรผringen geborenen Journalistin stammen aus Vietnam.
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