Dieser Text ist aus einem persönlichen Gespräch entstanden. Anhand des Interviews verfasste die Autorin einen Bericht in der Ich-Perspektive, um Eindrücke, Emotionen und Gedanken nah am Erlebten darstellen zu können. Der Protagonist der Erzählung möchte anonym bleiben. Diesen Wunsch respektieren wir.

Wo fange ich an? Ich habe aufgehört. Aufgehört mit dem Zeug. Damit, mir selbst etwas vorzumachen und vor Schwierigkeiten in Parallelwelten zu flüchten.

Ich bin da so hineingeraten – wann genau, kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich bin von Grund auf anfällig für Süchte. Das ist etwas, was mir als Kind vorgelebt wurde. Und Drogen zu nehmen, hat es mir ermöglicht, einen Umgang damit zu finden. Erst jetzt, in der Trauma-Therapie, bearbeite ich die Mechanismen, die mich mein Leben lang begleiteten und dazu geführt haben, dass ich immer weggerannt bin: vor dem, was ich erlebt habe und vor mir selbst. Bis ich eine Sackgasse geraten bin.

Kontakt zu Drogen abseits von Alkohol und Nikotin habe ich bekommen, als ich in die elektronische Musikszene eingetaucht bin – auf Partys, Festivals. Angefangen hat das 2014. Es begann mit Speed, Ecstasy, später kam Kokain hinzu.

Mit dem Eintauchen in die „Subkultur Techno“ intensivierte sich das. Dieses Umfeld hat mich immer begeistert. Viele in der Szene sind unheimlich talentiert. Sei es im musikalischen-, gestalterisch-grafischen-, Designkontext und und und. Jede und jeder macht irgendetwas, ist kreativ und bringt sich ein.

Je tiefer ich in diese Gruppe eintauchte, desto mehr habe auch ich davon „abbekommen“. Ich wollte das, ich wollte dazugehören und ich wollte musikalisch erfolgreich sein in dieser Szene. Das, was viele an der Szene vielleicht abschreckt – ein gewisser Anflug von Elitarismus – mich hat es fasziniert. Gästeliste, eine gewisse Coolness, das Gefühl, dazuzugehören.

Es war meine Entscheidung und mein Wunsch, dort „hineinzugeraten“. Die Drogen waren für mich ab einem gewissen Punkt der Kitt, der Kleber. Einmal im Sumpf, wurde es abstrus: Wenn ich zum Beispiel auf Festivals spielte, gehörte vielerorts ein umfangreiches „Versorgungspaket“ dazu. Da wurde der Bauchladen aufgemacht und man bekam alles an Substanzen, was das Herz begehrte.

Weil mein Umfeld im gleichen Maße konsumiert hat wie ich, habe ich lange Zeit nicht gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Den Gedanken daran habe ich auch ganz bewusst weggedrängt. Ich habe ja immer funktioniert: Unterwegs sein, Musik machen bis in die Nacht, drei oder vier Stunden Schlaf, arbeiten. Das ging immer – weil es gehen musste.

Mein Geist und auch mein Körper haben wohl immer gewusst, dass sie sich im Job zusammenreißen müssen. Niemand hat je etwas bemerkt. Corona und Homeoffice haben das natürlich leichter gemacht. Dafür hat mein soziales Umfeld meine Sucht immer mehr zu spüren bekommen. Auch, wenn viele Bekannte und Freunde mein Verhalten nicht einordnen konnten.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 112, VÖ 30.04.2023. Foto: LZ

Ich war fahrig, rastlos, im Kopf immer schon an dem Ort, an dem ich meine „Versorgungslücke“ würde schließen können. Hinzu kam eine gewisse Langeweile. Durch Corona waren wir an unsere Wohnungen gebunden, saßen in kleinen Gruppen zusammen, was fingen wir mit uns an? Und wenn alle es taten, konnte es doch nicht so schlimm sein, oder?

An den Tagen nach dem Rausch hatte ich oft das Bauchgefühl von „Ich will das nicht mehr“. Das hat sich mit der Zeit nicht mehr wegscheuchen lassen. Trotzdem habe ich mir immer wieder eingeredet, dass das, was ich tue, absolut normal ist. Es hat lange gedauert, bis ich mir die Realität eingestehen konnte: dass ich mir eine Parallelwelt geschaffen hatte, deren Inhalt der Drogenkonsum war. Wie so oft im Leben musste für diese Einsicht zunächst einiges um mich herum zusammenbrechen und in Scherben liegen. Wäre der Fall nicht so tief gewesen, hätte sich wohl bis heute nichts geändert.

Nachdem ich den Zenit erreicht und für mich beschlossen hatte, dass sich etwas ändern muss, wurde mir meine Unzuverlässigkeit und geistige Abwesenheit von vielen Seiten gespiegelt. Ich bin dabei, wiedergutzumachen, was ich verbockt habe. Vieles tut mir leid. Ich hatte mich von vielen Menschen abgewandt, die sich nicht in der Szene bewegt haben. Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dort trotzdem wieder mit offenen Armen empfangen zu werden.

Für mich war und ist die einzige Lösung, komplett Schluss zu machen mit der Droge. Ich musste mich zunächst abwenden von den Menschen, die weiterhin konsumierten und von den Orten, die mich an die Drogen erinnerten.

Es beschäftigte mich, dass mein plötzlicher Wandel nicht bei allen auf Verständnis und Gegenliebe stieß, auch wenn ich deren Seite durchaus verstehen konnte, schließlich bedeutete das auch für beide Seiten ein Ende von Freundschaften, die über die Substanzen hinaus existierten. Aber ich wollte mich davon jetzt auch nicht verunsichern lassen. Ich versuche seitdem, viel mit meinem Umfeld darüber zu sprechen und zu teilen, was in mir vorging, meine Erfahrungen und Ängste zu teilen.

Ich lerne, wieder zuzuhören. Ich gehe zur Suchtberatung und gleichzeitig zur Therapie und möchte jedem und jeder ans Herz legen, sich in einer Suchtberatungsstelle beraten zu lassen, wenn man das Gefühl hat, man verliert beim Konsum den Boden unter den Füßen.

Es hilft, sich selbst zu finden, zu reflektieren und sich kritischen Fragen auszusetzen, die man aus Bequemlichkeit oder gar Selbstverleugnung vermeidet. Gleichzeitig bekommt man einen Weg als Möglichkeit aufgezeigt, den man beschreiten kann, wenn man selbst das auch möchte (und nur dann). Ich weiß, dass mich das Thema noch lange, vielleicht für immer, beschäftigen wird.

„Vom Gefühl, dazuzugehören: Einmal süchtig und zurück“ erschien erstmals zum thematischeSchwerpunkt „Sucht“ im am 30. April 2023 ersten ePaper LZ 112 der LEIPZIGER ZEITUNGDer Schwerpunkt wird das Thema in allen denkbaren Facetten behandeln: Alkohol, Drogen, aber auch eher Unbekanntes wie Pornosucht. Und während die Debatte über die Legalisierung von Cannabis läuft, schauen wir zurück auf die Geschichte der Drogen quer durch die Zeitalter.

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